Eine Frau aus Stuttgart-Sillenbuch muss aus ihrer derzeitigen Wohnung raus, weil ihr der Vermieter gekündigt hat. Obwohl sie bei der Wohnungssuche Hilfe vom Gemeindepsychatrischen Zentrum bekommt, tut sich bislang nichts.

Birkach/Sillenbuch - Der Zwergpudel liegt verschlafen auf dem Sofa. Er ist so klein, dass er in eine Handtasche passen würde. „Dabei ist meine Mary schon erwachsen“, sagt Stefanie Reuters. Die 26-Jährige heißt in Wirklichkeit anders. Sie will nicht erkannt werden, weil Verwandte wie sie im Bezirk Sillenbuch leben. Reuters leidet an einer chronischen Krankheit. Da diese die Psyche betrifft, hat Reuters gelernt, in der Öffentlichkeit über ihr Leiden zu schweigen. Besonders jetzt, wo sie eine neue Wohnung sucht, will sie lieber vorsichtig sein, wem sie etwas über ihre Krankheit erzählt.

 

Reuters krault den dösenden Hund. Die Mary sei ihre Stütze, sagt sie. Vielleicht weil der Pudel Streicheleinheiten sucht, egal ob es Frauchen gerade psychisch gut geht oder nicht. Ohne Mary würde sie nirgendwo wohnen wollen, sagt Reuters. Doch der Hund macht die Suche nach einer Wohnung auch nicht unbedingt leichter.

„Alle wollen wissen, was ich arbeite und verdiene“

Claudia Röser vom Gemeindepsychiatrischen Zentrum (GPZ) in Birkach unterstützt Reuters bei einer Suche, die kein Ende nimmt. Sie hat es sich ebenfalls auf Reuters Sofa bequem gemacht. „Wir haben keine weiteren Möglichkeiten als das, was wir bisher probiert haben“, sagt Röser. Ihre Klientin müsse aus ihrer Wohnung, da der Vermieter ihr gekündigt habe, berichtet sie. Doch alle Arten der Wohnungssuche hätten nicht gefruchtet: Anzeigen, Makler, sogar das Herumfragen an Kiosken oder in Geschäften – bisher sei alles umsonst gewesen, sagt die GPZ-Mitarbeiterin.

Stefanie Reuters ahnt, warum niemand an sie vermieten will. „Alle wollen wissen, was ich arbeite und was ich verdiene. Ich lebe aber derzeit von Grundsicherung. Da werde ich nicht einmal zu Besichtigungsterminen eingeladen.“ Sollten alle Stricke reißen, könnte Reuters in eine städtische Fürsorgeunterkunft ziehen. Mary, der Zwergpudel, dürfte dann aber wahrscheinlich nicht mitkommen.

Doch nicht nur der Abschied vom Hund drohe, meint die GPZ-Mitarbeiterin Röser. Für viele psychisch Kranke sei das Leben in solchen Unterkünften nur schwer zu ertragen. „Da leben viele Menschen mit Problemen eng beieinander, das ist für psychisch Kranke sehr belastend.“ Einige würden sich deshalb eher für ein Leben auf der Straße entscheiden. Stefanie Reuters sagt, dass sie davor Angst habe. Sicher, Reuters habe ein Anrecht auf einen Wohnberechtigungsschein, erklärt die GPZ-Mitarbeiterin. Aber auch damit käme sie zunächst nur auf eine Warteliste. Ein bis zwei Jahre könne es schon dauern, bis eine Sozialwohnung frei werde, meint sie.

Am liebsten in einer ruhigen Umgebung wohnen

In den vergangenen Jahren sei die Wohnungssuche für psychisch Kranke in Stuttgart nicht leichter geworden, sagt sie. Da einige Betroffene erwerbslos sind oder waren, stehen sie auch noch mit anderen sozial schwachen Gruppen wie zum Beispiel Flüchtlingen in einem Wettbewerb um den ohnehin begrenzten günstigen Wohnraum in der Landeshauptstadt. Das GPZ mietet deshalb selbst Wohnungen an und vermietet diese an Klienten für einen begrenzten Zeitraum weiter. Wer stabilisiert genug ist, müsse sich selbst um eine Wohnung kümmern, erklärt Röser.

Stefanie Reuters holt sich einen Energydrink aus dem Kühlschrank. Fast so, als wollte sie mit der koffeinhaltigen Brause ihre Entschlossenheit unterstreichen. Sie soll ja bekanntlich Flügel verleihen. Doch wohin sollten diese die junge Frau tragen, wenn sie einen Wunsch frei hätte? „Ich würde gerne an einer Endhaltestelle wohnen, wo ich schnell mit Mary ins Grüne kann. Ich brauche eine ruhige Umgebung, in der Stadt ist es mir zu anstrengend“, sagt sie. Der Stress in der Stadt täte ihrer Klientin nicht gut, meint auch ihre Helferin.

Stefanie Reuters glaubt nicht, dass eine vorübergehend von der GPZ angemietete Wohnung ihr wirklich weiterhelfen würde. „Wenn ich da dann wieder ausziehen muss, ist es vielleicht noch schwieriger, eine eigene Wohnung zu finden“, sagt sie.

Notfalls zieht sie erst einmal zu Freunden

Die junge Frau hat es sich in ihrer Noch-Wohnung gemütlich gemacht. Das breite Sofa lädt zum Hineinkuscheln ein. Reuters hat viele Pflanzen aufgestellt. Alles ist sauber, und es riecht nach Duftöl. Für psychisch Kranke sei ein eigener Schutzraum sehr wichtig, sagt Röser. Eigentlich sei die zum harten Wettbewerb ausgeartete Wohnungssuche in Stuttgart etwas, das psychisch Kranken kaum zumutbar sei, sagt sie. Als sozial Schwache und bisweilen Verhaltensauffällige würden sie als Erste aussortiert. Sie kämen psychisch dann mit den Zurückweisungen noch weniger zurecht als Gesunde, sagt Claudia Röser.

Stefanie Reuters würde zunächst zu Freunden ziehen, sollten alle Bemühungen scheitern, eine neue Wohnung zu finden. „Andere Kranke haben gar kein soziales Umfeld mehr, da habe ich echt noch Glück“, sagt sie. Wie lange sie aber bei ihren Freunden unterkommen könnte, wagt sie nicht, abzuschätzen. Sie wisse, dass es auch auf Freundschaft keine unendliche Gewähr gebe, sagt sie. „Eine Garantie für mich wäre eine eigene Wohnung, in der ich dauerhaft bleiben könnte.“