Die Geschwister Niessner haben sich ganz dem Filmschaffen verschrieben. Ihr Firma East End Film sitzt im Stuttgarter Osten – noch.

S-Ost - Ihre Liebe zum Film haben die Geschwister Elaine und Tommy Niessner früh entdeckt. Für den heute 35-Jährigen kamen immer nur zwei Berufe infrage: Filmschaffender oder Archäologe. Letzteres ist „nach wie vor der Plan B“, erzählt er augenzwinkernd. Seine Energie aber investiert er in die gemeinsam mit der Schwester geführte Produktionsfirma. Und da die eigenen Projekte von East End Film einen langen Atem verlangen, stellen sich die Niessners zwischendurch als Dienstleister zur Verfügung – zuletzt zum Beispiel für schwäbische Kollegen und Schweizer Wissenschaftler.

 

Das Eckhaus mit der Nummer 60 in der Ostendstraße beheimatet unter anderem eine passend zum Platz benannte Apotheke und zwei rote Kinosessel. Die stehen im zweiten Stock des Treppenhauses und weisen den Weg ins Reich der Niessners. Hinter der Tür neben den Sesseln leben und arbeiten Elaine und Tommy, verbringen also viel Zeit miteinander. „Aber das klappt gut“, sagt der zwei Jahre ältere Bruder. Streit gebe es bei den beiden höchstens, „wenn ich den Abwasch nicht gemacht habe“.

Bald geht’s in den Westen

Nachdem das Studium die aus Friedrichshafen stammenden Geschwister unter anderem ins australische Queensland und nach München geführt hatte, gründeten sie im Frühjahr 2011 die East End Film GmbH. Die soll diesen Namen auch dann behalten, wenn die Niessners noch in diesem Sommer ihre Geschäftsräume an die Rosenbergstraße im Stuttgarter Westen verlagern, wo mehr Platz zur Entfaltung herrscht. Ihren Fokus legten sie von Anfang an auf Spiel- und Dokumentarfilme, speziell auf internationale Koproduktionen. Mit dem Kurzfilm „Der Ausflug“ von Stefan Najib ging es los, im Sommer 2016 kam der in Stuttgart gedrehte „God of Happiness“ des georgischen Regisseurs Dito Tsintsadze in die Kinos.

Georgien spielt auch für ein eigenes Projekt eine zentrale Rolle, ein DDR-Drama und Bergsteiger-Abenteuer mit dem Arbeitstitel „Transit“, dessen Handlung seine Protagonisten in die Kaukasus-Region Swanetien führt. Tommy Niessners erster Drehbuchentwurf liegt allerdings seit längerem in der Schublade. Es bleibt wenig Zeit, kontinuierlich daran zu arbeiten, die Suche nach Partnern kostet viel Geduld. Außerdem ist die Expertise der Geschwister gefragt, sie leihen sie häufig aus. Elaine Niessner war jüngst bei den Dreh arbeiten von Staffel drei der SWR-Serie „Die Kirche bleibt im Dorf“ engagiert, Tommy Niessner übernahm die Produktionsleitung für den Kinofilm „Laible und Frisch – Do goht dr Doig“.

Ungewöhnliche Unterstützungsanfrage

Von den kurzfristigen Engagements außerhalb ihrer Firma profitiert auf lange Sicht auch die East End Film GmbH, die dadurch weniger unter Erfolgsdruck steht. Die ungewöhnlichste Unterstützungsanfrage in der jüngsten Vergangenheit ereilte die Niessners aus der Schweiz. Die Memory Clinic im Baseler Felix-Platter-Spital beauftragte die Stuttgarter, 35 etwa halbminütige Filmclips zu produzieren. Verwendungszweck: eine Studie für Menschen mit sogenannten neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Demenz.

Die Mediziner tüfteln gemeinsam mit Psychologinnen der Universität Basel an einer deutschsprachigen Umsetzung des bisher nur im englischen Original verfügbaren TASIT-Tests (The awareness of social interference). Sie wollen erforschen, welche Auswirkungen die Krankheiten auf die Fähigkeit von Patienten haben, Emotionen anderer Menschen zu entschlüsseln und ob die Betroffenen in der Lage sind zu unterscheiden, ob ein Gegenüber in einer Situation echten Empfindungen Ausdruck verleiht oder sarkastisch reagiert.

„Eigentlich bin ich ja eher an fiktionalen Stoffen interessiert, aber das war eine sehr spannende Zusammenarbeit“, sagt Elaine Niessner. Im Frühjahr brachte sie acht Theater- und Filmschauspieler in Gaisburg zusammen. Deren Aufgabe: in kurzen, einfachen Szenen am Telefon oder sekundiert von einem Nebendarsteller Emotionen wie Freude, Trauer, Wut oder Angst transportieren. Auch für die Schauspieler war diese Arbeit eine Herausforderung. „Aber sie waren sehr gut vorbereitet. Das hat mir das Regieführen sehr einfach gemacht“, sagt Niessner.

Im Juni haben die Schweizer Wissenschaftler das Drehmaterial gesichtet, bevor es zur Postproduktion an den Ostendplatz zurückkehrte. Für Herbst ist in Basel die erste Testphase geplant. Und bei East End Film? Da sind längst die nächsten Projekte in der Pipeline. Plan B, die Sache mit der Archäologie, wird so schnell nicht aktuell werden.