Für die deutschen Profis hat in ihren Clubs sie heiße Vorbereitungsphase für die kommende Saison begonnen. Wer jetzt ohne Vertrag dasteht, hat ein Problem. Das soll im Sommercamp der Fußballergewerkschaft VDV gelöst werden. Ein Besuch.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Duisburg - Hier hat der Profifußball viel von seinem Glanz verloren – im Schatten des traditionsreichen Duisburger Stadions, auf den Parkplätzen der Sportschule Wedau. Es sind nicht die branchenüblichen SUV, die die Fußballer vor dem weitläufigen Gelände an der Friedrich-Albert-Straße abgestellt haben, sondern Kleinwagen. Dabei erinnern nur dünne Sportfelgen und dicke Auspuffrohre an den bekannten Fußballluxus. Ein nachträglich aufgemotztes Auto symbolisiert in diesem Fall die Sehnsucht des Halters nach dem großen Profigeschäft. In Duisburg trifft sich in diesen Tagen das kleine.

 

Zum 15. Mal veranstaltet die Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VDV) ihr Sommercamp für Mitglieder, die ohne Vertrag sind. Was zu dem wichtigen Hinweis der Gewerkschaft führt, dass der Profifußball in Deutschland nicht nur Millionengehälter und süßes Leben bedeutet, sondern auf der anderen Seite auch Arbeitslosigkeit und Existenzangst.

„Claudio Pizarro ist nicht dabei“, sagt Ulf Baranowsky. Der Geschäftsführer der VDV erwähnt mit einem Lächeln den zurzeit wohl prominentesten vertragslosen Bundesliga-Profi. Der hat aber schon lange finanziell ausgesorgt. Die Spieler, die das VDV-Angebot annehmen, sind weit davon entfernt. So wie Robert Feik. Der 29-Jährige kommt gerade aus Luxemburg, wo ihm vom Erstligisten Avenir Beggen die Vertragsauflösung vorgelegt wurde. „Der Club will neue Ausländer holen, wahrscheinlich unterschreibe ich“, sagt Feik, dem dann eine Abfindung zusteht. „Schmerzensgeld“ nennt er es.

Feik braucht es, seine Frau hat gerade das erste Kind bekommen. Er braucht auch einen neuen Club. Es wird ihn möglicherweise bald nach Asien verschlagen, die Kontakte sind geknüpft. Aber nicht in die chinesische Liga der Multimillionäre, sondern eher in Richtung Malaysia, Indonesien, Vietnam.

Der Ausweg aus der Misere soll über Asien führen

Robert Feik hat eine hochwertige schwäbische Fußballausbildung genossen. Als großes Talent wechselte der Kornwestheimer vom VfB Tamm zu den Stuttgarter Kickers und zum VfB Stuttgart, aber nach der Jugend ging es dann nicht wie geplant in der Bundesliga weiter. Der Traum vom Profifußball sollte aber weiterleben. Deshalb ging Feik auf Fußballwanderschaft, in die erste Liga nach Griechenland, nach Zypern und Ungarn, wo er mit dem FC Ujpest Pokalsieger wurde.

In Duisburg will sich Robert Feik auf die nächste Station vorbereiten und ist seiner Gewerkschaft für das Angebot sehr dankbar. „Eine wirklich gute Sache“, sagt er. Robert Feik wiederum ist ein guter Außenverteidiger, das sieht Peter Neururer sofort.

Der Star ist der Trainer. Während die Spieler beim diesjährigen VDV-Camp nur ausgewiesenen Fachleuten ein Begriff sind, kann jeder am Fußball nur Halbinteressierte etwas mit dem Namen des Trainers anfangen. Auch wenn Neururer seit seiner Entlassung beim VfL Bochum vor drei Jahren nicht mehr aktiv am Spielgeschehen teilgenommen hat, so ist er als Fernsehexperte doch noch sehr präsent. „Ich bin bereit für einen neuen Trainerjob“, sagt der extrovertierte 62-Jährige, „aber nicht in den nächsten Tagen, da werde ich hier gebraucht.“ Es sei ihm eine Ehre und ein großes Anliegen, die vertragslosen Spieler im Training und in den Testspielen zu betreuen, sagt Peter Neururer, der das deutsche Team auch bei der Mini-EM der Vertragslosen-Teams in dieser Woche coachte. Das Finale verlor der Gastgeber 0:2 gegen Belgien. In den kommenden Tagen wird dann der frühere Gladbacher Bundesliga-Profi Chiquinho das Kommando von Peter Neururer übernehmen.

Ein Talent macht Karriere bei der Feuerwehr

Die Trainer bekommen es in der Sportschule Wedau vor allem mit zwei Sorten von arbeitslosen Spielern zu tun. Da wären Routiniers um die 30, so wie Robert Feik. Und auf der anderen Seite nutzen das professionelle Hilfsangebot junge Spieler, die gerade erst dem Juniorenbereich entwachsen und auf der Suche nach der ersten Anstellung im Profibereich sind. Außerdem gibt es noch die Profis, die schnell wieder weg sind, um bei einem Club im Probetraining vorzuspielen, so wie gerade der ehemalige Stürmer der Stuttgarter Kickers, Randy Edwini-Bonsu, oder Fabian Stenzel, der viele Jahre in Chemnitz unter Vertrag stand. Im letzten Jahr wurden am Ende 90 Prozent der Campteilnehmer vermittelt.

Besonders gern erzählt der VDV-Geschäftsführer Ulf Baranowsky in diesem Zusammenhang die Geschichte von Sven Neuhaus. 2011 kam der Torhüter ins Sommercamp, nachdem sein Vertrag beim damaligen Regionalligisten RB Leipzig nicht verlängert worden war. Von dort verpflichtete ihn der Hamburger SV. Weil beim HSV der Stammtorwart Jaroslav Drobny verletzt war, gab Neuhaus nur ein paar Tage später sein Bundesliga-Debüt – mit 34 Jahren. „Fast noch schöner war, dass Neuhaus beim HSV auch einen Anschlussvertrag für einen Job in der Marketingabteilung unterschreiben konnte“, erzählt Baranowsky, der in den vergangenen Jahren auch schon Nationalspieler wie Delron Buckley, Christian Rahn und Lukas Sinkiewicz als Gäste begrüßt hat.

Im VDV-Sommercamp geht es aber nicht allein darum, sich für einen neuen Vertrag in Form zu bringen. Hier erhalten die Spieler auch Lebenshilfe und Antworten auf die Fragen: Wie beziehe ich Arbeitslosengeld, und was bedeutet Hartz IV für mich? Die Spieler können in Duisburg jederzeit eine Rechtsberatung in Anspruch nehmen und den Karrierehelfer kontaktieren. Gemeinsam wird bei Bedarf der individuelle Plan B ausgearbeitet. „Die Leidenszeit sollte nicht unnötig verlängert werden“, sagt Ulf Baranowsky, „manchmal ist der Schlussstrich unter die Profikarriere eindeutig die bessere Option.“ Diese Entscheidung braucht allerdings häufig Zeit. Schließlich muss erst einmal eine schwerwiegende Erkenntnis verarbeitet werden. Nämlich jene, in einem Beruf, dem man oft schon als Kind alles untergeordnet hat, nicht gefragt zu sein.

„Es ist schwierig loszulassen“, sagt Christian Mikolajczak. Der 36-Jährige galt Anfang der 2000er Jahre als eines der größten Talente im deutschen Fußball, als kommender Bundesliga-Star. In seinem ersten Profijahr bei Schalke 04 kommt er auf 13 Erstligapartien, wird Vizemeister und Pokalsieger. Der Mittelfeldspieler ist ein Senkrechtstarter, für den es aber bald nur noch bergab geht. Sein Weg führt über Hannover, Ahlen, Aue, Kiel, FSV Frankfurt, Dresden und Elversberg in die Arbeitslosigkeit. Mikolajczak war in einer Abwärtsspirale, ohne den Ausschalter zu finden. Er sei nicht mit dem nötigen Biss bei der Sache gewesen, hieß es damals über ihn. „Plötzlich war der Handyvertrag der einzige Vertrag, den ich hatte“, erinnert er sich.

Als Chance sieht er ein Engagement in Vietnam. „Aber schon als sich die Tür des Flugzeugs schloss, war mir klar, dass es das nun war mit der Profikarriere in Deutschland.“ Als er auch in Asien nicht unterkommt, kehrt er mit dem Entschluss zurück, sich beruflich ganz neu zu orientieren. Er lässt sich zum Feuerwehrmann umschulen und arbeitet heute als Brandmeister in Oberhausen. Und weil er damit ein Musterbeispiel für den Plan B ist, hat ihn die Fußballergewerkschaft ins Sommercamp eingeladen, wo er den bis zu 25 vertragslosen Spielern bei Bedarf seine Geschichte erzählt und damit einen besonderen Ausweg aufzeigt.