Noch gibt es keine öffentliche Toilette in Stuttgart, auf der inkontinenten Menschen die Windel gewechselt werden kann. Das soll sich aber nach dem Willen der Stadt ändern.

Stuttgart - Ein Zeitfenster von drei Stunden hat Ursula Hofmann, wenn sie etwas mit ihrer Tochter unternehmen will. Spätestens dann muss sie sie wieder wickeln, weil die Windel sonst überläuft. In Stuttgart gibt es bisher keine Möglichkeit, das zu tun. Denn Ursula Hofmanns Tochter ist nicht dreizehn Monate, sondern 13 Jahre alt. Das mehrfach behinderte Mädchen passt schon lange nicht mehr auf einen normalen Wickeltisch. Die Behindertentoiletten in der Stadt bringen ihr auch nichts. Diese sind nicht für Menschen ausgelegt, die gewickelt werden müssen. Wenn sie es nicht rechtzeitig nach Hause schafft, muss sie auf den Kofferraum ihres Autos zurückgreifen. Das ist nicht nur beschwerlich, sie findet es auch entwürdigend.

 

„Man verwehrt meiner Tochter und damit auch mir ein Grundbedürfnis“, meint auch Petra Riegler, eine weitere Mutter einer mehrfach behinderten Tochter aus der Region. „Nach Stuttgart fahre ich nicht mehr“, sagt sie – wegen der fehlenden Wickelmöglichkeit. Sie würde so gerne mit der 21-Jährigen Feste besuchen, die Wilhelma oder ein Einkaufscenter, aber es gehe nicht, sagt Petra Riegler, die sich in der Frage unter anderem schon an den Landesbehindertenbeauftragten gewandt hat. Schließlich sei es auch für Behinderteneinrichtungen wichtig, bei Ausflügen unterwegs Windeln wechseln zu können. „Jeder kann irgendwo hin, wenn er muss, bei uns geht das nicht“, sagt sie.

Bald sieben „Toiletten für alle“ in München

Nicht nur in Stuttgart fehlen Wickelmöglichkeiten für Erwachsene. Deutschlandweit sind sie Mangelware, weil sie nicht für Behindertentoiletten verpflichtend vorgeschrieben sind . Am besten ist die Situation noch in München, wo aktuell drei „Toiletten für alle“ mit Liege und Lifter ausgestattet sind, darunter eine am Flughafen. Die vierte steht kurz vor Eröffnung, bis Jahresende sollen es sieben sein. Das kündigt die Stiftung Leben Pur an, die sich für die Einrichtung von „Toiletten für alle“ einsetzt.

Doch nun könnte sich in Stuttgart etwas tun: Die Verwaltung schlägt die Einrichtung solch einer „Toilette für alle“ als „eine vordringlich bewertete Maßnahme“ vor, berichtet Günter Siebers, Referent von Technikbürgermeister Dirk Thürnau. Hintergrund sei die Umsetzung des Stuttgarter Fokus-Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Ein Ort wurde auch inzwischen gefunden: Die städtische Toilettenanlage in der Arnulf-Klett-Passage könnte modernisiert und zu einer vollständig barrierefreien Toilette umgebaut werden. Kostenpunkt für die Komplettsanierung: 300 000 Euro. Aufgrund der hochwertigen Technik wird laut Siebers zudem eine ständige personelle Betreuung für wichtig erachtet, was weitere 158 000 Euro pro Jahre kosten würde. Jetzt habe der Gemeinderat das Wort.

CDU-Stadträtin: Bedarf ist da, wird aber nicht gedeckt

Auf offene Ohren dürfte der Vorschlag bei der CDU-Fraktion stoßen. Sie hat erst vor wenigen Wochen das Angebot von Wickelmöglichkeiten für Erwachsene gefordert. Die Betroffenen müssen derzeit häufig auf dem Boden einer öffentlichen Toilette gewindelt werden, was weder hygienisch noch angenehm ist“, kritisieren die Christdemokraten in ihrem Antrag. „Das wäre eine prima Lösung“, meint CDU-Stadträtin Beate Bulle-Schmid nun zum Vorschlag Arnulf-Klett-Passage. Wickelmöglichkeiten für Erwachsene müssten eine Selbstverständlichkeit in einer Stadt wie Stuttgart sein, schließlich gehe es hier um ein Grundbedürfnis. „Der Bedarf ist da, aber er wurde noch nie gedeckt“, sagt sie.

Zielgruppe einer „Toilette für alle“ sind dabei zum einen mehrfach behinderte Kinder und Erwachsene, die auf Windeln oder Einlagen angewiesen sind, aber auch Menschen, die Katheter oder Stomabeutel tragen. Auch Querschnittsgelähmte, an multipler Sklerose erkrankte Menschen oder demente Menschen, die inkontinent geworden sind, werde durch solch ein Angebot ermöglicht, am öffentlichen Leben teil z u haben, so Nicola Maier-Michalitsch von der Stiftung Leben Pur. Ohne solch ein Angebot schreckten viele Familien davor zurück, mit ihren inkontinenten Angehörigen unterwegs zu sein.

Auch andere Toiletten sollten umgerüstet werden

Der Behindertenbeauftragte Walter Tattermusch erachtet eine „Toilette für alle“ ebenfalls für wichtig. Aus seinem Büro heißt es, es wäre wünschenswert, wenn sukzessive an weiteren zentralen Stellen im Stadtgebiet Toiletten umgerüstet würden. Ursula Hofmann und Petra Riegler hoffen, dass in Zukunft bereits bei der Planung von Projekten an den Platz für Liegen gedacht wird. Beide engagieren sich im Verein Rückenwind aus Esslingen, in dem sich Mütter von behinderten Kindern zusammengeschlossen haben. Die Rückenwind-Mütter haben erreicht, dass im dortigen Einkaufcenter und auch am Busbahnhof in Esslingen eine Liege in der Behindertentoilette vorhanden ist. Eine Liege mit Lifter, wie in Stuttgart geplant, wäre „ein Highlight“, so Petra Riegler. Dann ist auch das Gewichtsproblem gelöst: Ihre Tochter wiegt um die 60 Kilogramm, alleine kann sie sie eigentlich gar nicht hochheben.

Eine „Toilette für alle“ muss nicht teuer sein

Eine „Toilette für alle“ sollte laut der Stiftung Leben pur eine Pflegeliege und einen Lifter beinhalten. Ein etwa zwölf Quadratmeter großer Raum sei ausreichend für die Person im Rollstuhl und zwei Betreuer.

„Eine menschenwürdige Toilette muss nicht teuer sein“, betont man bei der Stiftung. Die Kosten für Pflegeliege und Lifter, die zusätzlich anfallen, werden von der Stiftung mit 12 000 Euro angegeben. Dazu kommen Kosten für Bau- oder Umbau sowie die herkömmliche Ausstattung einer Behindertentoilette.

Das Vorbild sind die „Changing Places“ in England

Während es in Deutschland fast keine öffentlichen „Toiletten für alle“ gibt, sind es in England laut der Stiftung mehr als 760. Sie werden dort „Changing Places“ genannt und folgen der britischen Norm British Standard 8300. Die bestehende deutsche DIN-Norm für Behindertentoiletten sieht keine Liegeflächen für das Wickeln von Erwachsenenvor.

www.toiletten-fuer-alle.de.