Retrofieber und selige Erinnerungen: Die Band Fehlfarben hat im Theaterhaus ihr Klassiker-Album „Monarchie und Alltag“ präsentiert.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Über Sinn und Unsinn des an und für sich öden Experiments, auf einem Konzert aus Jubiläumsgründen ein ganzes Album komplett herunterzuspielen, lässt sich trefflich streiten. Bei „Monarchie und Alltag“ von den Fehlfarben liegt der Fall anders. Zwar gibt es mitnichten einen runden Geburtstag zu feiern – das Album erschien vor 37 Jahren –, dennoch überzeugt hier die Idee der Komplettdarbietung: Handelt es sich doch um eines der prägendsten Alben, wenn nicht sogar das prägendste Album der deutschen Independentmusikgeschichte. „Monarchie und Alltag“ ist die Ursuppe der deutschen New-Wave-Musik und eine Wendemarke, auch für die Fehlfarben, einst die erste deutsche Punkband, die sich zudem seinerzeit für dieses Werk – auch das ein Debüt in der deutschen Musikhistorie – „kommerziellen Ausverkauf“ vorwerfen lassen musste.

 

Retrofieber und selige Erinnerungen

Retrofieber und selige Erinnerungen sind mithin das Hauptmotiv für den Besuch des Konzerts am Sonntagabend im Theaterhaus, der große Saal ist verblüffend schlecht und erwartungsgemäß mit sehr reifem Publikum besetzt; dass der Autor dieser Zeilen als Saaljüngster durchging, ist ihm jedenfalls schon lange nicht mehr passiert. Im zweiten Teil des Abends spielen die Fehlfarben ein paar neuere und ein paar ältere Stücke sowie zwei sehr angenehme Zugaben, was alles durchweg unterhaltsam ist. Sogkraft entwickelt jedoch der erste Teil, in dem tatsächlich das gesamte Album am Stück und in der Originalabfolge gebracht wird. Schon beim zweiten Stück und den Versen „Es liegt ein Grauschleier über der Stadt“ sind die Déjà-vu-Gefühle voll da, und beim letzten Lied, dem epischen „Paul ist tot“, stehen die berühmten Textzeilen „Was ich haben will, das krieg ich nicht / Und was ich kriegen kann, das gefällt mir nicht“ präsent im Raum, als wären sie erst gestern verfasst worden. Sie stehen für eine Geisteshaltung, für Renegatentum und Pioniergeist, für echte Ablehnung des Bestehenden, kurz für all das, was diese Musik und dieses Album so stark gemacht hat – und im Umkehrschluss für alles, was der heutigen deutschen Popmusik fehlt und was sie oft so erbärmlich schlecht macht. Ein tongewordenes Statement, noch immer, das vom zu Recht beseelten Publikum dankbar als Gedächtnisstütze für eine aufrechte Lebenshaltung wahr- und angenommen wird.

Der unkaputtbare Sänger

Der unkaputtbare Sänger Peter Hein, Bling-Bling-fern in beigefarbener Bügelfaltenhose, ergreift leutselig und häufig das Wort, ihm und all den anderen Veteranen auf der Bühne macht das Musizieren sichtlich Spaß, und was auch nicht immer bei Konzerten zu erleben ist: Gemeinsam mit dem Publikum schwimmen sie an diesem runden Abend auf einer Welle. Schön war’s.