Die Bahnstrecke zwischen Ludwigsburg und Markgröningen ist sehr attraktiv gewesen. Und sie könnte es wieder werden. Die Frage lautet: Warum ist sie dann überhaupt außer Betrieb?

Region: Verena Mayer (ena)

Markgröningen - Wenn man nicht wüsste, dass das Städtchen auf den Fotos Markgröningen zeigt, man könnte es kaum glauben. So geschäftig, so belebt sieht es aus mit seinem herrschaftlichen Bahnhofsgebäude. Und den vielen Menschen und den Gleisen davor. Und dann noch die Züge mit den mächtigen Waggons. Fast wie in einer Großstadt. Aber die Fotos sind uralt.

 

Das Markgröninger Bahnhofsgebäude sieht zwar noch immer schmuck aus, mit der Bahn jedoch hat es nichts mehr zu tun. Und die Gleise davor erkennt man nur, wenn man sie unter Grünzeug und Gestrüpp sucht. In Möglingen, wo man landet, wenn man den Gleisen in Richtung Osten folgt, sieht es nicht viel besser aus. Im Gleisbett der Strecke, die weiter gen Ludwigsburg führt, sind eher Pflanzenbeete. Und alles endet an einem Prellbock – mitten im Nichts.

8,5 Kilometer lang ist die Route zwischen Markgröningen und Ludwigsburg. Wenn man die Debatte über Hoch- oder Niederflurbahnen der vergangenen Monate richtig verstanden hat, wäre die Reaktivierung dieser Strecke eine geniale Sache. Weil damit viele Menschen zu vielen Zielen gelangen könnten. Ohne Auto. Was hingegen nicht so leicht verständlich ist: Warum ist die Strecke überhaupt deaktiviert?

Bus statt Bahn

Der 4. Dezember anno 1916 wurde in Markgröningen, Möglingen und Ludwigsburg nicht groß gefeiert, das Reich befand sich im Krieg. Ein großer Tag war dieser 4. Dezember dennoch: Nach langem politischen Hin und Her ging der 174. Bauabschnitt der Königlich Württembergischen Staats-Eisenbahn in Betrieb – oder, wie die Bevölkerung sagte: das Zügle. Das Zügle änderte vieles in Markgröningen. Die viele Pendler mussten nun nicht mehr erst nach Asperg marschieren, um von dort mit dem Zug nach Ludwigsburg zu gelangen. Sie konnten quasi direkt vor ihrer Haustür in die Bahn steigen. Und das Zügle, in diesem Fall jenes für Güter, brachte den Firmen alles, was sie für ihre Produktion benötigten. Holz, Kohle, flüssiges Gas. Und die fertigen Waren – Lederwaren, Papier, Werkzeuge – fanden von Markgröningen aus ihren Weg in die Welt.

Wenn Peter Fendrich von dieser Zeit berichtet, strahlen seine Augen. Er klingt, als würde er im Zügle sitzen und alles live erleben. Das Dampfen der Dieselloks, das Quietschen der Räder, das Pfeifen des Bahnhofsvorstehers, die Hektik der Passagiere oder das Verladen der Zuckerrüben, für die es ein eigenes Gleis mit eigener Laderampe gab. Peter Fendrich ist im Beirat des Markgröninger Arbeitskreises Geschichtsforschung und Denkmalpflege und 55 Jahre alt. Die Zeit, von der er erzählt, hat er nur kurz erlebt. Fendrich war 14, als die Bahn den Personentransport zwischen Markgröningen und Ludwigsburg 1975 komplett einstellte. Der Betrieb war nicht rentabel genug. Stattdessen beförderte sie die Fahrgäste fortan per Bus.

Viele Aktionen, wenig Erfolg

Peter Fendrich kennt die Historie des Zügles wie kein Zweiter. Seit einer halben Ewigkeit kämpft er mit dem örtlichen Bund für Umwelt und Naturschutz, dem er, das nebenbei, vorsitzt, auch für die Reaktivierung der Strecke. Fendrichs Spitzname in Markgröningen: Mister Zügle.

Im Juni 1987 hat Fendrichs Bund einen Sonderzug zum Schäferlauf nach Bad Urach organisiert. Vier Silberlinge waren im Einsatz, also sehr große Waggons. Trotzdem war der erste Zug schon bei der Abfahrt so „rappelvoll“, dass in Metzingen niemand mehr zusteigen durfte. Der Ansturm auf die Silberlinge jedoch war für Fendrich der Beleg: „Die Markgröninger wollen das Zügle wieder.“ Der Pilotaktion folgten Politikaktionen.

Im Sommer 1991, zum 75. Geburtstag der Strecke, gibt es ein riesiges Bahnhofsfest. Alles, was Rang und Stimme hat, ist eingeladen. Auch der Chef der Württembergischen Eisenbahn-Gesellschaft (WEG). Er bekundet großes Interesse an der Reaktivierung. Und der Bürgermeister Rudolf Kürner verspricht, sich „hartnäckig“ für die Wiederaufnahme einzusetzen.

Im Herbst 1995 wird ein neu entwickelter Regio-Sprinter für Gratis-Testfahrten nach Markgröningen gelotst. Der Andrang ist so groß, dass gar nicht alle Interessenten in das moderne Niederflurvehikel passen.

Im Sommer 1996 schließlich präsentiert das Landratsamt eine Studie, die an Klarheit mehr als eindeutig ist: Der Nutzen der Wiederinbetriebnahme der Strecke Ludwigsburg – Markgröningen für den Personenverkehr überwiege die Kosten um das Sechsfache! Täglich würden 7500 Passagiere das wiederbelebte Zügle nutzen. Binnen 14 Minuten könnte man von hier nach dort gelangen, und mit einem Zuschuss des Landes hätten Ludwigsburg, Markgröningen und Möglingen nur noch 8,3 Millionen Euro selbst zu tragen.

Hat der Zug eine Zukunft?

Was folgt, sind Diskussion über Zuständigkeiten, Finanzierungsfragen, Vor- und Nachteile. Ludwigsburg etwa sieht in der Reaktivierung alleine keinen großen Nutzen für sich, und Möglingen befürchtet die Ausdünnung des Busnetzes und stinkende Loks im Ort, sollte das Zügle wieder fahren. Letztlich passiert: nichts. Außer, dass die Bahn im Jahr 2001 auch den restlichen Gütertransport einstellt. 85 Jahre nach ihrer nicht-feierlichen Eröffnung ist die Strecke endgültig Geschichte. Nur die Firma Lotter im Osten Ludwigsburgs erhält ihre Flüssiggas-Lieferungen noch per Zug. Um den dafür benötigten Gleisabschnitt muss sie sich selbst kümmern.

Und nun? Nun liegt ein Konzept vor, das theoretisch alle Beteiligten toll finden müssten. Die Stadt Ludwigsburg hat es entwickelt. Ein Baustein – genau: die Reaktivierung der Zügle-Strecke. Nicht qualmende Loks, sondern emissionsfreie Triebwagen fahren auf verlängerten Gleisen direkt ins Markgröninger Zentrum; und später bis hinaus auf den Festplatz. Und von Ludwigsburg geht es – in einer Niederflurbahn oder in Schnellbussen – weiter gen Remseck, und in der S-Bahn nach Stuttgart, Esslingen und Leonberg. Das Zügle, kann man feststellen, könnte Teil einer glorreichen Nahverkehrsoffensive werden. Und da die historische Strecke nie entwidmet wurde, wäre nicht einmal ein langwieriges Planfeststellungsverfahren nötig.

Wie es weiter geht? Man wird sehen. Anträge für Fördermittel sind prophylaktisch schon mal gestellt, die Kommunalpolitiker im Kreis diskutieren noch.

Das Bahnhofsgebäude, das zum Schluss, hat die Stadt Markgröningen inzwischen verkauft. Darin wohnt: der Sohn des letzten Markgröninger Bahnhofsvorstehers.