Der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel überrascht bei einem Treffen mit seinem französischen Amtskollegen Arnaud Montebourg in Frankreich mit einem neuem Vorstoß: Die Kosten für die Reformpolitik sollen nicht auf die Defizite angerechnet werden.

Berlin - Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat sich dafür ausgesprochen, den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt zu verändern. Bei einem Besuch im Airbus-Werk im französischen Toulouse sagte Gabriel, die Berechnungen der Defizite in Europa zu überdenken. „Eine Idee dafür könnte zum Beispiel sein, dass die Kosten, die durch Reformpolitik in einzelnen Ländern entstehen, nicht auf die Defizite angerechnet werden“, sagte Gabriel laut Agenturmeldungen. „Diejenigen, die ihren Staat reformieren, müssen etwas mehr Zeit haben, um von ihren Defiziten herunterzukommen“, fügte Gabriel hinzu. Das Bundeswirtschaftsministerium wies jedoch den Eindruck zurück, der Minister wolle den Stabilitätspaket in Frage stellen. Gabriel wolle vielmehr darauf hinweisen, dass den Staaten mehr Zeit eingeräumt werden soll, wenn sie konkrete Reformschritte in Angriff nähmen, erklärte das Ministerium.

 

Die französische Regierung versucht seit Monaten, in Verhandlungen mit Brüssel mehr Zeit für das Einhalten des Defizitziels von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu bekommen. Frankreich erhielt von Kommission und Finanzministerrat schon zwei Mal Aufschub und soll bis 2015 die Defizitgrenze einhalten. Dies gilt aber als höchst unsicher.

Mit seinem Vorstoß findet Gabriel Beifall in Frankreich. Der französische Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg, der die europäischen Sparauflagen wiederholt kritisiert hatte, begrüßte Gabriels Ankündigung. Der Vorschlag des Wirtschaftsministers ist offenbar nicht in der Bundesregierung abgestimmt. In den vergangenen Wochen erklärte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), die Vereinbarungen zur Verringerung der Defizite müssten eingehalten werden. Gabriels Initiative findet auch deshalb große Aufmerksamkeit, weil Deutschland und Frankreich im Jahr 2003 den Stabilitäts- und Wachstumspakt aufgeweicht haben. Deutschland und Frankreich erklärten damals, der Stabilitätspakt dürfe nicht statisch interpretiert werden. Dies führte zu einer Verwässerung. Nach der Finanzkrise korrigierten die EU-Länder diese Lockerung wieder. Seither gilt in der EU eine wieder eine verschärfte Haushaltsüberwachung. Vor allem in südeuropäischen Länder wird der Ruf lauter, die Ankurbelung des Wachstums in den Mittelpunkt der Bemühungen zu stellen.

Veränderungen bei den Stimmrechten im EZB-Rat

Zu organisatorischen Veränderungen kommt es auch in der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Bundesregierung hat keine Einwände dagegen, dass die Deutsche Bundesbank zeitweise auf ihr Stimmrecht Entscheidungsgremium der EZB verzichten muss. Eine Sprecherin von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte, es gebe momentan keinen Anlass, an den vertraglichen Vereinbarungen etwas zu ändern. Weil vom kommenden Jahr an Litauen als 19. Land den Euro einführen wird, sollen die Abstimmungsregeln im EZB-Rat verändert werden. Es ist vorgesehen, dass die Notenbanken aus den großen Euroländern wie Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und die Niederlande ihr Stimmrecht zeitweise verlieren. Das gilt auch für kleinere Eurostaaten.

In der Gruppe der großen Ländern sieht die Stimmverteilung wie folgt aus: Deren Notenbankpräsidenten teilen sich von Januar 2015 an vier Stimmen. Dies bedeutet, dass Bundesbankpräsident Jens Weidmann alle fünf Monate für einen Monat nicht im EZB-Rat mitstimmen darf. Dies gilt allerdings nur für geldpolitische Entscheidungen. Plant die EZB beispielsweise den Ankauf von Staatsanleihen, wäre die Bundesbank jederzeit stimmberechtigt.

Das Bundesfinanzministerium betonte, die Regeln über das Stimmverhalten seien im Jahr 2003 beschlossen worden. Für die Rotation gebe es gute Gründe, so das Ministerium. Es müsse berücksichtigt werden, dass die Vertreter der nationalen Notenbanken auch künftig an allen Sitzungen des EZB-Rats teilnehmen. Dadurch sei sichergestellt, dass die Bundesbank ihren Einfluss geltend mache, so das Finanzressort.

In der Koalition äußerten sich einzelne Abgeordnete skeptisch. Der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch, der zu den Kritikern der Eurorettungspolitik gehört, fordert eine Änderung der Verträge. Es müsse sichergestellt werden, dass der Bundesbank-Präsident jederzeit ein Stimmrecht im EZB-Rat habe, sagte Willsch. Schon seit längerer Zeit wird in Deutschland darüber diskutiert, dass die Deutsche Bundesbank , die 27 Prozent des EZB-Kapitals hält, im Rat nur eine Stimme hat und damit mit den kleineren Eurostaaten wie Malta und Zypern gleichgestellt ist. Der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) hält das für eine gefährliche Entwicklung. Er forderte eine Neuverteilung.

Einwände kommen auch von der eurokritischen Alternative für Deutschland (AfD). Deren Europaabgeordneter Hans-Olaf Henkel sagte der Stuttgarter Zeitung: „In der EZB ist Deutschland nicht mal dabei, wenn auf unser Risiko hin entschieden wird, Staatspapiere von Südländern aufzukaufen.“ Finanzminister Schäuble trage mit seiner Weigerung, das Stimmgewicht Deutschlands in der EZB zu verändern, zur organisierten Verantwortungslosigkeit in Europa bei, meinte Henkel.