Werden in Städten Immobilien in ganzen Quartieren saniert und in der Folge die Mietpreise erhöht, lässt ein Wandel der Bewohnerstruktur meist nicht sehr lange auf sich warten. Die sogenannte Gentrifizierung ist für Kommunen Fluch und Segen zugleich, glauben Experten.

Stuttgart - Ist die Gentrifizierung, wie man sie seit Mitte der 1970er-Jahre vor allem in Großstädten erlebt, Fluch oder Segen für die Kommunen? Sowohl als auch lautete die eindeutig zweideutige Antwort von Norbert Wendrich, Abteilungsleiter des Referats für Stadtplanung und Bauordnung der bayerischen Landeshauptstadt München, beim StZ-Zukunftskongress . „Die Stadt ist ein Organismus, muss sich immer wieder erneuern“, sagte Wendrich. Er hält es für wichtig, dass in einer Stadt Projekte wie beispielsweise der Stuttgarter Luxuswohnturm Cloud 7 realisiert werden, damit die Käufer nicht andernorts investieren und einen Wandel auslösen, während in anderen Gebieten durch Erhaltungs- und Milieuschutzsatzungen, wie sie in München gelten, der Bestand baulich und in seiner Struktur gesichert wird.

 

Weder noch, oder: sowohl als auch

Christian Huttenloher, Generalsekretär des Deutschen Verbands für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung, hat in der von StZ-Lokalchef Holger Gayer moderierten Diskussion „Unbezahlbar schön – deutsche Städte in der Gentrifizierungsfalle?“ ebenfalls eine Weder-Noch-Position. Gentrifizierung, also der Wandel durch einen Wechsel der Einwohnerstruktur in Folge der Immobiliensanierung, biete Chancen für Neuentwicklungen. Man müsse aber aufpassen, welche Folgen diese habe. In Berlin, so der dort lebende Huttenloher, erfolge der Wandel zu rasant. Wichtig sei, klar zu definieren, „wie viel Entwicklung und Modernisierung lasse ich in einem Gebiet zu“. Zudem dürfe man das Feld nicht dem freien Markt überlassen.

Während München laut Wendrich ausgehend von Schwabing seit den 1970er Jahren vier Wellen der Gentrifzierung erlebt habe, erfahre Berlin aktuell in mehreren Stadtbezirken parallel einen massiven Wandel durch Modernisierungen und die oft folgenden Mietpreissteigerungen. „Die Mieten haben sich teils verdoppelt“, so Huttenloher. Menschen, die lange in einem Quartier gelebt hätten, würden verdrängt, das Gesicht der Gebiete verändere sich.

Investoren sind keine Feinde der gesunden Stadtentwicklung

Investoren sieht weder er noch Wendrich negativ oder gar als Feinde einer gesunden Stadtentwicklung. Im Gegenteil: Diese seien notwendig, um Städte voranzubringen. Es brauche aber wie in allen Bereichen des Lebens Beschränkungen: „Wenn wir alle dürften, wie wir wollten, wäre es schlimm“, sagte Wendrich. Er riet daher den verantwortlichen, alle verfügbaren Steuerungsinstrumente auch zu nutzen. München habe dies getan und daher „in hohem Maße eine sehr geringe Segregation über das gesamte Stadtgebiet hinweg verteilt“, sagt Wendrich. Es gebe „ein gewisses Mindestmaß an sozialem Frieden“.

Städte unattraktiv zu machen, um den Zuzug zu verringern, sei keine Lösung. „Das wäre der falsche Weg, richtet am Ende nur größeren Schaden an“, sagte Wendrich. Die Mietpreisbremse und das Zweckentfremdungsverbot für Immobilien, so sehr sie auch politisch legitim gewesen seien, zeigten wenig Wirkung, so die Diskutanten.

Keine Ratschläge für Entwicklung des Rosenstein-Quartiers

Ratschläge, wie Stuttgart nach der Tiefbahnhof-Fertigstellung das Rosenstein-Quartier entwickeln sollte, gaben weder Wendrich noch Huttenloher. Wichtig sei, „achtsam zu sein, wer die Flächen erwirbt“, wenn es nicht städtische Wohnungsbaugesellschaften seien. Die Ziele, was die Schaffung von günstigem Wohnraum angehe, dürften zudem nicht zu hoch gesteckt werden. Wenn ein Quartier durch seine Struktur ein Imageproblem habe, sei eine gute Entwicklung kaum mehr möglich.

In unserem Video sehen Sie ein Interview mit Christian Huttenloher, Generalsekretär des Deutschen Verbands für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung: