Der Anteil von Handy- und Onlinefahrkarten wächst rasant. Bei Reisezentren, Agenturen und Automaten regiert dagegen der Rotstift.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Wenn alles funktioniert, macht der DB Navigator eine Bahnfahrt richtig angenehm. Mit der App lassen sich am Smartphone überall und bequem Tickets buchen und bezahlen, Sitzplätze und Radstellplätze reservieren sowie Informationen zur Reise von der Wagenreihung bis zu Verspätungen abrufen. Das kommt an: Das Angebot der Deutschen Bahn AG gehört mit bereits mehr als 60 Millionen Downloads zu den erfolgreichsten Reise-Apps in Europa.

 

Schon 90 Millionen Handytickets pro Jahr

Inzwischen werden pro Jahr über 90 Millionen Handytickets mit dem Navigator gekauft und mehr als eine Milliarde Reiseauskünfte abgerufen. Zudem bietet der DB-Konzern unter Bahn.de den Kauf von Online-Fahrkarten an. Die massiven Investitionen wirken. „Wir sehen, dass sich das Buchungsverhalten seit Jahren grundlegend ändert und immer mehr Reisende ihre Tickets digital buchen“, betont eine DB-Sprecherin. Man gehe davon aus, dass sich dieser Trend fortsetze.

Die Wachstumsraten sind enorm. „Im Fernverkehr werden mittlerweile 84 Prozent der Fahrkarten digital über die App DB Navigator oder Bahn.de gebucht, 2013 waren es noch 51 Prozent“, heißt es beim Konzern. Im Regionalverkehr nutzten die Kunden im vorigen Jahr bereits zu rund 62 Prozent Digitaltickets, hier brachte das Deutschlandticket einen starken Schub. 2013 lag der Anteil noch unter einem Zehntel.

Nur noch 320 von 1000 Reisezentren übrig

Der digitale Direktvertrieb hat für Anbieter einige Vorteile. Man spart Provisionen für Berater und Vermittler, ebenso Kosten für teure stationäre Verkaufsstellen. Zudem kommen die Unternehmen an wertvolle Daten, wenn sich die Kunden registrieren. Der DB-Konkurrent Flixtrain setzt fast ausschließlich auf Onlinevertrieb. Kein Wunder also, dass auch der Staatskonzern viel Geld in diese Kanäle steckt. Beim stationären Verkauf dagegen regiert seit Jahren der Rotstift – zum Leidwesen von Kunden, die im Tarifdschungel Hilfe beim Ticketkauf oder Beratung bei der Reise- und Urlaubsplanung brauchen.

Einfach zum Bahnhof gehen und am Schalter eine Fahrkarte kaufen, das funktioniert vielerorts schon längst nicht mehr. Nach der Bahnreform 1994 verscherbelte die neu formierte Aktiengesellschaft die meisten Empfangsgebäude von Bundes- und Reichsbahn an den mehr als 5000 Bahnhöfen. Aus Kostengründen wurden rund 600 von einst 1000 Reisezentren in den Stationen einfach dichtgemacht und das Personal massiv abgebaut. Schleichend dünnt der Staatskonzern die Schalter weiter aus, inzwischen sind nur noch 320 Beratungs- und Verkaufsstellen mit rund 2000 Beschäftigten übrig.

Wartenummer kommt aufs Smartphone

Eine Strategie, die nicht nur Fahrgastverbände und Gewerkschaften scharf kritisierten und die Politik dennoch duldete. Selbst in mittelgroßen Städten gibt es an Bahnhöfen oft kein Beratungs- oder Sicherheitspersonal mehr, stattdessen nur noch Automaten, Überwachungskameras und zugige Unterstände am Bahnsteig. Der bundeseigene DB-Konzern konzentriert seine Investitionen auf die wichtigsten Städte und Verbindungen, wo die Kunden im Fernverkehr mit seiner ICE-Flotte unterwegs sind.

In den verbliebenen Reisezentren gibt es häufig lange Warteschlangen und knappes Bedienpersonal, zum Verdruss der Kunden. Zumindest in den 25 größten Verkaufsstellen will der Konzern in den nächsten Jahren für 60 Millionen Euro die Empfangsbereiche vergrößern und neue Aufrufsysteme installieren. Kunden können sich dann die Wartenummer auch digital aufs Smartphone schicken lassen. Von mehr Personal ist dagegen nicht die Rede – trotz der wiederholten Kahlschläge bei den Schaltern.

Reisebüros geben Ticketverkauf auf

Auch den Vertrieb über Reisebüros hat der DB-Konzern über die Jahre zusehends abgewürgt. Seit 2023 erhalten viele Agenturen überhaupt keine Vergütung mehr für die Beratung und den Verkauf von Bahnreisen. Schon zuvor strich der Schienenriese trotz heftiger Kritik die Provisionen für Reisebüros immer weiter zusammen. Die Folge: Fast jeder zweite Verkaufspartner hat seine DB-Lizenz inzwischen aufgegeben. Noch Anfang des Jahrtausends konnten sich Kunden bundesweit von rund 3200 Agenturen zu einer Bahnreise beraten lassen und bekamen die passenden Tickets. Inzwischen sind davon nur noch rund 1700 Reisebüros mit DB-Lizenz übrig, wie der Konzern auf Nachfrage mitteilt. Der Deutsche Reiseverband warnte über viele Jahre vergeblich, dass viele Agenturen den oft beratungsintensiven Verkauf von Bahnreisen aufgeben werden, wenn sie dafür wenig oder gar keine Vergütung mehr erhalten. Tatsächlich schadet die Ausdünnung der DB-Agenturen auch dem Klimaschutz, weil es so Kunden zum Beispiel bei der Urlaubsplanung weiter erschwert wird, Alternativen zum umweltschädlichen Fliegen und sachkundige Ansprechpartner zu finden.

Auch die Zahl der Automaten schrumpft

Ticketautomaten sind dabei kaum eine Hilfe – zumal auch deren Zahl sinkt. Bundesweit stehen derzeit noch rund 5000 stationäre DB-Ticketautomaten an rund 3000 Standorten. Das seien rund 16 Prozent weniger als noch 2018, heißt es beim Konzern auf Nachfrage. Die Zahl der Automaten hänge von den Vorgaben der Aufgabenträger im Regionalverkehr und von den gewonnenen Ausschreibungen ab. Denn bei der Vergabe neuer Verkehrsaufträge kann die Politik vorschreiben, dass neben den Digitalangeboten die anderen Verkaufsstellen nicht zu kurz kommen. Ob das auch ausreichend geschieht, ist aber nicht garantiert.