Er mag das Wort nicht gerne, aber im Grund genommen ist Steve Reich natürlich einer der Erfinder der Minimal-Music. Mit großen Folgen.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Männer in Plattenläden - meistens sind es ja Männer, denn eine gewisse Nerdigkeit gehört nun mal zum Musiksammeln, wie zu allem Sammeln, dazu - Männer in Plattenläden also wollen in diesen Plattenläden vor allem eines nicht: gestört oder angesprochen werden. Nicht vom Kunden links dran, nicht vom Besitzer. Sie schauen kaum auf beim Fleddern und Blättern und Sortieren, und noch beim Zahlen halten sie den Kopf gesenkt. Kommunikation ist in solchen Geschäften eher ein Fremdwort. Ausnahmen gibt es.

 

Heben, sagen wir, zehn Männer im Laden gleichzeitig die Köpfe, wenn obendrüber Musik erschallt (immer dieselbe Phrase vom Vibrafon: Klong-Klong-Klong-Klong…), dann passiert gerade etwas ganz Besonderes. Und es passierte, weiß Gott, etwas Besonderes, als in einem New Yorker Plattenladen, 1977 zum ersten Mal, versuchsweise die Nonesuch-Version von „Music for 18 Musicians“ von Steve Reich lief: alle, ausnahmslos alle Kunden schauten hoch und hörten verzückt dieser polymodalen Harmonik hinterher – genauer gesagt, elf phasenweise verschobenen Akkorden, denn mehr waren es ja nicht, die hier die Runde machten. Und dann begannen die Männer zu reden, als sei ihnen soeben Jesus persönlich erschienen.

Gleich ein Grammy – für Neue Musik!

Der Komponist Steve Reich indes, noch Schüler von Luciano Berio und Darius Milhaud (und, im Übertragenen, von John Coltrane, Igor Strawinsky und Arnold Schönberg), war da bereits weiter in seiner Entwicklung. Uraufgeführt wurde „Music for 18 Musicians“ schließlich schon 1976, ebenfalls in New York, in der dortigen Townhall; aber nun eroberte es die Welt auf einem Tonträger, für den es gleich einen Grammy gab. Man denke: für Neue Musik!

„My greatest fear: repetition.“, steht in Max Frischs Buch „Montauk“, zeitgleich entstanden: Angstvoll schaute er darauf, nur ja nichts zu sagen, was er schon gesagt hatte. Steve Reich war, wenn man so will (und im Sinne von Brian Eno: „Repetition is a form of change“) vom Gegenteil überzeugt. Ausgehend von Terry Riley und La Monte Young entwickelte er, immer basierend auf einem Instrument zunächst oder zweien im Unisono, Orchestermusik als eine Art harmonische Gitterbildung, die niemals – wirklich niemals! – ihre Wirkung auf den Neuhörer verfehlt.

Steve Reich ist ein eminent neugieriger Musiker geblieben

Gleichermaßen zeigte sich Reich dabei an elektronischen Klängen wie an natürlichen Instrumenten interessiert: „Drumming“ zum Beispiel, ein kolossaler Anderthalbstünder für Bongos, Marimbas und Glockenspiel, Männer- und Frauenstimmen wie Pfeifen und Flöten aller Arten, war das Resultat einer Hörexpedition in Ghana. Über den Import und die Verschneidung von Gamelan-Musik kam Reich zum hebräischen Kirchengesang („Tehillim“). Das Musiktheater revolutionierte er, bei den Wiener Festwochen 1994, gewissermaßen nebenbei: „The Cave“, eine Riesenvideo-Installation seiner Frau, Beryl Korot, sparte Schauspieler aus, um Allermenschlichstes zu zeigen: Judentum, Christentum und Islam legitimieren sich in Interviews, die von den Musikern „kommentiert“ werden. Im Sprachduktus weniger minimal als vielmehr in der Tradition von Leos Janacek stehend, veränderte das Werk gleichermaßen die musikalische wie die politische Ästhetik.

Egal, ob in den „Daniel-Variations“ (gerade neu eingespielt vom MDR-Sinfonieorchester unter Kristjan Järvi) oder mit „Radio Rewrite“, wo er die Musik von Radiohead einer verzwickt schönen, sehr tanzbaren Neuinterpretation unterzieht: Steve Reich ist ein eminent neugieriger Musiker geblieben, dem nach wie vor die Hörer in aller Welt nur so zufliegen. Daraus leitet er die Verpflichtung ab, sich umgedreht darum zu kümmern, was die sich gerade an Klängen ausdenken. Wie soll man da alt werden? Heute feiert der New Yorker Steve Reich seinen achtzigsten Geburtstag.