Experten wollen nicht am umstrittenen Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen rütteln.

Stuttgart - Der Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen – in Fachkreisen als morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich, kurz Morbi-RSA, bekannt – sei ein unberechenbares Monstrum. Mit Ausnahme der AOKs behaupten das so ziemlich alle anderen Kassen. Der mehr als 200 Milliarden Euro schwere Ausgleichsmechanismus verzerre den Wettbewerb, indem er den AOKs hohe Überschüsse beschere, ohne dass sie etwas dafür tun müssten, sagen sie. Andere Kassen treibe er in die roten Zahlen. Die AOKs weisen das von sich und beanspruchen, einfach bessere Arbeit zu leisten.

 

Wer hat recht? Um dies zu beantworten, beauftragte Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) den wissenschaftlichen Beirat des Bundesversicherungsamts mit einem Gutachten. Das Gremium hat jetzt geliefert und fürs Erste eine Zusammenfassung veröffentlicht, während das Gutachen noch vom Ministerium geprüft wird. Tenor der Kurzform: Der Morbi-RSA hat sich bewährt, muss aber weiterentwickelt werden. Für die Gebeutelten unter den Ersatz-, Betriebs- und Innungskrankenkassen ist das kein gutes Ergebnis. Folgt nämlich die Politik den Experten, wird es für sie zumindest keine schnellen Hilfen geben. Entsprechend harsch sind die Reaktionen einiger Kassenvertreter.

Der Beiratsvorsitzende Jürgen Wasem zeigt im Gespräch mit dieser Zeitung Verständnis für die betroffenen Kassen. „Der Morbi-RSA ist aber nicht das geeignete Mittel, ihre Probleme zu lösen“, sagt der Gesundheitsökonom. Er verweist auf den Grundmechanismus: Kassen bekommen Geld, wenn ihre Versicherten Diagnosen aus einem Katalog von 80 Krankheiten mit besonders teuren Behandlungen erhalten. Das mache Sinn, weil das Geld in einen Wettbewerb um die beste Versorgung fließt, sagt Wasem. Es sei falsch, daran etwas zu ändern, wie von einigen Kassen gefordert. Für gesunde Versicherte nämlich würde es dann im Gegenzug noch höhere Zuweisungen geben als derzeit ohnehin schon. Das wiederum würde den Wettbewerb um diese sogenannten guten Risiken beschleunigen, der über die Zusatzbeiträge geführt wird: Gesunde würden den niedrigen Zusatzbeiträgen folgen und wechseln, was die Finanzprobleme der verlassenen Kasse nur verschärfte.

Hochrisikopool als Lösung

Zwei Lösungsansätze werden gleichwohl im Gutachten angesprochen. Ein Hochrisikopool im Morbi-RSA könnte für Patienten mit seltenen Erkrankungen einspringen, die bisher nicht abgedeckt sind und extrem hohe Kosten verursachen. Allerdings geben die Experten zu bedenken, dass der Verwaltungsaufwand hoch wäre. Zudem müssten zunächst diverse Modelle geprüft werden.

Der zweite Lösungsansatz sieht für den Morbi-RSA eine regionale Komponente vor. Die Zuweisungen würden dann die regional sehr unterschiedlichen Kosten für die Versorgung abbilden. In Ballungsräumen ist Medizin teurer als auf dem Land. Das belastet Kassen, die dort viele Versicherte haben. Der Beirat hat ein weiteres Gutachten dazu in Arbeit. Wasem bringt noch eine dritte Lösung außerhalb des Morbi-RSA ins Spiel. Danach könnten aus dem Gesundheitsfonds wie beim Krankengeld auch direkte Zuweisungen für tatsächlich entstandene Krankheitskosten fließen.

Auch der Frage, ob der Morbi-RSA dazu verleite, Diagnosen und ihre Hinterlegung (Codierung) im Abrechnungssystem zu beeinflussen, geht das Gutachten nach. Es sieht Hinweise dafür, dass Kassen auf Ärzte zugegangen sind und davon profitiert haben. In welchem Umfang dies geschehen ist, sei aber unklar, so die Experten. Da aktuelle Daten zur Krankheitslast keine Auffälligkeiten zeigten, könne von einem flächendeckenden Kränkermachen aber keine Rede sein. Dennoch: Um Manipulationsversuche zu unterbinden, schlagen die Gutachter einheitliche Codierrichtlinien vor. Zudem müsse sichergestellt sein, dass Kassen keinen Zugriff auf die Praxissoftware erhalten.