Verkehrsminister Winfried Hermann will den Platz für Autos verknappen und erklärt, warum er Tempolimits nicht mehr für ganz so wichtig hält. Der Auto-Lobbyist Kay Lindemann warnt vor hysterischen Debatten.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Warum Winfried Hermann nicht nur Verkehrsminister von Baden-Württemberg, sondern auch ein mustergültiger Verkehrsteilnehmer ist, lässt sich an seinem schwarzen Rucksack erkennen. Der Grünen-Politiker kommt nicht mit einer Aktentasche zu offiziellen Terminen, sondern mit dem Rucksack. Den brachte er auch in die Rotunde der L-Bank mit, wo er am Mittwoch erklärte, wie sich der Verkehr wandeln müsse, damit die Städte nicht an ihm ersticken. Hermann bevorzugt einen Rucksack zum Transport seiner Unterlagen, weil er morgens mit dem Rad in Büro fährt. Für die kurze Dienstfahrt vom Ministerium zum StZ-Kongress nahm er die Stadtbahn.

 

In Stuttgart lasse sich besichtigen, wie „die Autostadt sich selbst in die Krise gefahren“ habe, sagte Hermann bei der Eröffnung des Kongresses. Inzwischen sei das offenkundig: Die autogerechte Stadt, Leitbild früherer Jahrzehnte, gehe an sich selbst zugrunde. „Überall ärgern sich die Menschen über Stau und denken immer, das seien die anderen“, so der Minister, „sie merken nicht, dass sie selbst der Stau sind.“ Auf dem Weg zu einer „Stadt des menschlichen Maßes“, wie er sein Ideal umschrieb, reiche es auch nicht, „nur an den Antrieben und an der Fahrzeugtechnik rumzumachen“. Erforderlich sei vielmehr eine umfassende „Mobilitätswende“. Die müsse sich an der Aufenthaltsqualität in Städten orientieren, weniger an der maximalen Durchfahrtsgeschwindigkeit.

Lindemann plädiert für einen „anderen Sound“

Hermann betonte, in den Städten seien die „Flächen unfair verteilt“. Es gebe zu viel Platz für Autos. „Der Verkehr steht sich selbst im Wege“, meinte er. Es gebe 50 Millionen Fahrzeuge mit bis zu 250 Millionen Sitzen für 80 Millionen Menschen in Deutschland. Deshalb hält er es für notwendig, „unnötige Autofahrten einzusparen“. Er wolle auch „nicht dem alten Verkehr hinterherbauen“. Statt neuer Straßen seien neue Busspuren und Radwege wichtig. „Politische Debatten im Landtag“, so der Grünen-Politiker, „erwecken den Eindruck, als sei der Straßenbau das Maß aller Dinge.“ In der Öffentlichkeit habe jedoch längst ein Bewusstseinswandel eingesetzt. Hermanns Prognose für die automobile Zukunft lautete so: „Wir werden nicht weniger Auto fahren, aber vielleicht mit weniger Autos.“

Kay Lindemann, Geschäftsführer des Verbands der Automobilindustrie, plädierte bei der Debatte mit Hermann über „Wege und Konzepte für eine nachhaltige Mobilität“ für einen „anderen Sound“, obwohl er im Detail nicht allen Vorschlägen Hermanns widersprach. Er verwies darauf, dass die von Autos in die Luft geblasenen Stickoxide seit 1990 um 70 Prozent gesunken seien. Die amerikanischen Grenzwerte für Feinstaub lägen deutlich über den an vermeintlich kritischen Tagen in deutschen Städten gemessenen Werten. „Wir sind der Bevölkerung statt Hysterie ein differenziertes Bild schuldig“, sagte der Autolobbyist. Hermann konterte: „Wenn Sie uns mit Delhi oder Peking vergleichen, sind wir natürlich Luftkurort.“

Hermann hält nichts davon, in der Stadt SUV zu fahren

Während der Grünen-Politiker den von Autos genutzten Straßenraum gerne verknappen würde, um mehr Platz für Busse, Bahnen, Fahrräder und „Mikromobilität“ mittels elektrisch betriebener Skateboards, Segways und Tretroller zu schaffen, forderte Lindemann liberalere Regeln für Privattaxis und Mitnahmemöglichkeiten im eigenen Auto. Dazu bedürfe es einiger Korrekturen im Personenbeförderungsgesetz, denen sich Minister Hermann nicht verschließen möchte. Statt die Möglichkeiten der Digitalisierung für wechselnde Tempolimitanzeigen zu nutzen, schweben dem Automobilfunktionär „Pionierprojekte“ vor, die den Verkehr in den Städten im Fluss halten oder gar beschleunigen. Zudem müsse der Staat Geld in die Hand nehmen, um die Busflotten zu erneuern. Davon erhofft er sich einen größeren Umwelteffekt als durch weitere Reglementierungen.

Der Verkehrsminister hat einen kritischen Blick auf das Kaufverhalten der automobilen Gesellschaft. Der Trend zu domestizierten Geländewagen („SUV“) spiegle „das Bedürfnis nach Sicherheit“ wider. Deshalb würden diese massigen und emissionsintensiven Autos „besonders von Frauen bevorzugt“ – das Publikum quittierte diesen Befund mit einem Raunen. Hermann fügte hinzu: Jedenfalls sei es „nicht rational“, solche Autos zu fahren. „Die Straßen sind bei uns manchmal schlecht, aber nicht so schlecht, dass wir in Stuttgart Allradantrieb bräuchten.“