Was hat der reiche Zöllner aus dem Lukasevangelium mit der Gegenwart zu tun? Eine ganze Menge, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei einer Bibelauslegung beim Evangelischen Kirchentag in Berlin.

Berlin - Für Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist der reiche Zöllner Zacharias ein ziemlich armer Mann. Er hat zwar viele Schätze aufgehäuft, weil er von den römischen Statthaltern eine Lizenz hat, Steuern, Zölle und andere Abgaben zu erheben. Doch beim Volk ist er verhasst, denn er nutzt seine Macht schamlos aus. Dass Jesus ausgerechnet bei ihm übernachtet, empört die meisten.

 

Vergleichbare Akteure wie im Evangelium kann Kretschmann auch in der Gegenwart erkennen: Vorstände, die trotz fragwürdiger Verdienste riesige Boni einstecken, Investmentbanker, die die Risiken am liebsten bei den Sparern abladen, Politiker, die am liebsten auch alle lebenswichtigen Aufgaben privatisieren würden, nennt er bei seiner Bibelarbeit beim Kirchentag den etwa 3000 Zuhörern in der Berliner Messehalle als Beispiele.

Wiedergutmachung möglich

In der Bibel nimmt die Geschichte einen guten Ausgang: Zacharias erkennt seinen Fehler und versucht, ihn wieder gutzumachen - zu seinem und zum Wohl der Gemeinschaft. In der Politik würden Chancen zur Wiedergutmachung oft vertan, sagt der Grünen-Politiker. Auch, weil politische Gegner und Medien auf den Fehlern herumhackten – wie das Volk in der Erzählung.

Politiker müssten sich aber selbstkritisch fragen, ob sie auch diejenigen im Blick haben, die am Rand der Gesellschaft stehen, „die von der Globalisierung und Digitalisierung Abgehängten, die sich krummlegen und trotzdem kaum Perspektiven haben, die Angst haben um ihre Zukunft und die ihrer Kinder“. Oder ob sie vor allem dienjenigen beachteten, die sich am lautesten Gehör verschafften. Nötig sei eine „Politik des Gehörtwerdens“, die alle einbeziehe.

Dass Jesus sich vom Murren des Volkes aber nicht irritieren lässt, beeindruckt Kretschmann. Jesus moralisiere nicht, sondern gehe mit gutem Beispiel voran. Ähnliches hat er erst kürzlich wieder seiner eigenen Partei empfohlen. „Es braucht viel schwäbische Dialektik, um sich großen Zielen in kleinen Schritten zu nähern.“

Für Kretschmann ist es nicht die erste Bibelauslegung. „Dass darf seit Martin Luther jeder, sogar ein Katholik“, sagt der engagierte Katholik. Bei der Arbeit an den Texten helfe ihm, dass er am Gymnasium auch Griechisch gelernt habe.

Viele Wahrheiten

Wer glaubt, es gebe die eine Wahrheit, dem seien die Bibelarbeiten im Rahmen des Kirchentags empfohlen. Theologen und andere Wissenschaftler, Künstler und auch Politiker sprechen dort über eine ihnen vorgegebene Bibelstelle. Und die Auslegungen desselben Textes unterscheiden sich beträchtlich. Die Kirchentagsorganisatoren werden die Texte in etwa zwei Wochen im Internet veröffentlichen. Zu finden sind sie dann unter www.kirchentag.de. http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.evangelischer-kirchentag-und-reformideen-kirche-nichts-ist-unmoeglich.07ccac74-a525-47e4-8878-a882b43555e3.html http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.kirchentag-in-berlin-umstrittene-diskussion-bischof-verurteilt-afd.efd8840a-2a59-462a-a2e7-9323969cbccf.html