Dass die Luft besser werden muss, ist zwischen Politik, Verwaltung und Bürger nicht strittig. Ob die bisherigen Pläne zu weit oder weit genug gehen, diese Frage beherrschte am Samstag die Debatte.

Stuttgart - Bei schönstem Wetter war der Trubel auf dem Wochenmarkt vorm Rathaus naturgegeben größer als im Großen Ratssaal. Dort ging es schließlich nicht um leibliche Genüsse, sondern um trockenes Brot: Verkehrsminister Winfried Hermann, Regierungspräsident Wolfgang Reimer und Stuttgarts OB Fritz Kuhn (alle Grüne) hatten Bürger eingeladen, um ihnen die dritte Fortschreibung des Luftreinhalteplans vorzustellen und mit ihnen zu diskutieren.

 

Sachlich und kritisch

Wer eine hitzige Grundsatzdebatte über Sinn und Unsinn von Luftreinhaltung erwartet hatte, wurde nicht bedient. Stuttgarts Luft, so scheint der Konsens, ist schlecht und muss besser werden.

Verkehrsplaner Christoph Schulze, der an einem der Informationstische den Besuchern Rede und Antwort stand, bestätigte: „Die Leute haben durchweg sehr sachliche und durchaus kritische Fragen.“ Unter anderem zu den Verfahren, die bei den Berechnungen der Schadstoffreduzierung angewandt wurden.

Kritische Anmerkungen blieben freilich nicht aus. „Die Gestaltung des öffentlichen Raums in Stuttgart ist immer noch viel zu stark auf den Autoverkehr zugeschnitten“, beklagte der Besucher und Umweltaktivist Gerhard Wollnitz, der Verbesserungen für Fußgänger und Radfahrer im Maßnahmenkatalog vermisst. „Das gelingt nur, wenn man das Autofahren unattraktiver macht, weil der Ausbau der Rad- und Fußwege nur auf bestehenden Straßen möglich ist“, warnte Gastrednerin Sylvia Pilarsky-Grosch, die Landesgeschäftsführerin des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND).

Seitenhieb auf Bundesverkehrsminister

Verbote haben laut OB Kuhn nicht die oberste Priorität. „Wir hätten gar keine so großen Probleme, wenn wir die Blaue Plakette endlich hätten“, sagte er mit einem Seitenhieb auf den Bundesverkehrsminister, der die Einführung des Zeichens ablehnt. Auch Verkehrsminister Winfried Hermann betonte: „Das wäre mit Abstand die einfachste und wirksamste Maßnahme.“

So aber konzentrierte sich die Diskussion erst mal um die Nachrüstung von alten Diesel-Pkw. „Der Ball liegt bei der Automobilindustrie“, so Kuhn. Regierungspräsident Reimer erinnerte daran, dass Maßnahmen des Luftreinhalteplans dem Verursacheranteil entsprechen müssen, „und das Problem sind nun mal alte Diesel“. Sylvia Pilarsky-Grosch zweifelt: „Bosch sagt, Umrüstung sei nicht machbar. Es wird also eine Hoffnung erzeugt, die nicht erfüllt wird.“ Die Politik müsse der Bevölkerung klar sagen, sie solle „über neue umweltfreundlichere Fahrzeuge oder ein ÖPNV-Ticket nachdenken“.

Hermann warnt vorm Umgehen von Fahrverboten

Auch die Kontroverse über Fahrverbote und Ausnahmen davon sind nicht vom Tisch. „Sie werden Antworten finden müssen für Unternehmen, die ihre Geschäfte eingeschränkt oder bedroht sehen“, warnte Hans-Jürgen Reichardt von der IHK, und CDU-Stadtrat Alexander Kotz fragte provokant, wer denn nun festlege, wie viele Sack Zement, Brezeln oder Brillen ein Handwerker an Bord haben müsse, um eine Ausnahmegenehmigung zu bekommen. Hermann konterte: „Bevor es zum Volkssport wird, über Ausnahmen die Fahrverbote auszuhebeln, sollte man an die gerichtlichen Folgen denken.“

Vorschläge bis 23. Juni einbringen

Einige Zweifel blieben, auch nach der Veranstaltung: Ob die nächsten zehn Jahre Verlass sein kann auf einen Euro-6-Diesel; dass in den Luftreinhalteplan nicht genügend andere, qualitätsverbessernde Faktoren aufgenommen worden sein könnten wie zum Beispiel Frischluftschneisen oder genügend Parkflächen für Mitfahrgelegenheiten. Ulrich Jochimsen vom Stuttgarter Wasserforum hat vermisst, dass nicht über Wasserstoff gesprochen wurde. „Ich hoffe, das Thema wird noch aufgegriffen.“

Das alles kann jetzt noch geschehen. Bis 23. Juni kann der Luftreinhalteplan auf der RP-Homepage eingesehen, kommentiert und kritisiert werden. Vielleicht findet ja auch der Vorschlag des Jugendrats dort Eingang: Verbilligte Einzeltickets für Jugendliche und die Ausweitung des Nachtverkehrs auch auf Stadtbahnen forderte dessen Sprecher Firat Yurdakul unter großem Applaus.

Kuhn fasste zusammen: „Einige lehnen Veränderungen ab, anderen sind es zu wenige.“ Alle müssten am Ende zufrieden sein, eines sei sicher: „Ich werde Stuttgart nicht stilllegen. So läuft urbanes Leben nicht.“