Am Samstag führte eine Stadtführung in Geschichte und Gegenwart von Ostheim und Gablenberg ein – sehr unterhaltsame Informationen inklusive.

S-Ost - Jörg Kleinbeck ist sicher: „Selbst wenn man denkt, man kenne seinen Bezirk ganz gut: es gibt doch immer wieder Neues zu entdecken“, sagt er zufrieden, als er zusammen mit 16 weiteren wissbegierigen Stuttgartern den Innenhof des Kübler Areals an der Ostendstraße verlässt. Ende April hat er selbst eine Gruppe auf den Spuren von Historismus und Neugotik durch den Stuttgarter Osten geführt. Am Samstag folgt er Gerhard Götze und Ulrich Gohl auf einem Stadtteilspaziergang durch Ostheim und Gablenberg.

 

Der Zwischenstopp auf dem Gelände der ehemaligen Paul Kübler & Co. Strickwarenfabrik bringt unter anderem die Erkenntnis mit sich, dass hier die Firma Pixomondo zuhause ist – ein international tätiger Spezialist für visuelle Effekte, der bereits mit einem Oscar und zwei Emmys ausgezeichnet wurde – Letzteres für Beiträge zur Erfolgsserie „Game Of Thrones“. Auch ein Sozialkaufhaus und ein Institut für Sprecherziehung finden sich heute dort, wo in der Vergangenheit kratzige Trikots gefertigt werden, wie Gohl anschaulich erklärt. Das Stadtleben anno 2017 verbindet sich mit der Geschichte.

Location für Pfarrer-Serien

Die Route der Stadtführung des Kulturtreffs Ost, die mit einem Abstecher in die Kolonie Ostheim beginnt, orientiert sich an markanten Gebäuden, Plätzen und Straßen. Man wolle sich auf das Wesentliche konzentrieren, heißt es vorab. Der Bezirk soll für Einsteiger strukturiert werden. Das bedeutet nicht, dass auf unterhaltsame Detailinformationen verzichtet wird. „Hier wurde für die Fernsehserien ,Oh Gott, Herr Pfarrer‘ und ,Pfarrerin Lenau‘ gedreht“, erklärt Gohl auf dem Platz vor der Lukaskirche in Ostheim. Götze preist unterdessen das alljährliche Sommerfest an: „Da sollten sie unbedingt vorbeikommen. Die Stimmung hier ist immer etwas ganz Besonderes.“ Als weniger herausragend empfindet er die Architektur des Gotteshauses: „Neogotisch zu bauen war zwischen 1871 und 1910 verpflichtend“, erläutert der gebürtige Spandauer. „Die Gotik wurde als urdeutsch empfunden und zum Maß aller Dinge erklärt, bis man feststellte, dass ihre Ursprünge in Frankreich lagen. Die neugotischen Kirchen sind daher im Grunde ziemlich austauschbar.“

Der Osten hat viele Gesichter. Die Kreuzung Hackstraße/Ostendstraße zählt sicherlich zu den unattraktivsten. Umso angenehmer gestaltet sich der Aufenthalt im Kulturpark Berg, der die Gruppe nach Überquerung der Verkehrsader erwartet. Zwischen der Merz-Akademie und dem Haus des Dokumentarfilms entwickelt sich mittlerweile eine grüne Heimstätte für die Kunst. Unter anderem hat Erich Hausers Stahlskulptur, die aus der Raichberg-Realschule verbannt wurde, ein neues Zuhause zwischen den Bäumen gefunden. Eine kleine Überraschung schlummert auf der anderen Seite des Akademiegebäudes: Zwischen Moos und Farn sind die Umrisse von Minigolf-Bahnen erkennbar. „Der Bezirksbeirat Ost hat die Wiederherstellung der Anlage schon x-Mal thematisiert, die Stadt und die Merz-Akademie haben schon x-Mal ihre Unterstützung zugesagt, aber es passiert einfach nichts“, kommentiert Ulrich Gohl, was man als kleine Tragödie, aber auch als Farce betrachten kann.

Der Rundgang macht neugierig

Einen Höhepunkt der Führung markieren Gerhard Götzes Ausführungen zum „roten Osten“, etwa den Konflikten zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten in den 20er-Jahren: „Der Ostendplatz hieß damals im Volksmund ,Roter Platz‘“, so die sachkundige Auskunft. „Die Polizei zeigte sich dort sicherheitshalber nur in Mannschaftstärke.“ Dass die Stimmung mit dem Erstarken der Nationalsozialisten nicht friedlicher wurde, lässt sich denken. Auch sie haben Spuren im Stadtteil hinterlassen: Die Führung endet auf dem Schmalzmarkt in Gablenberg. Das heutige Volkshaus, das den Platz bestimmt, wurde von den Nazis als „Haus der Volkstreue“ errichtet. Der Rundgang macht neugierig. Auf dem Rückweg gen Ostendplatz macht ein Paar nochmals Halt in der vom Jugendstil geprägten Schlösslestraße, um ein paar Bilder zu schießen. Zwei Damen denken laut über einen möglichen Besuch im Kulturwerk nach. Die Eindrücke des Nachmittags klingen nach.