Der Mercedes-Pilot gewinnt in Suzuka und steht dicht vor seinem vierten Titel – auch weil sich Ferrari und Sebastian Vettel wieder einen Patzer erlauben.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Stuttgart - Das war es wohl. Fast angekommen, fast auf gleicher Höhe mit Sebastian Vettel. Nur ein Wunder kann Lewis Hamilton noch den vierten WM-Titel rauben. Er gesellt sich dann zum illustren Kreis der ganz großen Formel-1-Piloten. Bereits beim viertletzten Saisonrennen im texanischen Austin kann er aufsteigen in den „Viererclub“, der momentan noch aus Vettel und dem Franzosen Alain Prost besteht. Nur Juan Manuel Fangio mit fünf Titeln und Michael Schumacher mit sieben Erfolgen stehen dann noch vor ihm.

 

Für Niki Lauda stand schon vor Hamiltons Sieg am Sonntag in Suzuka fest: Er ist der Größte! Diese Urteil ist sicher auch dem Umstand geschuldet, dass der Mercedes-Chefaufseher aus Wien öfter mal als Bauchmensch in Erscheinung tritt. Erst kürzlich ordnete Lauda seinen Schützling historisch höher ein als Schumacher, Fangio, Prost, Jackie Stewart oder Ayrton Senna. „Für mich ist Lewis jetzt schon der größte Fahrer aller Zeiten“, sagte Lauda auch ein bisserl im Überschwang.

Der Mann mit dem Verdienstorden

Auf alle Fälle hat Lewis Carl Davidson Hamilton, längst versehen mit dem britischen Verdienstorden MBE, das große Versprechen für die Zukunft eingelöst, mit dem er antratt, als ihn Ron Dennis 2007 erstmals in einen Formel-1-Boliden setzte. Vizeweltmeister im ersten Jahr, Weltmeister im zweiten und nach einer durch die Red-Bull-Dominanz verursachten längeren Durststrecke folgten die Titel zwei und drei im reinen Werksteam von Mercedes. Nun steht mit hoher Wahrscheinlichkeit die vierte Auszeichnung bevor. Seit 2014 ist die Formel 1 geprägt von der Ära Hamilton.

In der ausgezeichneten Position, nach Vettels Suzuka-Nullnummer stramme 59 Zähler Vorsprung zu haben, hatte der Engländer gut reden. Noch ist die Messe nicht gelesen, noch ist nix gewonnen. „Es sind 100 Punkte zu vergeben. Ich finde nicht, dass ich schon eine Hand am Pokal habe“, sprach der 32 Jahre alte Rennfahrer in aller Bescheidenheit und winkte ab. Er wusste aber auch, dass er einen riesigen Schritt gemacht hatte auf der anspruchsvollen japanischen Achterbahn. „Ehrlich gesagt, konnte ich von so einem Vorsprung in der Fahrerwertung nur träumen“, gab er zu Protokoll. Vor allem durch den heranfliegenden Red-Bull-Mann Max Verstappen sei das Rennen kein Spaziergang gewesen.

118 von 125 möglichen Punkten

Auf die Distanz betrachtet waren die vergangenen Auftritte des Mercedes-Piloten jedoch nichts weiter als eine Wanderung der gemütlichen Sorte. Mit Siegen in Spa, Monza, Singapur und nun Suzuka sowie dem zweiten Platz von Malaysia holte Hamilton nach den Ferien 118 der möglichen 125 Zähler – während Vettels Ferrari im WM-Zweikampf Zicken machte. Zuvor war spürbar geworden, wie nervös Mercedes wurde, weil sich die rote Mannschaft als erstaunlich widerstandsfähig und sogar auf schnellen Rundkursen durchaus konkurrenzfähig zeigte. Daraufhin hat die Mercedes-Truppe um den Teamchef Toto Wolff noch einmal alle Kräfte gebündelt und eine Schippe draufgelegt. „Ich verdanke alles dem Team, es ist so akribisch. Ohne die Zuverlässigkeit meiner Mannschaft hätten wir diese Ergebnisse nicht holen können“, lobte Hamilton seine 1300 Kollegen, die sich – wie schon in den Jahren zuvor – für ihren Superstar zerrissen haben.

Stammgast im Jetset

Lewis Hamilton ist die zentrale Figur der Serie, das wissen sie in den Mercedes-Werken in England. Während sich der eher hausbackene Rivale Vettel auf seinem Schweizer Bauernhof zurückzieht, trifft sich Hamilton mit seinem Kumpel Neymar und ist Stammgast im Leben, das man Jetset nennt. Doch wenn er an die Rennstrecke kommt, ist er fokussiert. Scheinbar mühelos gelingt ihm den Spagat zwischen ausschweifendem Lebensstil und höchster Professionalität im Beruf. Wenn es mal nicht läuft, sinkt die Laune brutal in den Keller. Wenn er dann aber wieder seine Chance spürt, präsentiert er sich höflich, charmant und gibt Kostproben seines intelligenten Humors. In diesen Phasen, und in einer solchen befindet sich Hamilton seit Wochen, ist er einfach unbesiegbar.

Wolff will bescheiden bleiben

Ob er den vierten Titel in zwei Wochen in den USA oder später holt: egal. Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit – auch wenn Toto Wolff auf die Bremse tritt und sagt: „Wir müssen bescheiden bleiben.“ Allerdings ändert der sich ankündigende Erfolg nichts an der Tatsache, dass Lewis Hamilton ein außergewöhnlicher Rennfahrer ist – Niki Lauda liegt in diesem Punkt gar nicht so falsch.