So kurz vor der Bundestagswahl spielt die Politik auch in den deutschen Fußball hinein. Angela Merkel hat in Toni Kroos einen Fan gefunden. Während Martin Schulz gerne auf eine Beinahekarriere als Profi verweist. Ob’s hilft?

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Ende der 1970erJahre ist der deutsche Nachkriegsfußball politisch geworden. Während der Weltmeisterschaft in Argentinien empfing die Nationalmannschaft den Nazi-Oberst Hans-Ulrich Rudel im DFB-WM-Quartier, was zumindest im linken Lager Fassungslosigkeit hervorrief. Dem gehörte Ewald Lienen an, Stürmerstar bei Borussia Mönchengladbach und politisch interessiert in turbulenten Zeiten, in denen die Nachrüstung mit Nato-Doppelbeschluss und die Stationierung von Pershing-Raketen Deutschland umtrieben. Kapitän Lienen engagierte sich in der Friedensbewegung, was dazu führte, dass einzelne konservative Gladbacher Stadträte ihre Dauerkarten zurückgaben.

 

Noch heute spricht Ewald Lienen voller Dankbarkeit vom damaligen Borussia-Präsidenten Helmut Grashoff, der ihm den Rücken stärkte und die Meinung vertrat, dass Fußballer nicht nur eine politische Meinung haben, sondern die auch formulieren dürfen. So sieht das heute auch Ewald Lienen selbst als Manager des FC St. Pauli. Entsprechend haben sich auch schon Freiburgs Trainer Christian Streich und sein Bremer Kollege Alexander Nouri geäußert. Dennoch sind politische Äußerungen im deutschen Fußball kaum zu hören, nicht einmal unmittelbar vor der Bundestagswahl am Sonntag in einer Woche.

„Es lebe Angie!!!“

Nur Toni Kroos hat so ein bisschen auf Offensive umgestellt: mit einem Tweet im Anschluss an das TV-Duell zwischen Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Herausforderer Martin Schulz. „Es lebe Angie!!!“, schrieb der Star von Real Madrid in seinem privaten Nachrichtenkanal. Was ihm im Netz viel Kritik einbrachte. „Typisch Fußball-Millionär, der im Ausland lebt“, hieß es da häufig. Gut möglich, dass sich Toni Kroos politische Äußerungen künftig verkneift.

Ein drohender Shitstorm im Internet könnte ein Grund dafür sein, dass sich kaum ein deutscher Profifußballer politisch zu Wort meldet, nicht aber ein immer größer werdendes Desinteresse. „Es gibt auch heute wie damals sehr viele Spieler, die politisch interessiert sind, die dezidierte Meinungen haben – diese Meinung aber nicht kundtun“, sagte Ewald Lienen gerade erst in einem Interview.

Gauland, Boateng und der gute Nachbar

Eine weiterer möglicher Grund für die Zurückhaltung der Fußballer: Der Wahlkampf in Deutschland verlief sehr unaufgeregt. CDU, SPD, Grüne und FDP unterscheiden sich in vielen Punkten nur marginal. Die Politik erreicht den Sport aber erst so richtig, wenn sie polarisiert. Zu beobachten war das zuletzt im US-Wahlkampf, wo sich viele berühmte Sportler gegen Donald Trump und für Hillary Clinton ausgesprochen hatten. Sportler sind in der Regel weltoffen, haben viele internationale Kontakte, Freunde aus verschiedenen Religionen und sind deshalb nicht besonders empfänglich für nationalistische Töne. Als der AfD-Mann Alexander Gauland vorgab zu wissen, „die Leute wollen nicht neben Jérôme Boateng wohnen“, erfuhr der Nationalspieler mit ghanaischen Wurzeln aus dem Fußball Zuspruch von allen Seiten.

In der Regel suchen deutsche Politiker die Nähe zu den Bundesliga-Spielern, anstatt sich abzugrenzen. Versprechen sie sich davon doch auch, dass die hohen Sympathiewerte auf sie so ein bisschen abfärben. Besuche von Angela Merkel in der Nationalmannschaftskabine haben bei großen Turnieren Tradition. Mehr Fachwissen dürfte diesbezüglich allerdings bei Martin Schulz zu finden sein, peilte er in jungen Jahren doch selbst eine Profikarriere bei Alemannia Aachen an. Eine schwere Verletzung kam dazwischen.

Kohl erfand den Kabinenkanzler

Der Fußball wird immer wieder zur Projektionsfläche. Da gibt ein Politiker gerne vor, Fan zu sein, will damit Bodenständigkeit suggerieren, nicht abgehoben wirken. Gerhard Schröder war wohl deshalb auch ein Multi-Anhänger, zeigte sich mit dem Clubschal von Borussia Dortmund, Energie Cottbus und von seinem Heimatverein Hannover 96, wo er mittlerweile Chef des Aufsichtsrats ist. Außerdem drückte Schröder bei Bedarf auch Hertha BSC, Werder Bremen und dem 1. FC Kaiserslautern die Daumen.

Helmut Kohl hat als erster deutscher Politiker die Sympathiewerte des Fußballs für sich genutzt und den „Kabinenkanzler“ erfunden. Wie es denn mit Kohl in der Kabine war, wurde Mehmet Scholl bei der EM 1996 in England gefragt. Seine kurze Antwort: „Eng!“

1954 war kein deutscher Politiker im Stadion

Während Politiker heutzutage feste Bestandsteile jedes besseren Fußballspiels sind, saß 1954 kein einziger deutscher Volksvertreter auf der Tribüne des Berner Wankdorfstadions. So gesehen ging der mythische WM-Sieg der Herberger-Elf spurlos an der deutschen Politik vorbei. Kanzler Adenauer, der es mehr mit dem Boccia hielt, befand sich während des Endspiels mit dem griechischen Ministerpräsidenten an Bord eines Rheindampfers. Eine Fußball-Anbiederung, die man heutzutage vielen Politikern unterstellen kann, kam für Adenauer nicht infrage. Den Satz „Wir sind wieder wer“, der nach dem WM-Sieg 1954 häufig formuliert wurde, wollte der Nachkriegskanzler durch seine Anwesenheit nicht noch politisch unterstreichen. Das passte nicht zu Konrad Adenauers Europa-Politik mit der Integration Deutschlands.

Heute gibt es wiederum Politiker, die versuchen, Fußballer auszutricksen. So wie ein Berliner AfD-Politiker und Hertha-Fan, der sich mit Marvin Plattenhardt fotografieren ließ. Als der Nationalspieler merkte, mit wem er da auf dem Bild zu sehen war, ging er gegen die Verbreitung durch die AfD juristisch vor und bekam vor Gericht auch recht. Der Fußball tut gut daran, wenn er sich dagegen wehrt, politisch missbraucht zu werden.

Erst Profifußballer, dann Berufspolitiker

Ganz anders liegt der Fall natürlich bei Christoph Metzelder. Der frühere Innenverteidiger der Nationalmannschaft hat vor Kurzem gesagt , dass er sich eine zweite Karriere als Berufspolitiker durchaus vorstellen könne. CDU-Mitglied ist er schon und in Nordrhein-Westfalen gerade als Wahlhelfer für Angela Merkel aktiv.

So eine Art politische Helfer sind ja auch die Frauen und Männer, die von den Parteien zur Wahl des Bundespräsidenten entsandt werden. Zuletzt wurde Bundestrainer Joachim Löw von den Grünen nominiert. Zuvor war in gleicher Mission auch schon der doch eher unpolitische Pierre Littbarski für die CDU aktiv. Für das Fußballmagazin „11 Freunde“ hat sich Littbarski an seinen Auftritt bei der Wahl Richard von Weizsäckers erinnert: „Sie haben mich in einen schwarzen Anzug gesteckt. Irgendeiner von der Partei hat mit meinem Manager gesprochen, und der hat mir dann erklärt, dass ich meinen Zettel langsam in den Topf schmeißen soll – damit die Fotografen auch genug Zeit haben.“

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