Das südostasiatische Land ist international kaum berühmt für seinen Kaffee. Dabei könnte sich der Rest des Planeten hier viel abgucken.

Sobald sich seine Gäste um einen Stehtisch versammelt haben, doziert Lucas: „Mag schon sein, dass Vietnam keinen Ruf dafür hat, den besten Kaffee zu produzieren.“ Aber, erklärt der junge Mann aus Hanoi, der sich für sein internationales Publikum auch einen internationalen Namen verpasst hat: „Wer denkt, wir hätten hier nichts Besonderes zu bieten, liegt eindeutig falsch.“ Kein Land der Welt sei in seiner Art, Kaffee zu trinken, vergleichbar mit Vietnam, beteuert der Röster. „Versprochen!“

 

Lucas, ein stämmiger Herr mit schulterlangem Haar, arbeitet für die Su Quang Rösterei im historischen Zentrum Hanois, der vietnamesischen Hauptstadt. Das, was er an diesem Nachmittag macht, tut er zwei- bis dreimal am Tag: Besuchenden aus aller Welt erklären, wie einzigartig die Kultur seines Landes sei, wenn es um eines der weltweit beliebtesten Getränke gehe: Kaffee. „Wir kommen weniger über die Bohnen als über die Zubereitungen“, behauptet er. Was für seine These spricht: Die Kurse, die darüber informieren, wie man in Vietnam seinen Kaffee trinkt, sind täglich ausgebucht.

Ein Glas Kaffee mit dicker Kondensmilch

Weltweit gelten Brasilien, Kolumbien oder Äthiopien als Hochburgen des koffeinhaltigen Wachmachers. Allmählich aber spricht sich eben auch herum, dass Vietnam dazugehört. Schon länger ist das südostasiatische 97-Millionen-Einwohner-Land der nach Brasilien zweitgrößte Kaffeeproduzent des Planeten. In Deutschland boomen seit einiger Zeit auch vietnamesische Restaurants, die nach den Gerichten oft „vietnamesischen Kaffee“ anbieten – dann kommt ein Glas an den Tisch, dessen Boden mit einer üppigen Schicht Kondensmilch bedeckt ist. Darüber ein kleiner Filter aus Metall, durch den ein starker Kaffee aus meist nussiger Bohne tröpfelt.

„Das trinken wir hier sehr häufig“, betont Lucas, der Röster. Es ist die günstigste Art, seinen Kaffee zu trinken. In den unzähligen Cafés vietnamesischer Städte kostet ein Ca Phe Sua Da (Kaffee mit Kondensmilch) meist um die 15 000 Dong (circa 60 Cent). Für Wohlstand steht diese Machart allerdings kaum, denn die Kondensmilch darin ist ein billiger Ersatz aus einer Zeit, als Milch eine teure Mangelware war, der Kolonialzeit.

In Hanoi trinkt man gern Eierkaffee

Auch, wenn vietnamesische Bauern den Kaffeeanbau nahezu perfektioniert haben, zu weltweitem Ruhm brachte es vietnamesischer Kaffee kaum. „Unsere klimatischen Bedingungen eignen sich vor allem für Bohnen des Typs Robusta“, erklärt Lucas. Feinschmecker schwören dagegen eher auf Arabica-Bohnen. „Aber was die Feinschmecker oft nicht wissen“, sagt Lucas und hebt mahnend seinen Zeigefinger: „Wir machen aus jeder Bohne einen hervorragenden Kaffee.“ Die bonbonsüße Variante des Ca Phe Sua Da mit Kondensmilch ist nur das simpelste Rezept. Röster und Barristas in Hanoi und anderen Städten zeichnen sich dadurch aus, alle möglichen Getränketypen zu beherrschen. Diverse Städte haben ihren eigenen Klassiker.

In Hanoi trinkt man zum Beispiel gern Eierkaffee, für den Eidotter ins Getränk gegeben wird. Populär wurde der Drink im Vietnamkrieg. Milch war Mangelware. Ein findiger Kaffeehausbetreiber mixte das zusammen, was ihm blieb: Aus Eigelb, etwas Kondensmilch und Honig rührte er eine schaumige Masse, die er wie ein Häubchen auf den Kaffee setzte. Das Getränk gehört heute zu den beliebtesten des Landes. Es schmeckt wie ein flüssiger, sämiger Kaffeekuchen.

Für die Feinschmecker gibt es auch etwas Teures

Ein anderes Getränk ist Salzkaffee. Zu einem schwarzen Kaffee wird hier eine leichte, süße Creme gegeben, die allerdings durch eine gute Prise Salz geprägt ist. Das Ganze schmeckt nach Salted Caramel, denn Salz überdeckt einige Bitterstoffe im Kaffee.

Und für die Feinschmecker gibt es auch etwas Teures – Wieselkaffee. Am Rande des Stadtzentrums von Saigon, der größten Metropole im Süden, hält Thuy Uyen Bui ein paar verklebte, harte Bohnen in der Hand und grinst: „Das hier ist die Scheiße!“, sagt die junge Frau auf Englisch. Kein Scherz: Es sind die Exkremente eines Wiesels, das auf der Farm des Café Legend Revived herumliegende Bohnen gegessen, verdaut und wieder ausgeschieden hat. Dieses Endprodukt ist dann der Rohstoff für heiß aufgegossenen, schwarz genossenen Kaffee.

Ein besonderes Genussmittel, das auch mal was kosten darf

Auch diese Machart hat ihre Ursprünge in der Kolonialzeit. Denn die vietnamesischen Bauern mussten Kaffee zwar anbauen, durften ihn aber anfangs nicht verzehren. Eines Tages kam dann ein findiger Bauer auf die Idee, das Ausgeschiedene eines Wiesels zu rösten. Bald sprach sich herum, dass diese leicht nussige, holzige, matte Note köstlich war. Später fand man heraus, dass es die Verdauungsenzyme der Wiesel sind, die die Bohnen so fermentieren, dass sie am Ende ihren besonderen Geschmack erhalten. Aus Abfall wurde Luxus. Eine Tasse kostet hier umgerechnet rund zehn Euro. In einem Land, wo das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf rund 3700 Euro beträgt, ist das ein kleines Vermögen.

„Für uns Vietnamesen ist Kaffee viel mehr als nur ein Getränk“, erklärt Thuy Uyen Bui. Die junge Frau will wohl sagen, dass Kaffee für die Menschen hier eine gesellige Angelegenheit ist, ein besonderes Genussmittel, das auch mal was kosten darf. Aber auch sprichwörtlich hat sie recht: In Vietnam ist Kaffee nicht ein Getränk, sondern sehr viele verschiedene.

Kaffeeanbau in Vietnam

Geschichte
 Die Geschichte des vietnamesischen Kaffee beginnt Mitte des 19. Jahrhunderts, als Frankreich hier Kolonialmacht wurde. Damals wollten die europäischen Imperialisten im fernen Südosten nicht auf ihre Kaffeekultur verzichten, sodass sie ein paar Kaffeebohnen mitbrachten. Vietnamesische Bauern machten sich mit den Pflanzen vertraut, wurden allmählich meisterhaft im Anbau. Die Kolonialherren waren sichtlich zufrieden, in Vietnam boomte noch im 19. Jahrhundert eine Kaffeehauskultur französischen Einschlags.

Export
 Vietnam wurde zu einem wichtigen Kaffeeexporteur – doch die Produkte aus Südostasien werden bis heute meist in günstigen Kaffee gemischt. (fli)