Nach dem abrupten Abgang des bisherigen VW-Chefs Matthias Müller startet der neue Spitzenmann Herbert Diess mit einer großen Machtfülle. Betriebsratschef Bernd Osterloh schickt einen engen Vertrauten in den Konzernvorstand.

Stuttgart - Erst an diesem Montag wurde der bisherige VW-Konzernchef Matthias Müller überraschend damit konfrontiert, dass er den Platz an der Spitze für den bisherigen VW-Markenchef Herbert Diess räumen soll. Am Freitag, nachdem die Aufsichtsräte den abrupten Wechsel beschlossen haben, loben der Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch und der neue Konzernchef Diess den Geschassten in einer Pressekonferenz in höchsten Tönen. „Die Zusammenarbeit war sehr produktiv und vertrauensvoll“, sagt Diess. Er habe großen Respekt davor, was der bisherige Konzernchef geleistet habe. Man sei „in Freundschaft und gegenseitigem Respekt auseinandergegangen“, sagt Pötsch. Müller habe in den 44 Jahren, in denen er für den Wolfsburger Autohersteller arbeitete, Hervorragendes geleistet. Er sei immer bereit gewesen, Verantwortung zu übernehmen, wenn es irgendwo brannte.

 

Pötschs Einschätzung gilt gewiss auch für die vergangenen Jahre. Unter Müllers Führung ist es gelungen, gefährliche, vom Abgasskandal ausgelöste juristische Brandherde in Amerika zu löschen, riskante Sammelklagen abzuwenden und den Streit mit der US-Regierung beizulegen. Müller hat den größten Autokonzern der Welt aus der schlimmsten Krise der Firmengeschichte gesteuert, binnen weniger Jahre aus einem Rekordverlust einen Rekordgewinn gemacht und, wenn auch spät, Weichen für den Vorstoß in die Elektromobilität und den Aufbau neuer Mobilitätsdienstleistungen gestellt. Allerdings provozierte Müller mit manchen politisch nicht korrekten Äußerungen, etwa der Forderung nach einer Abschaffung der Dieselsubventionen, die VW-Eigner aus dem PS-Clan der Porsches und Piëchs sowie den Großaktionär Niedersachsen. War dies der Grund für den plötzlichen Wechsel an der Konzernspitze? „Man wird nicht weit kommen, wenn man irgendwelche Gründe sucht“, antwortet Pötsch zunächst ausweichend, spricht von der großen Dynamik des Wandels in der Branche und nennt als wesentlichen Beweggrund für die Entscheidung, dass der Aufsichtsrat ein Team haben wollte, das die in nächster Zeit erforderlichen Entscheidungen nicht nur trifft, sondern auch noch an Bord sei, wenn die Auswirkungen dieser Entscheidungen gemessen werden könnten.

In dieser Hinsicht ist Müller, der im Juni 65 Jahre alt wird, im Nachteil gegenüber Diess, der allerdings auch schon 59 ist. Müller soll nun bis zum Ende des Vertrags 2020 „Berater“ des VW-Konzerns bleiben. Was das genau bedeutet, bleibt jedoch unklar. Er werde Kontakt zu Müller aufnehmen, wenn sich das eine oder andere Thema anbiete, antwortet Pötsch vage auf die Frage eines Journalisten.

Der neue Konzernchef Diess hat seit seinem Wechsel von BMW zum Wolfsburger Konzern bewiesen, dass er einen harten Kurs bei der Kostensenkung durchsetzen kann, und auch in Talkshows eine gute Figur macht. Binnen weniger Jahre ist die wichtigste Marke des Konzerns wieder deutlich profitabler geworden. Damit hat er sich für den Aufstieg an die Konzernspitze empfohlen, wie der Aufsichtsratschef hervorhebt.

Diess hat die Marke VW deutlich profitabler gemacht

Der ehrgeizige neue Konzernchef will nun Tempo machen, die Marke VW weiter voranbringen und insgesamt den Umbau des gesamten Konzerns beschleunigen. Die Herausforderungen sind gewaltig. Der Umstieg vom Verbrenner zur Elektromobilität, der Weg zum autonomen Fahren, der Aufbau neuer Mobilitätsdienstleistungen kosten viel Geld und verlangen viel strategisches Denken. Der VW-Konzern ist dafür nicht gut positioniert. Viel zu spät ist in den vergangenen Jahren die Entwicklung einer ganzen Flotte von Elektrofahrzeugen angeschoben worden, etliche Marken des Konzerns experimentieren mit neuen digitalen Angeboten.

Im Vergleich mit BMW oder Daimler liegen die Wolfsburger jedoch noch meilenweit zurück. Um schneller voranzukommen, will Diess die Organisation des Konzerns umbauen. Aus dem Tanker solle ein loser Verband von Schiffen werden, veranschaulicht Diess seine Vision. Viele Entscheidungen sollen künftig nicht auf der Konzernebene, sondern in einzelnen Markengruppen fallen, die sich an den einzelnen Preisklassen orientieren. Dazu werden die Markengruppen „Volumen“ (VW, Seat, Skoda), „Premium“ (Audi), „Superpremium“ (Porsche, Bentley, Bugatti und Lamborghini) gebildet. Darüber hinaus gibt es die Nutzfahrzeugtochter Truck & Bus, die für einen Börsengang vorbereitet wird, sowie spezielle Einheiten für das China-Geschäft, Finanzdienstleistungen und den Einkauf, der auch die konzerneigenen Zulieferwerke führen soll.

Im Zuge dieser Neuordnung erhält Diess eine große Machtfülle. Er ist nicht nur Chef des Konzerns, sondern bleibt auch Chef der Marke VW und übernimmt zudem die Führung der Volumenmarken Skoda und Seat. Auch wird Diess konzernweit für Forschung und Entwicklung sowie die Fahrzeug-IT, also alle Vernetzungsthemen zuständig sein.

Betriebsratschef Bernd Osterloh baut seine Macht aus

Zugleich sieht es ganz danach aus, dass der mächtige Betriebsratschef Bernd Osterloh, der auch im Aufsichtsrat mehr als ein Wörtchen mitzureden hat, seinen Einfluss weiter ausbaut. Denn ausgerechnet Gunnar Kilian, der Generalsekretär des Betriebsrats und enge Vertraute von Osterloh, wird zum Personalvorstand befördert. Er ersetzt Karlheinz Blessing, der bei den Arbeitnehmern in Ungnade gefallen war. Dieser im Aufsichtsrat ausgehandelte Deal hat gewiss ein Gschmäckle. Der Aufsichtsratschef versucht indes den Eindruck zu entkräften, dass Kilian als verlängerter Arm des Betriebsratschefs agieren wird. Pötsch weist darauf hin, dass Kilian nicht nur für den Betriebsrat gearbeitet, sondern vor einigen Jahren auch das Büro des damaligen Aufsichtsratschefs Ferdinand Piëch in Salzburg geleitet habe. „Wir sind absolut überzeugt, dass Kilian das Rollenspiel im neuen Vorstand hinbekommt“, sagt Pötsch.