Im Hauptjob bilden Ludwigsburger Professoren Finanzbeamte aus, nebenbei schulen sie gegen gutes Honorar eifrig Steuerberater. Kein Problem,finden sie und verweisen auf Ministeriale, die das Gleiche tun. Nun schaut das Finanzressort genauer hin.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es war ein „interessantes Ar-beitsangebot“, das Uwe G. 2015 auf Facebook postete. Ein renommiertes Steuerberatungsbüro im Großraum Heilbronn suche eine Nachwuchskraft, schrieb der Professor an der Hochschule für Verwaltung und öffentliche Finanzen in Ludwigsburg. Geboten würden „ein überdurchschnittliches Gehalt und die Per-spektive einer späteren Partnerschaft“. Interessenten könnten sich gerne vertraulich an ihn wenden, verblieb G. und gab seine dienstliche Mailadresse an.

 

Die Resonanz in der Zielgruppe war gering. Nur ein einziger Student habe sich gemeldet, dann aber nichts mehr von sich hören lassen, erinnert sich der Professor. Ein deutliches Echo bekam G. hingegen von seinem Dienstherrn. Die Hochschule und das übergeordnete Wissenschaftsministerium waren von dem Facebook-Eintrag gar nicht angetan. Angesichts der Konkurrenz zwischen Finanzverwaltung und Steuerberatern um den Nachwuchs fanden sie es irritierend, dass ausgerechnet ein Ausbilder beim Abwerben der Ausgebildeten helfe. Man habe „sofort reagiert und Abhilfe geschaffen“, verlautet aus Stuttgart: „Der Post wurde gelöscht.“ Es handele sich um einen besonders gelagerten Einzelfall, weitere Fälle seien nicht bekannt.

Die Praxis der Stellenangebote abgestellt

Auch G. spricht heute von einem Einzelfall: Er habe die Jobofferte „aus verwandtschaftlicher Gefälligkeit“ gepostet. Einleitend hatte er zwar geschrieben, seine Studenten wüssten, dass sich „gelegentlich Steuerberatungsbüros mit Arbeitsangeboten an mich wenden“. Doch der Professor legt großen Wert darauf, dass er „niemals ein Arbeitsverhältnis vermittelt“ noch Adressen weitergegeben habe. Vor einigen Jahren habe er einzelne Stellenangebote von Steuerberatungsbüros am Schwarzen Brett in Ludwigsburg aufgehängt – „auf Bitte und mit ausdrücklicher Billigung der Hochschulverwaltung“. Der Grund: Damals habe die Finanzverwaltung nicht alle Absolventen übernehmen können. Er habe dies, als sich das wieder änderte, sofort beendet und sei „in kein einziges Bewerbungsverfahren involviert“ gewesen.

Nicht nur am Schwarzen Brett, sogar im Intranet der Hochschule sollen einst Stellenangebote von Steuerberatern verbreitet worden sein – auch noch zu seiner Zeit, als die Absolventen längst wieder dringend vom Fiskus benötigt wurden. Gerade unter den Besten erlagen etliche der Verlockung und wechselten zu den großen Steuerberatungsfirmen. Schon früh wurden sie gezielt umworben, was prompt Spekulationen auslöste, ob und wie die Namen wohl durchgesickert seien; schließlich seien sie nur einem kleinen Kreis bekannt gewesen. Offiziell will davon niemand etwas wissen: Der Hochschule liegen dazu „keine Informationen vor“, auch befragte Großkanzleien zeigten sich ahnungslos.

Mit der Gewerkschaft einig gegen Abwerbeversuche

Bald nach ihrem Amtsantritt 2012 nahm sich die neue Rektorin Claudia Stöckle, deren Ablösung inzwischen einen Untersuchungsausschuss des Landtags beschäftigt, des Problems der Abwanderung an. Als sich die Landesspitze der Deutschen Steuergewerkschaft (DStG) im Herbst 2013 mit ihr traf, war das ein großes Thema. Man habe intensiv diskutiert, ob die Hochschule wirklich als Reservoir dienen solle, in dem Steuerberater „ihren Bedarf abfischen“ könnten, hieß es in der DStG-Zeitschrift. Mit Stöckle zeigte sich die Gewerkschaft einig, „dass direkte Abwerbeversuche an der Hochschule nicht stattfinden dürfen“.

Die Rektorin unterband nicht nur die Praxis der Stellenannoncen, sondern auch die offiziellen Werbefahrten zu den großen Steuerberatungsfirmen. Heute werden diese unter Regie der Studentenvertretung (Asta) angeboten. Allein für diesen Mai gab es zwei Einladungen nach Stuttgart: eine zur KPMG, wo ein einstiger Ludwigsburger Absolvent „Fragen zu Einstiegs- und Karrierechancen“ beantworten sollte, und eine zum Kennenlernen bei PwC, jeweils mit geselligem Ausklang. Auch Ernst & Young umwirbt die angehenden Finanzbeamten und nennt sogar Zahlen: Voriges Jahr seien 120 bei „EY Insights“ dabei gewesen, vier Absolventen habe man letztlich eingestellt. Solange die Information neutral erfolge, sei das Asta-Angebot nicht zu beanstanden, heißt es im Finanzministerium.

Ausgelaufene Genehmigungen, fehlende Meldungen

Es war nicht der einzige Punkt im Zusammenspiel zwischen Steuerberatern und Hochschule, den Stöckle aufs Korn nahm. Noch unbeliebter machte sie sich, als sie die Nebentätigkeiten der Professoren näher anschaute. Reihenweise sind diese, ebenso wie Beamte aus den Finanzbehörden, in der Aus- und Weiterbildung von Steuerberatern aktiv. Teils referieren sie in Seminaren bei der Steuerberaterkammer, für die die Teilnehmer mehrere Tausend Euro berappen müssen, teils bei einschlägigen Fortbildungsinstituten, teils in eigenen Gesellschaften. Es scheint ein lukrativer Markt zu sein, auf dem sich diverse Anbieter tummeln. Sie heißen, zum Beispiel, Institut für Wirtschaft und Steuern (Sitz: Mosbach), Neufang Akademie (Sitz: Calw) oder Private Akademie für Steuerrecht in der Wirtschaft Stuttgart. Zu den offenbar einträglichen Honoraren erfährt man bei der Steuerberaterkammer Stuttgart nichts: „Die Vergütungsvereinbarungen unterliegen der Vertraulichkeit.“

Teils müssen die Nebentätigkeiten genehmigt, teils zumindest samt Einkünften gemeldet werden. Doch in Ludwigsburg hatte man dies lange schleifen lassen: Manche Genehmigungen lagen gar nicht vor, andere waren längst ausgelaufen, wiederholt fehlten die jährlichen Aufstellungen über das oft satt fünfstellige Zusatzsalär. Stöckle mahnte dies alles an – und stellte zudem Fragen, die man an der Beamtenhochschule nicht gewohnt war: Gebe es nicht Interessenkonflikte, wenn Dozenten im Nebenjob Steuerberater ausbildeten, also die natürlichen Gegenspieler der Finanzbeamten? Gehe das Engagement womöglich zu Lasten des Hauptberufs?

Wirklich kein Interessenkonflikt?

In der Theorie dürfte es da kein Problem geben. Steuerberater seien ein „unabhängiges Organ der Steuerrechtspflege und Mittler zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen“, erläutert das Finanzministerium von Edith Sitzmann (Grüne). Wie die Finanzbehörden seien sie „an Gesetz und Rechtsprechung gebunden“ und zudem dem Gemeinwohl verpflichtet, sekundiert die Stuttgarter Kammer; somit gebe es „nicht entgegengesetzte, sondern gleichlaufende Interessen“. Auch die Hochschule legt Wert darauf, dass die Lehrenden „nah an den Entwicklungen und Bedürfnissen der Berufspraxis dranbleiben“. Die fachliche Zusammenarbeit mit den Steuerberatern sei im Interesse eines „praxisnahen Studienangebots“.

Doch in der Praxis ist das Zusammenspiel komplizierter. Der Fiskus will möglichst hohe Steuereinnahmen generieren, der Steuerberater die Belastung seiner Mandanten gering halten – schon da beginnt das Ringen. Gesetze kann man eben so oder so auslegen. Mit seiner Rechtsansicht liege er falsch, musste sich ein Betriebsprüfer einmal von einem Steuerberater sagen lassen. Zur fraglichen Streitfrage, das war dessen Trumpf, habe ein Professor aus Ludwigsburg in der Fortbildung eine ganz andere Meinung vertreten. „Schön ist das nicht“, kommentierte der Beamte. Interessenkonflikte seien schon deshalb ausgeschlossen, „da Lehrende nicht in Verbindung mit den Mandanten stehen“, hatte die Kammer argumentiert. Indirekte Bezüge aber kann es sehr wohl geben.

Unter den Aufständlern sind viele Betroffene

Auch die Vorgabe, das Hauptamt müsse Vorrang vor dem Nebenjob haben, schien nicht immer klar erfüllt. In Ludwigsburg gibt es zwar Professoren, die beides gut unter einen Hut bringen: Uwe G. etwa, der Mann mit den Stellenangeboten, ist nicht nur in der Fortbildung gefragt. Da referiert er über die aktuelle Rechtsprechung oder neue Gesetze und Erlasse. „Zugang zu irgendeinem geheimen Verwaltungswissen“, sagt er, „habe ich nicht.“ Auch Studenten loben seine Vorlesungen und erteilen ihm regelmäßig gute Noten. Aber es gebe eben auch andere Professoren, berichten Absolventen – solche, die lustlos aus eigenen Büchern vorlesen und ihre Veranstaltungen terminlich so legten, dass möglichst viel Spielraum für die Nebentätigkeit bleibe.

Selbst Verwaltungsmitarbeiter profitierten an der Beamtenhochschule von den Zweitjobs der Dozenten: Für Dienste bei Seminaren, die dort oft am Wochenende stattfanden, erhielten sie eine Vergütung. Mit dem Ruf nach einer sauberen Trennung der Sphären machte sich die Rektorin nicht nur Freunde. Auffällig viele direkt oder indirekt Betroffene waren unter den Aufständlern, die letztlich ihre Ablösung erzwangen. Ihr Vorgehen, meinen Insider, habe womöglich noch mehr böses Blut erzeugt als der Umgang mit fragwürdigen Zulagen, die jetzt von der Justiz und dem Landtag aufgearbeitet werden.

Unverständnis erntete die strenge Rektorin auch deshalb, weil es anderswo weniger streng zugehe. Man tue doch letztlich das Gleiche wie der oberste Steuerbeamte des Landes, der Abteilungsleiter im Finanzministerium Michael Schmitt, hieß es immer wieder. Tatsächlich ist der Ministerialdirigent ein gefragter Mann. Kraft Amtes leitet Schmitt den Prüfungsausschuss für die Steuerberater, seit Jahren lehrt er als Honorarprofessor „Internationales Steuerrecht“ an der Universität Mannheim, daneben hält er Vorträge bei Seminaren von Kammern oder Berufsverbänden. Einen Lehrauftrag in Ludwigsburg hat Schmitt hingegen nicht, dort sieht man ihn nur selten. Ein gutes Vorbild?

Man habe keinen Anlass zu Zweifeln, sagt das Ministerium. Ähnlich stark wie Schmitt engagieren sich mehrere leitende Beamte seiner Abteilung in der Fortbildung – und ein hoher Beamter der Oberfinanzdirektion (OFD) in Karlsruhe. Dass dessen Dienstreisen öfter dahin führten, wo er abends einen Vortrag halte, sei gewiss Zufall, spötteln Kritiker. Auf den OFD-Fluren ist das Ausmaß seiner Nebentätigkeit inzwischen regelmäßig Gesprächsthema.

Sitzmann lässt „Maßnahmen“ prüfen

Das Gegrummel dringt natürlich auch ins Stuttgarter Finanzministerium. „Das Thema Nebentätigkeiten“, weiß man dort, „ist seit Jahrzehnten immer wieder einmal Anlass für Kritik und Diskussion.“ Vor gut zwanzig Jahren etwa geriet bereits der Steuerchef von Gerhard Mayer-Vorfelder (CDU) damit in die Schlagzeilen. In den Folgejahren herrschte eine gewisse Vorsicht, dann rissen wieder die alten Sitten ein. Die neue Ressortchefin Sitzmann und ihr Amtschef Jörg Krauss scheinen nun aber gewillt, die Sache erneut anzugehen. Derzeit, sagt ihr Sprecher, prüfe man die Nebentätigkeiten „grundsätzlich“. Dann werde sich zeigen, „ob und inwieweit zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind“.