Einst war Manfred Brommer Professor für Mathematik. Heute betreut der 85-Jährige ehrenamtlich Patienten im Diakonie-Klinikum im Stuttgarter Westen.

S-West - Nachdenklich schaut Manfred Brommer in die Ferne, scheint die vergangenen Jahre vor seinem inneren Auge ablaufen zu lassen. Nur um gleich wieder in das Hier und Jetzt des Diakonissen-Klinikums Stuttgart zurückzukommen. „Es ist ergreifend – und inspirierend“, beschreibt er lebhaft, nickt fast unmerklich. Der Stuttgarter, der kürzlich seinen 85. Geburtstag feierte, erzählt von seinem Ehrenamt, für das er 2004 ausgezeichnet wurde: Er erhielt die Ehrenplakette der Landeshauptstadt Stuttgart für seinen beispielhaften Einsatz bei der Evangelischen Krankenhilfe.

 

Seit er im Jahr 2000 in den Ruhestand ging, kümmert Brommer sich um Patienten. Vorbereitet darauf habe er sich aber schon länger, betont er. 35 Jahre lang hatte Brommer an der einstigen Fachschule für Technik und heutigen Hochschule für Wissenschaft eine Professur für Mathematik inne. „Und 1994 – ich hatte noch einen Lehrauftrag, aber war nicht mehr dienstverpflichtet – habe ich mich bereits nach einer Tätigkeit im Ruhestand umgeschaut. Das reizte mich, weil ich gerne mit Menschen zu tun habe.“

Der grüne Herr

Zunächst begann er als einziger „Grüner Herr“ im Katharinenhospital – unter vielen „Grünen Damen“. „Mittlerweile gibt es ein paar Männer mehr, es sind wohl es 20 Prozent“, so Brommer. „Grüne Damen und Herren“ werden jene genannt, die sich in Deutschland ehrenamtlich in Krankenhäusern und Pflegeheimen ehrenamtlich Patienten und Bewohner besuchen. Sie gehen von Zimmer zu Zimmer, fragen, was benötigt wird, bringen bei Bedarf Lesematerial oder Getränke, vor allem aber wird gesprochen.

„Diese Zeit für Gespräche ist mir besonders wichtig“, so Brommer. Statt einem grünen hat er nun einen weißen Kittel an, eben den der Patientenbetreuung im Diakonie-Klinikum. Das könne man dort bis zum Ende des Lebens ehrenamtlich tun, erklärt er. „Als Grüner Herr musste ich aufhören, als ich 80 Jahre alt wurde. Aber das war ok.“ Die Altersgrenze sei da, weil manche nicht merkten, dass sie selbst gebrechlich würden. „Aber mir fehlte was, da erfuhr ich vom Diakonissen und wurde mit offenen Armen empfangen.“

Reden über Leben und Sterben

Eigentlich wollte er auf die Intensivstation. Doch die Urologie und die Orthopädie brauchten einen Patientenbetreuer. Dort führe er pro Jahr etwa 500 Gespräche, überschlägt er schnell. Menschen aller Schichten und jeglichen Alters seien dabei, das Gros der Patienten in der Urologie sei älter als 50 Jahre. „Manches Mal führen wir nette Unterhaltungen von einigen Minuten, ein anderes Mal ist der Austausch sehr umfangreich und tief, dauert eine Stunde. Ich nehme mir die Zeit, da gibt es keine Vorschriften.“

Diese Gespräche seien es, in denen es um das Leben und dessen Sinn, das Sterben, um Philosophisches, Literarisches oder Musikalisches ginge, die ihn bereicherten. Sehe er etwa ein Buch auf dem Nachtisch, könne das ein Einstiegsthema sein, genauso wie Musik oder Alltagserlebnisse. „Wobei Musik eher selten vorkommt“, gibt Brommer zu.

Er selbst lernte Klavier und Querflöte, spielte 20 Jahre in Orchestern, etwa bei Pro Musica Stuttgart und dem Bundesbahn-Sinfonieorchester, organisierte zudem an der Hochschule Konzerte. 1995 begann er eine Orgelausbildung in der Friedenskirche und legte mit 65 Jahren die kirchenmusikalische C-Prüfung ab. Bis vor einem Jahr spielte er immer wieder sonntags in rund 20 verschiedenen Gotteshäusern Orgel. „Man kann sich in eine Liste als Organist eintragen und wird entsprechend für Gottesdienste gebucht“, sagt Brommer.

Jetzt spiele er noch zuhause Klavier, jeden Tag mehrere Stunden. „Wie andere Frühgymnastik machen“, so der agile Professor, der sich auch für Asylbewerber in Stuttgart-Nord engagiert und das Fahrradfahren schätzt. „Früher veranstaltete ich mehrtägige Touren, beispielsweise durch die neuen Bundesländer.“

Seine Augen leuchten – sein Fundus an Gesprächsstoff ist enorm. Nur über zwei Themen redet er ungern mit Patienten: Politik und Religion. „Das ist heikel“, so Brommer. Und er betont, wie wichtig Einfühlsamkeit ist. Er erzählt von einem krebskranken Chefarzt, der ihn bat, mit ihm zu beten. „Ich sagte, ich bin kein Pfarrer, aber ich sprach Psalm 23, den ich auswendig kann.“ Er lerne viel durch sein soziales Engagement. Manches Gespräch halle lange in ihm nach „Wie Menschen Dinge ertragen, die ich vielleicht nicht ertragen könnte! Was lebenswert bedeuten kann!“ Er wird wieder nachdenklich: „Man ist gesegnet, muss dankbar und demütig sein, wenn man gesund ist.“