Die Ministerin für Verteidigung ist in der Wehrmachtsdebatte Bilderstürmern auf den Leim gegangen – meint unsere Kolumnistin.

Stuttgart - In dem Buch, das ich über meine deutsch-jüdische Familiengeschichte geschrieben habe, findet sich ein ganzseitiges Foto meines Vaters im Alter von 35 Jahren. Man sieht ihn in der Uniform der Deutschen Wehrmacht, das Käppi mit dem Adler vornedrauf kess in die Stirne gezogen. Es ist ein schönes Bild, es zeigt einen gut aussehenden jungen Mann, den ich sehr geliebt habe. Hätte ich diese Aufnahme, um der gerade modischen politischen Korrektheit willen, nicht veröffentlichen sollen?

 

Denn diese Fotografie ähnelt sehr jener umstrittenen des jungen Wehrmachtsoffiziers Helmut Schmidt, die man vor wenigen Tagen in einem Hamburger Studentenwohnheim der Bundeswehr-Universität abgehängt hat. Weg mit dem Konterfei, mögen die Verantwortlichen überlegt haben, weg mit den bösen Symbolen und den dazu gehörenden Absichten. Weg mit dem ganzen Nazimist.

In diese Richtung dachte auch unsere umtriebige Verteidigungsministerin und ließ, um die unschöne Sache mit den Rechtsradikalen in der Bundeswehr von sich wegzuhalten, alle Kasernen nach Wehrmachtsdevotionalien durchsuchen. Es hat nicht viel gebracht, aber darum ging es ja auch gar nicht. Die ambitionierte Dame wollte nur den drohenden Machtverlust abwenden. Schließlich möchte sie doch so gerne die Kanzlerin beerben. Also rüttelt und schüttelt sie sich wie Shakespeares Lady Macbeth, als müsse sie das Blut abwaschen, das im Falle des vermutlichen Terroristen Franco A. noch nicht geflossen ist.

Reinheitsfanatismus durchweht die westliche Welt

Aber natürlich liegt sie damit auch voll im Trend der Zeit. Ein Reinheitsfanatismus durchweht die westliche Welt. In Deutschland umkreist er vor allem die vermuteten virulenten Reste des sogenannten Dritten Reiches. Es ist eine Bilder-und Namensstürmerei ohnegleichen und wieder einmal ein Zeichen dafür, dass es hierzulande offenkundig schwerfällt, in Überzeugungsfragen nicht von einem Extrem ins andere zu fallen. Schade, dass die Ministerin sich vor lauter Ehrgeiz und eigentlich unter ihrem Niveau in diesen Mainstream eines wirkungslosen, lächerlichen Klein-Klein reißen ließ.

Da müssen zum Beispiel Straßennamen auf den Prüfstand. In Freiburg sind es 130. Die Universität Greifswald soll auch nicht länger Ernst Moritz Arndts Namen tragen, weil der Dichter und Freiheitskämpfer gegen Napoleon zudem ein wüster Franzosenhasser und Antisemit war. Die Hochschule hat’s beschlossen, aber das Wissenschaftsministerium wollte vorerst noch nicht zustimmen. Und so geht das fort. Nun, im Jubiläumsjahr 2017, denken die politisch Tugendsamen – und wie könnte es anders sein? – auch an Martin Luthers Beschimpfungen der Juden. Schon erwägt man an der Universität Halle-Wittenberg, die seinen Namen trägt, ob es dabei bleiben könne. Bereits jetzt erscheint vielen Leuten das Lutherbild in der Geschichte verdüstert. Nahm hier nicht Auschwitz seinen Anfang?

Verrückt, überheblich, selbstgerecht

Das zu unterstellen ist natürlich ziemlich verrückt, es ist überheblich, selbstgerecht, pharisäerhaft. Denn zwischen 2017 und 1517 liegen 500 Jahre. Fünfhundert! Und Ernst Moritz Arndt starb 1860. Das ist auch schon ein Weilchen her. Wer kann wirklich mit Fug und Recht behaupten, er wisse, wie damals gedacht und gefühlt wurde, von welcher Art jener ferne Zeitgeist war und was er oder sie selbst geschrieben hätten? Es ist doch ein Unding, Teile der Schriften von längst verstorbenen Personen aus ihrem zeitlichen Zusammenhang zu reißen und an dem zu messen, was heute, im 21. Jahrhundert, moralisch gerade in ist.

Da wird also die Lutherschelte oder die Ernst-Moritz-Arndt-Ächtung benutzt, um zu beweisen, dass man selbst oder die befreundete politische Gruppierung den Nationalsozialismus endgültig überwunden hat. Seht alle her, wir verabscheuen ihn, wir reißen alles mit Haut und Haaren heraus, was danach schmeckt oder riecht. Wir sind die einzig Gerechten. Huldigt uns. Vergangenheitsbewältigung per Geschichtsklitterung. Ja, das tut gut. Da sind die Tugendritter ganz bei sich.

Leider lässt sich Auschwitz nicht bewältigen, indem man Straßennamen ändert. Diese unvorstellbare Ungeheuerlichkeit lässt sich überhaupt nicht und niemals bewältigen. Sie gehört für immer zur deutschen Geschichte. Das ist so, und wir haben mit unserer Erinnerungskultur und der Politik der letzten 70 Jahre in Deutschland das einzig Richtige, das Beste aus diesem Erbe gemacht.

„Andere Köpfe müssten her in der Truppe“

Wahrscheinlich ist der Rechtsradikalismus so unausrottbar wie die Dummheit, die ihn beflügelt. Er nimmt auch in der Bundeswehr nicht Reißaus, nur weil jetzt keine Stahlhelme oder Weltkriegswaffen mehr an den Wänden der Kasernen hängen. Und wird es reichen, die Armee ein bisschen umzustrukturieren, sie etwas mehr unter Kuratel zu stellen? Andere Köpfe müssten her in der Truppe. Wäre die Wehrpflicht nicht abgeschafft, sähe das Problem anders aus. Es verhielte sich so vielfältig wie damals in der Wehrmacht, als mein Vater diese Uniform trug. Er war eingezogen worden wie Millionen andere Männer auch. Dann aber wurde er unehrenhaft entlassen, weil er sich von seiner jüdischen Frau nicht scheiden lassen wollte. Seine Uniform erzählt das nicht, sowenig wie Helmut Schmidts Uniform die Wahrheit dieses jungen Offiziers verkündet.