Allergiearmer Sand, Sonnensegel, Umzäunung, keine scharfen Muscheln: An Deutschlands erstem Babystrand haben die Verantwortlichen an alles gedacht. Wirklich? Eine Expertin aus Wien sieht das anders.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Butjadingen - Im niedersächsischen Nordseebad Butjadingen ist Deutschlands erster Strand nur für Babys eröffnet worden. Viele junge Eltern finden das Angebot toll. Aber ist das Strandreservat wirklich gut für so kleine Kinder? Birgit Meerwald, Lebens- und Sozialberaterin von der Arge Erziehungsberatung „Fit for Kids“ in Wien sieht dieses Angebot für Babys kritisch.

 
Frau Meerwald, Sonne, Sand und ein Strand nur für Babys. Wie finden Sie das?
Ich bin absolut kein Fan von Babystränden. Aus meiner Sicht ist das nicht optimal, weil Babys aus sozialen Kontakten mit Älteren, durch Beobachten, Nachahmen und Ausprobieren lernen. Für ihre eigene psychologische Entwicklung ist das sehr wichtig.
Welche Lebensjahre sind in dieser Hinsicht entscheidend?
Die Zeit von der Geburt bis zu dem Kindergartenalter ab dem dritten Lebensjahr. Dann fangen Kleinkinder an, mit Gleichaltrigen zu spielen. Babys spielen noch nicht wie ältere Kinder, weil sie noch nicht differenziert wahrnehmen können. Sie kennen noch kein Ich und Du, sondern nur ein Wir – mit der Mutter oder einer anderen Erziehungsperson.
Würden Sie Ihr Baby an einem solchem Strand abgeben?
Ich hätte meine drei Kinder niemals in eine reine Babygruppe gegeben. Sie haben sehr profitiert von dem Umgang mit ihren älteren Geschwistern.
Es ist das erste Projekt dieser Art, eine Idee von Tourismusmanagern. Ist das der Grund, warum der Baby-Strand aufgeschüttet wurde?
Es ist mehr etwas für die Eltern, damit sie sich gut fühlen, wenn ihre Kinder gut aufgehoben sind und sie ruhig Urlaub machen können. Natürlich ist Kinderbetreuung im Urlaub legitim. Aber für Babys ist der Kontakt zu den Eltern wichtiger als eine jede noch so aktive Bespaßung.
Was ist denn essenziell für Babys?
Das Wichtigste für sie ist gut versorgt zu sein, die Verbindung zu einem Menschen und seine Wärme zu spüren. Im sozialen Kontakt mit anderen Menschen lernen Babys nachzuahmen. Viel mehr braucht ein Baby nicht, um gut zu gedeihen. Ich finde diese Idee eines Babystrands übertrieben. Ich glaube auch nicht, dass es babygerecht ist. Es ist mehr ein Hype für Eltern. Babys ist es viel lieber, Kontakt zu Mutter, Vater und Geschwistern zu haben. Wenn ein Kind ab drei, vier Jahren in einer Spielgruppe ist, ist das sicher spannend. Aber es gibt auch keine Babygruppen und kein Babyschwimmen ohne Eltern. Der Grund: Eltern sollen die Verbindung mit den Kindern spüren und erlernen.
Ist es für Babys bedrohlich, wenn sie an Fremde wie Strand-Pädagogen abgegeben werden?
Das ist davon abhängig, was das für Menschen sind und wie herzensgebildet sie sind. Wenn jemand sehr herzlich ist und eine Bindung und Verbindung aufbauen kann, ist das für ein Baby möglicherweise eine wichtige soziale Erfahrung.
Sollten liebende Eltern ihr Baby überhaupt im Urlaub abgeben?
Wenn es den Eltern durch ein paar Stunden Babystrand so viel besser geht und sie so viel entspannter sind, dass sie danach wirklich eine echte Freude mit ihrem Kind empfinden, finde ich die Idee gut. Aber prinzipiell zu sagen, es ist super, wenn Kinder bespaßt werden und Eltern zuschauen, finde ich falsch. Eltern haben auch eine Verpflichtung, ihren Kindern ihre Aufmerksamkeit zu schenken.
Baby-Strand oder Familien-Strand – was sollten Eltern bevorzugen?
Die Familie als soziales System ist besser als jede institutionelle Einrichtung. Eine Zeit lang hat man das genau umgekehrt gesehen. Einem Baby geht es aber nicht darum, dass es Gleichaltrige trifft. Kinder brauchen ein soziales, familiäres Gefüge. Das muss nicht die traditionelle Form der Familie sein: Mutter ist zu Hause, Vater arbeitet. Auch ein Großelternteil oder ein Geschwisterkind kann Erziehungsaufgaben übernehmen. Kinder brauchen Eltern, die eine Form von gesunder Autorität vermitteln und Grenzen – körperlich wie emotional – aufzeigen. Die sich selbst als Eltern erkennen und aus ihrer Intuition heraus eigene Erfahrungen mit ihren Kindern machen und nicht alles fremdgesteuert übernehmen.

Zur Person: Birgit Meerwald

Birgit Meerwald (48) ist eine Diplom-Lebens- und Sozialberaterin, Supervisorin und Kinesiologin. Seit 2016 leitet sie die Arge Erziehungsberatung „Fit for Kids“ in Wien. Sie ist verheiratet und hat drei Söhne.

Info: Baby-Strand

Der Babystrand in Butjadingen ist rund 250 Quadratmeter groß und kostet keinen Eintritt. Familien mit Kleinkindern seien eine wichtige Zielgruppe, erklärt der Leiter des Tourismus-Service im Nordseebad, Robert Kowitz. Auch andernorts entdecken Deutschlands Touristiker die Allerkleinsten. Dadurch wollten sie die Kunden von morgen frühzeitig an sich binden, erläutert der Markenexperte Christoph Burmann von der Universität Bremen. Kinderfreundlichkeit sei eben generell gut fürs Image und Geschäft.