Felicia Ruhland sagt, dass sie unter dem Helfersyndrom leide. Ruhland bietet auf ihrem Gnadenhof Animal Hope in Illingen ausgestoßenen Tieren ein Zuhause. Nun droht ihr Lebenswerk zu scheitern: Der Pachtvertrag läuft aus.

Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Illingen - Wieder einmal hat sie kaum geschlafen, Kummer hält wach. Was soll nur aus den Tieren werden? Ende des Jahres läuft der Pachtvertrag für ihren Gnadenhof in Illingen aus, der Vermieter will das Anwesen teuer verkaufen. Die Schwermut überfällt Felicia Ruhland, am liebsten würde sie liegen bleiben und den ganzen Tag an die Decke starren. Doch 60 Geschöpfe warten auf sie. Also raus aus dem Bett, rein in die matschverschmierte Kunstlederhose, die ausgelatschten Winterstiefel, den verfilzten Wollpulli und den knallroten Anorak.

 

Sie holt Balu aus seiner Box und nimmt ihn an die Leine. Vor vier Jahren fand Felicia Ruhland den Rottweiler an einem Zaunpfahl angebunden, neben ihm lag ein Zettel mit der Botschaft: „Ich hab mein Frauchen gebissen.“ Jetzt ist Balu zwölf, leidet unter einem Mastzellentumor und müsste operiert werden. Felicia Ruhland führt den kranken Hund über die Feldwege, beim Vorbeigehen grüßt sie ihren Nachbarn, einen Schweinebauern. Balu kackt an den Wegrand, dann kommt der Rottweiler zurück in seine Zelle, und der Dogo Argentino Butch ist an der Reihe. Vier ihrer 15 Hunde kann Felicia Ruhland morgens und abends nur einzeln ausführen, weil sie unterschiedlich geartete Probleme mit der eigenen Spezies haben. Macht acht Runden am Tag, 56 Runden pro Woche. Ihr Leben dreht sich oft im Kreis.

Um halb zehn gibt’s Frühstück, durch die Wohnküche wabert eine Geruchsmischung aus feuchtem Hundefell und frischem Filterkaffee. Die Wände hat die Hausherrin mit Fotos von ihren zig Tieren und ihren beiden Töchtern tapeziert. Felicia Ruhland ist zweimal geschieden. Der erste Ehemann, erzählt sie, habe sie geschlagen, der zweite sei eifersüchtig auf ihre geliebten Hunde, Katzen, Pferde, Esel, Schweine, Ziegen und Kinder gewesen. Nun, mit 43, hat sie wieder einen Freund, der sie gerne heiraten würde. Aber sie will sich nicht binden, jedenfalls nicht jetzt. „Ich muss meine Existenz erst mal in den Griff bekommen“, sagt Felicia Ruhland.

Stallbursche mit einer tragischen Vita

Ihre beiden Helfer kommen herein, setzen sich auf die Eckbank und greifen schweigend in den Brotkorb. Tamara, Anfang 20, macht auf dem Gnadenhof ein sogenanntes Einstiegsqualifizierungsjahr. Ihr Gehalt, 216 Euro monatlich, zahlt die Agentur für Arbeit. Benci, Ende 50, empfängt Hartz IV, wohnt nebenan alleine in einem Gartenhaus und ist seit acht Jahren Felicia Ruhlands ehrenamtlicher Stallbursche. Offenbar besitzt er nichts außer einer tragischen Vita. „Willst du etwas über dich verraten?“, fragt Felicia Ruhland. „Nein“, antwortet Benci.

Weil zumindest Felicia Ruhland ihr Herz auf der Zunge trägt, droht am Tisch keine peinliche Stille. Als sie sechs war, erzählt sie, ließen sich ihre Eltern scheiden, Felicia blieb bei ihrem Vater. Er, Tankwart an der Autobahnraststätte Pforzheim, fand wenig Zeit für die Tochter und schenkte ihr zum Trost ein Pony. Weil das Geld nicht reichte, musste Felicia ihren behuften Gefährten nach sieben Jahren abgeben. Charlie landete im Stuttgarter Killesbergpark, wurde von Ausflüglern begafft und ging ein – an gebrochenem Herzen, wie Felicia meinte. Ein Kindheitstrauma.

Nach der Schulzeit lernte Felicia Ruhland den Beruf der Landschaftgärtnerin, anschließend machte sie sich in Pforzheim mit einer Tierpension selbstständig. Wenn ein Kunde seinen Vierbeiner nach dem Urlaub nicht mehr abholte, behielt sie ihn. Schnell sprach sich herum, dass die gnädige Frau Ruhland nicht Nein sagen kann. Sie nahm alte, kranke und verhaltensgestörte Kreaturen auf, die außer ihr niemand mehr wollte. 1999 zog sie mit ihren Habseligkeiten, ihren Tieren und ihren Töchtern auf den Bauernhof bei Illingen um und gründete den Verein Animal Hope.

Bert Brecht, die Bibel und der Buddhismus

In Rumänien werden zurzeit Hunderttausende Straßenhunde getötet, finanziell unterstützt von der Europäischen Union. In Deutschland reifen alljährlich Millionen Schweine in Massentierhaltung zu Schlachtvieh heran, damit die Verbraucher billige Schnitzel im Supermarkt bekommen. Welchen Sinn hat es da, einen vom Zerfall gezeichneten Rottweiler oder eine blinde Sau bis zu deren natürlichem Tod durchzufüttern? „In dieser Frage spiegelt sich die fehlende Achtung vor unseren Mitgeschöpfen wider“, entgegnet Felicia Ruhland und legt ihre Philosophie dar, in der Brecht, die Bibel und der Buddhismus vorkommen – in einen Satz zusammengefasst: Wenn man schon nicht die ganze Welt ändern kann, so kann man doch ein paar Wesen retten und dadurch die Welt ein wenig besser machen.

Felicia Ruhlands Engagement hat neben diesem ethischen Aspekt auch einen pädagogischen Effekt. Regelmäßig besuchen Kindergartengruppen und Schulklassen den Gnadenhof. Wer den Tieren nahekommt, lernt etwas über unsere Konsumgesellschaft: Die ehemalige Mastsau Rosa steht exemplarisch für das Leid aller Nutztiere bis zum Tod am Fließband. Und der ausgesetzte Hund Balu repräsentiert jene Haustiere, die von Menschen gedankenlos angeschafft, falsch gehalten und wie eine Sache entsorgt werden.

„Kümmert ihr euch schon mal um die Esel!“, sagt Felicia Ruhland. Wie befohlen, trotten Tamara und Benci ins Freie, während die Chefin beginnt, den Frühstückstisch abzuräumen. Nebenher erzählt Felicia Ruhland, dass ihr bewusst sei, dass sie viele Mitmenschen nerve. „Ich jammere immer, weil ich immer kämpfen muss“, sagt sie. Die Spendeneinnahmen gehen zurück. Mindestens 5000 Euro monatlich sind nötig, um den Gnadenhof am Laufen zu halten. Knapp ein Drittel dieser Summe schießt eine Tierschutzorganisation zu, den Rest muss Felicia Ruhland anderswo erbetteln. Kürzlich hat sie die Firma Porsche um eine Finanzspritze gebeten. Es wundert sie, dass sie nicht einmal eine Antwort auf ihr Schreiben bekommen hat. Felicia Ruhland kann nicht verstehen, dass nicht jeder seine Hauptaufgabe darin erkennt, armen Geschöpfen zu helfen.

Empathische Außenseiterin

Ende Oktober standen zwei Obdachlose mit ihren Hunden vor ihrer Tür und klagten, dass sie wegen der Tiere nirgendwo Asyl finden würden. Seither hausen sie auf dem Gnadenhof in einem alten Wohnwagen. Wenn es in der Nacht zu kalt wird, holt sie Felicia Ruhland in ihr Haus. Sie, die sich selbst als Außenseiterin bezeichnet, hat einen guten Draht zu Menschen am Rande der Gesellschaft. Regelmäßig schickt der Verein „Schwitzen statt Sitzen“ jugendliche Straftäter zur gemeinnützigen Arbeit auf den Gnadenhof. Felicia Ruhland behandelt die kleinen Kriminellen wie aggressive Hunde: respektvoll, angstfrei, gewaltlos und konsequent.

Ein Toyota Yaris mit Heilbronner Kennzeichen fährt auf den Hof. „Da kommt die Marlene, vielleicht kann sie auch noch etwas über uns erzählen“, sagt Felicia Ruhland und verschwindet zum Ausmisten in den Pferdestall. Marlene Gier, 60, war in ihrem früheren Arbeitsleben Assistentin der Geschäftsführung. Vor drei Jahren verließ sie das Telekommunikationsunternehmen Ericsson und begann eine Ausbildung zur Tierheilpraktikerin. Ein Praktikum führte sie auf den Gnadenhof. „Im ersten Moment war ich entsetzt, wie alt und baufällig alles ist“, sagt sie. „Doch schnell habe ich verstanden, dass es den Tieren völlig egal ist, wie es hier aussieht. Hauptsache, es kümmert sich jemand liebevoll um sie.“

Allwöchentlich fährt Marlene Gier 25 Kilometer von ihrem Wohnort Brackenheim nach Illingen. Sie geht mit Schlumpfi Gassi, die mehrfach behinderte Dogge bemerkt nicht einmal, wenn sie Kot oder Urin verliert. Sie schaut bei der Araberstute Donata vorbei, die einst eingepfercht vor sich hinvegetierte, bevor sie die Behörden beschlagnahmten und nach Illingen brachten. Sie besucht den Ziegenbock Paul, der sein Dasein mit einem nicht operablen Beinbruch fristet. Marlene Gier sagt, dass ohne die Selbstlosigkeit der Gnadenhofleiterin wohl keine dieser Kreaturen noch leben würde: „Felicia entscheidet immer emotional, ohne über die Folgen nachzudenken.“

Hermine und das Helfersyndrom

Jetzt, wo unklar ist, wie es am Ende des Jahres weitergeht, dürfte Felicia Ruhland eigentlich keine weiteren Tiere aufnehmen. Doch vor wenigen Tagen kam ein 80 Zentimeter kleines Pferd auf den Hof. Hermine ist voller Pilze und Würmer, sie hat Arthrose und kaputte Zähne. Der Besitzer drohte, die nichtsnutzige Hermine töten zu lassen, und Felicia Ruhland ließ wieder das Herz sprechen statt den Verstand. Jetzt steht das Pony von den anderen Pferden getrennt, wird mit Medikamenten, Heu und zärtlichen Worten gefüttert. Das verwahrloste Tier kostet Zeit, von der Felicia Ruhland ohnehin zu wenig hat, und Geld, das immer knapper wird.

Felicia Ruhland sagt, dass sie unter dem Helfersyndrom leide. Die Symptome sind offensichtlich: Sie missachtet ihre eigenen körperlichen und psychischen Grenzen. Seit Jahren nagen Depressionen an ihr, nun kommen Existenzängste hinzu. Gibt es noch Hoffnung für Animal Hope? Felicia Ruhland träumt von einem Gnadenhof, der ihr gehört, von dem sie, ihre Töchter und ihre Tiere niemand mehr vertreiben kann. Ohne Bürgen bekommt sie keine Darlehen. Höchste Zeit, dass sich ein Retter für die Tierretterin findet.