Die Gemeinnützigen Werk- und Wohnstätten (GWW) erhalten weniger Aufträge aus der Automobilindustrie. Aber die Zahl der behinderten und psychisch kranken Mitarbeiter wächst stetig

Böblingen/Calw - Nach drei guten Jahren ist unser Ergebnis im vergangenen Jahr eingebrochen“, sagte Andrea Stratmann, die Geschäftsführerin der Gemeinnützigen Werk- und Wohnstätten (GWW) bei der Bilanzpressekonferenz am Montag. Der Grund: zurückgehende Aufträge der Automobilindustrie, bedingt durch die Modellwechsel im Mercedes-Benz-Werk, aber auch weil die Geschäfte in dieser Branche nicht mehr ganz so gut laufen. Statt eines Gewinns wie im Jahr 2011 von 799 000 Euro erzielte die GWW im vergangenen Jahr nur noch 240 000 Euro. „Das ist eine große Delle in unserem Geschäft. Aber wir sehen eine Perspektive, dass es wieder bergauf geht“, sagte Stratmann

 

Das Ganze ist kein Vergleich zur Krise vor vier Jahren. Damals, als die Wirtschaftskrise das Sindelfinger Mercedes-Benz-Werk mit voller Wucht traf, hatten auch die Behinderten-Werkstätten keine Arbeit mehr. Erstmals mussten sie Beschäftigte entlassen, zwar keine behinderten Menschen, weil die GWW dazu verpflichtet ist, diese aufzunehmen, dafür aber mussten 60 Produktionshelfer gehen.

Abhängig von der Automobilindustrie

Wie viele andere Unternehmen in der Region ist auch das Sozialunternehmen, das in seinen Werkstätten behinderten und psychisch kranken Menschen Arbeit bieten, abhängig von der Situation in der Automobilindustrie. Noch immer ist Daimler einer der wichtigsten Auftraggeber der GWW, hinzu kommen diverse Zulieferbetriebe für die Automobilbranche.

Doch die GWW hat aus der ersten großen Krise 2009 gelernt. Seither hat sie ihr Profil erweitert und neue Geschäftsfelder aufgebaut. Hinzugekommen ist bei der GWW und ihrer Tochter, der Integrationsfirma Femos, zum Beispiel der Bereich Gastronomie. Zwei Cafés betreibt Femos: das Holanka am Sindelfinger Marktplatz, das so gut läuft, dass es jetzt seinen Außenbereich erweitert hat, sowie das Café im Böblinger Mehrgenerationenhaus Treff am See. Diesem mangelt es allerdings noch an Besuchern. „Hier sind wir gemeinsam mit der Stadt Böblingen als Träger des Mehrgenerationenhauses momentan dabei, einiges umzustellen. Da wird sich demnächst etwas verändern“, verspricht die Geschäftsführerin Stratmann.

Notwendig geworden war die Ausweitung der Geschäftsbereiche nicht nur, um die GWW von der Automobilbranche etwas unabhängiger zu machen, sondern auch, weil sowohl die Zahl der behinderten Mitarbeiter als auch deren Ansprüche an einen Arbeitsplatz steigen. „Anders als vor einigen Jahren vom Bundessozialministerium prognostiziert, verzeichnen wir stetig wachsende Mitarbeiterzahlen. Die demografische Wende ist in den Behindertenwerkstätten noch nicht angekommen“, sagt Stratmann. Etwas 15 neue Arbeitsplätze muss die GWW pro Jahr schaffen.

Mehr psychisch kranke Menschen

Vor allem mehr psychisch kranke Menschen kommen zur GWW. „Viele Nischen, die es früher auf dem Arbeitsmarkt gab, sind weggefallen. Die Arbeitsverdichtung macht viele Menschen krank“, erklärt Stratmann diese Entwicklung.

Lange nicht alle Mitarbeiter wollen in einer klassischen Werkstatt arbeiten. Deshalb bietet die GWW mittlerweile Ausbildungen und Arbeitsplätze in zehn unterschiedlichen Geschäftsbereichen an. Dafür steckt das Sozialunternehmen laufend Geld in neue Standorte und neue Technik – im vergangenen Jahr wurde mit gut sieben Millionen Euro soviel investiert wie nie zuvor. Dem Thema Inklusion – also dem gleichberechtigten Zusammenleben und Arbeiten von Menschen mit und ohne Behinderung, für dessen Umsetzung das Sozialministerium derzeit eine Konzeption erstellt, sieht man bei der GWW gelassen entgegen. „Große zentrale Behinderteneinrichtungen werden Probleme bekommen. Die GWW war schon immer sehr dezentral aufgestellt“, sagte der Böblinger Landrat Roland Bernhard, der Vorsitzende der Gesellschafterversammlung.

Dazu gehört auch die Öffnung für neue Zielgruppen. Die GWW will künftig verstärkt Angebote für Menschen mit Autismus machen. „Diese Menschen, die einen ganz speziellen Förderbedarf haben, müssen momentan zur Ausbildung in eine der wenigen Spezialeinrichtungen ziehen. Wir suchen jetzt nach Modellen, die ihnen wohnortnahe Bildungs- und Arbeitsangebote ermöglichen“, sagt Stratmann.