Sind einer Bewohnerin eines Pflegeheims aus Frust Wunden zugefügt worden? Diese Behauptung steht im Raum. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen eingestellt. Es sei keine Straftat ersichtlich. Doch wie lassen sich die Wunden erklären?

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Die Stimmung im Haus am Birkenwald, einem Pflegeheim des Arbeiter-Samariter-Bundes Stuttgart (ASB), muss im vergangenen Jahr ausgesprochen schlecht gewesen sein. Nach StZ-Informationen kündigten mindestens 15 Fachkräfte und drei Pflegehelfer. Neben der Arbeitsbelastung soll der herrische Führungsstil der damaligen Geschäftsführerin des ASB Stuttgart dafür verantwortlich gewesen sein: „Es kam ein Wahnsinnsdruck von oben, der wurde an uns weiter gegeben“, berichtet eine ehemalige Mitarbeiterin. Andere, zum Teil noch im Haus befindliche Kräfte, äußern sich ähnlich. Ein Mann spricht von einem „Klima der Angst“, die Stimmung habe sich „dramatisch verschlechtert“, als die Geschäftsführerin angefangen habe.

 

Die umstrittene Chefin hat den Verband zum Jahresende 2015 verlassen. Man sei „einvernehmlich auseinander gegangen“, sagt der neue Stuttgarter Geschäftsführer und Landesgeschäftsführer, Lars-Ejnar Sterley. „Die Trennung hat nichts mit der Situation an einem Haus zu tun“, betont Sterley. Sicherlich sei die hohe Zahl der Kündigungen im Haus am Birkenwald „nicht normal“, generell sei die Fluktuation in Stuttgarter Einrichtungen höher als im Landesschnitt (16 Prozent), berichtet er.

Wirbel hat aber noch etwas anderes nach sich gezogen: Ermittlungen der Polizei wegen Gewalt in der Pflege. Der ASB bestätigt die Ermittlungen. Die Heimleitung habe selbst in den zwei Fällen die Kripo und die Heimaufsicht eingeschaltet, berichtet Sterley. Das zeige, dass nichts vertuscht worden sei. In einem Fall ging es um eine Wundversorgung, der andere sei von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden. „Gewalt in der Pflege trifft uns. Wir tun alles, um das zu vermeiden, und wir verfolgen das auch“, betont Sterley „Wir können aber nicht für jeden Mitarbeiter unsere Hand ins Feuer legen.“

Für interne Auseinandersetzungen sorgte vor allem der zweite Fall: Im Februar 2015 hatte eine Bewohnerin Wunden an Hand und Knie, die sich schwer erklären lassen – betroffen war eine halbseitig gelähmte, alleinstehende Frau, die sich nicht mitteilen konnte und oft geschrien hat. Die Frage ist: Hat ihr jemand aus Frust die Wunden mutwillig zugefügt? Mitarbeiter behaupten genau das. Ermittler schließen es aus. Die Mitarbeiter sagen indes, der Fall sei zu schnell zu den Akten gelegt worden.

Frau ist komplett auf fremde Hilfe angewiesen

Konkret geht es um eine Schürfwunde am Knie, die am 3. Februar 2015 festgestellt worden ist. An der Wand haben sich laut interner Dokumente, die der StZ vorliegen, Blutspuren auf der Höhe befunden, wo die Frau gedreht wird. Hinzu kommen Wunden an der rechten Hand, die am 21. Februar erstmals dokumentiert wurden. Es handelte sich laut einem internen Schreiben von der Heimleitung um „Blasen an der Innenfläche sowie zwischen den Fingern“.

Mehrere Personen, die die Wunden damals gesehen haben, berichten gegenüber der StZ, es seien für sie eindeutig Brandwunden gewesen. Die Frau sei „komplett auf fremde Hilfe angewiesen“, sie habe sich die Wunden nicht selbst zufügen können, heißt es. Am 20. Februar sei die Hand außerdem noch unversehrt gewesen. Auf dem von der StZ abgedruckten Foto ist die betroffene Hand einige Wochen nach der ersten Wunddokumentation zu sehen. Fotos, die am 21. Februar gemacht wurden, sollen verschollen sein.

Am 17. März, dreieinhalb Wochen nach der ersten Dokumentation, waren die von der Heimleitung alarmierten Kripobeamten im Haus, darunter ein Experte für Tötungsdelikte. Sie sprachen mit der Heimleiterin, dabei hat diese laut einem Polizeisprecher eine allergische Reaktion als möglichen Grund für die Wunde genannt. Die Beamten begutachteten die Patientin, sie sahen keinerlei Fremdverschulden. Mit den Pflegekräften der Frau sprachen sie nicht.

Für die Staatsanwaltschaft ist keine Straftat ersichtlich

Als eine Mitarbeiterin, die die Wunden am 10. März selbst der Heimleitung gemeldet hatte, erfuhr, dass die Ermittlungen eingestellt seien, konnte sie es nicht fassen. Sie rief die städtische Heimaufsicht an. Dort sah man einen Anfangsverdacht und schaltete die Staatsanwaltschaft ein. Im April kamen erneut Polizeibeamte ins Haus.

„Eine Straftat ist nicht ersichtlich“, sagt der Pressestaatsanwalt Jan Holzner. Die Ermittlungen seien wieder eingestellt, ein ärztliches Gutachten sei nicht notwendig gewesen. Wie die Wunden entstanden sind beziehungsweise wie sich eine fast bewegungsunfähige Frau diese zugefügt haben soll, steht nicht in der „sehr dünnen Akte“. Das sei nicht Aufgabe der Ermittler, so Holzner. Die Patientin habe keine Angst gezeigt und sei in einem guten Pflegezustand gewesen. „Definitiv“ habe die Polizei ausgeschlossen, dass es Brandwunden sein könnten. Es seien Quetschungen. Dadurch sei der Fall und auch die Aussage der Mitarbeiterin, die sich bei der Heimaufsicht gemeldet hatte, anders zu bewerten. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass sie ihrem Arbeitgeber schaden wollte. Dieser habe sich kooperativ verhalten.

Nur ist die ehemalige Mitarbeiterin (mit der die Ermittler damals nicht sprachen) mit ihrer Darstellung nicht alleine. Die Zeugen sollten sich melden, um ihre Angaben zu machen, sagt Holzner. Ein Teil ist dieser Aufforderung nachgekommen. Da die Bewohnerin vor Kurzem gestorben ist, machen sie sich keine Hoffnung mehr, dass der Fall neu aufgerollt werden könnte.

Viele Auseinandersetzungen vor dem Arbeitsgericht

Für die Mitarbeiterin, die sich bei der Heimaufsicht gemeldet hatte, war dies am Arbeitsplatz folgenreich: Sie bekam sofortiges Hausverbot und sollte in ein Heim rund 100 Kilometer von ihrem Zuhause entfernt versetzt werden. Sie kündigte. Auch ein anderer ehemaliger Mitarbeiter berichtet, abgemahnt worden zu sein, weil er den Mund aufgemacht habe. Kurz vor der Rente wollte ihn die Geschäftsführerin zudem in die Nähe von Schwäbisch Hall versetzen. Man traf sich vor dem Arbeitsgericht, die ASB-Chefin ließ sich von ihrem Anwalt vertreten. Die missliebige Mitarbeiterin wiederum erstritt sich vor dem Arbeitsgericht ihr Zeugnis.

Seine Vorgängerin habe sehr schnell Themen vor das Arbeitsgericht gebracht, sagt Sterley. Das sei aber in dem einen Pflegeheim nicht öfter passiert als in anderen Häusern. „Das werden wir in Zukunft anders handhaben“, verspricht der Geschäftsführer. Es ziehe ein anderer Ton ein. Ein gutes Arbeitsklima sei wichtig. So will Sterley einen sicheren Dienstplan einführen, damit Mitarbeiter nicht mehr so oft trotz eines freien Tages arbeiten müssen.

„Ich habe wenig Hoffnung, dass sich etwas bessert“, sagt aber eine aktuelle Pflegekraft. Der Arbeitsdruck sei zu hoch, spricht sie ein generelles Problem der Branche an.