Was verbindet eine Sandalenschnalle aus 925er Sterlingsilber mit einer von Pforzheimer Studenten gebauten Kettenreaktionsmaschine, die es jetzt ins Guinness-Buch der Rekorde schaffen soll? Sie sind eigentlich nutzlos und deshalb Teil einer Luxusausstellung.

Reportage: Robin Szuttor (szu)

Pforzheim - Die Pakete stapeln sich deckenhoch im Büro von Thomas Hensel. Alles Dinge für seine Ausstellung, die nach und nach mit der Post eintrudeln: sündhaft teurer Safran aus Afghanistan, eine Barbie-Sonderedition aus Amerika, besonders reines Mineralwasser aus Japan. „Der Louis-Vuitton-Bilderrahmen aus Paris müsste jetzt auch bald kommen“, sagt Thomas Hensel, 48, Professor für Designtheorie an der Hochschule Pforzheim.

 

Das Flaggschiff seiner Luxusschau ist ein Automat aus Abfall und Flohmarktartikeln, montiert auf ein 200 Kubikmeter großes Holzlattengerüst. Ein 3-D-Wimmelbild. Darin kann man entdecken: leere Spezi-Dosen, eine alte Schreibmaschine, Typ Carina, eine rostige Schiffsschraube, drei Weihnachtskugeln, eine Rattenfalle, eine Quietschente, ein von drei Schrauben durchbohrtes Gesangbuch des Bistums Trier, eine Fahrradfelge, einen Nikolausstiefel aus Plastik, einen Sack für festkochende Kartoffeln und tausend andere Dinge.

Das Anschucken eines speckig glänzenden Apfels ist die Initialzündung. Dann laufen mehr als 500 Kettenreaktionen ab. Nach 30 Minuten findet der Koloss wieder zur Ruhe. Eine halbe Stunde Kapriolen. Etwas Produktives bringt der Apparat dabei nicht zustande. Er verschweißt keine Autoteile, schneidet keinen Stahl, wirft kein Milliwatt Leistung ab. Ein Paradebeispiel für Luxus, das der Lateiner mit „Verschwendung“ übersetzt.

Alles hängt ab vom schwächsten Glied

Wird der Puppenkopf so von der Guillotine rollen, dass er den Föhn einschaltet? Der Föhn einen Tischtennisball zur Startrampe des Matchboxautos blasen, das nach einem Salto eine Wasserflasche anstößt, die im Sturzflug den Reißverschluss einer Strickweste öffnet? Alles hängt vom schwächsten Glied ab. Der erste Versuch ging schief. Aber noch ist man guten Mutes, dass es die Maschine ins Guinness-Buch schafft und den bisherigen Champion aus Lettland übertrifft, der nach 418 Stationen eine Kerze anzündete. Sollte es gar nicht klappen, war’s eben Verschwendung.

„Es ist spannend zu sehen, welche Kräfte das Luxusprojekt bei den Studenten freisetzt, wie sehr sie sich ausbeuten – und die Studienlast hinter sich lassen“, sagt Thomas Hensel, der sich die dezente Extravaganz altrosafarbener Manschettenknöpfe unter den Pulliärmeln gönnt. In seiner Freizeit sammelt er Kaugummis in Form von Augäpfeln, Zombie-Hirne als Fruchtgelee und andere Horror-Süßigkeiten aus aller Welt. Auch Luxus.

Die Ausstellung zum 250-Jahre-Goldstadtjubiläum spielt im Pforzheimer Alfons-Kern-Turm, ramponiertes Überbleibsel einer abgerissenen Gewerbeschule. In seinen erdfarbenen Vorhängen liegt noch der Geruch ungezählter Unterrichtseinheiten. Hier wirkte zwischen verschrundeten Wänden und rostigen Heizungen die Lehrerin Frau Rothweiler-Wurst, wie auf dem Klassenzimmerschild zu lesen ist. Fehlt nur, dass aus dem schicken 60er-Jahre-Lautsprecher die Durchsage des Kurators ertönt: „Hochverehrtes Publikum, meine Damen und Herren, die Schau kann beginnen.“

Eine Barbie braucht Pelz

„Hier kommt die Kinderwelt rein“, sagt Thomas Hensel wie ein Familienvater im neuen Eigenheim. Die Kinderwelt zeigt, wie die Kleinen zu Luxusgören erzogen werden. Auf abgewetztem Steinboden liegt ein neumodischer Spielteppich aus. Er zeigt das Villengrundstück einer glücklichen Familie. Im Swimmingpool schaukelt azurblaues Wasser, eine Sprinkleranlage hält den parkähnlichen Garten feucht. Darauf wächst die Jugend von heute heran.

Hensel konnte eine Barbie-Sonderedition aus den USA ergattern. Sie hat die Gesichtszüge und den Hollywood-Shine von Kimora Lee Simmons, die bereits als 13-Jährige Hausmodel bei Chanel war, später Designerin beim Modelabel ihres millionenschweren Gatten wurde. Die Barbie mit Gazellenkörper unter einem knöchellangen Pelzmantel wird dem Original gerecht: Simmons bewohnt eine 4000-Quadratmeter-Villa mit 15 Schlaf- und 20 Badezimmern, Kino und Schönheitssalon. Sie fiebert nach Edelsteinen, teuren Handtaschen und was so alles dazu gehört. „Ich repräsentiere Luxus“, soll sie mal gesagt haben, „und ich liebe es.“

Wie Puppen wirken die Kinder auf den Bildern von Anna Skladmann. Die Künstlerin fotografierte Sprösslinge russischer Oligarchen in ihren Palästen: als Lolitas oder kleine Herrscher herausgeputzt, in Ballkleidchen und Silberballerinas, in Budapester Maßschuhen und mit Kalaschnikow im Arm. Wie Zierrat um Operettenmöbel und schwere Gobelins gepflanzt, die kein Kind ernsthaft mögen kann. Die Eltern sind stolz auf die Fotos. „Die Schau soll auch Stachel im Fleisch sein“, sagt Hensel.

Wie gräbt man sich bis zur DNA eines Objekts vor?

Wie gräbt man sich bis zur DNA eines Objekts vor? Mit Handwerkskunst. Im Turm liegt ein grobes Stück Buchenholz. Irgendwann wird es die ganze Schönheit dieser Welt zutage fördern – das Stück Holz ist Rohstoff für Bösendorfer-Flügel.

Thomas Hensel packt eine Mineralwasserflasche aus ihrem purpurroten Futteral. „Fillico“ wird am Fuße des Mount Rokko bei Kobe abgefüllt. Auf den sandgestrahlten Flaschen funkeln Swarovski-Steine, der Verschluss ist der Krone Friedrichs des Großen nachempfunden. Wie kostbar muss da erst der Inhalt sein? Ein Dreiviertelliter sollte einem zumindest 270 Euro wert sein.

Wie Alchemisten arbeiten Produktdesigner an der Transmutation von Stoffen. An der Veredelung von Klopapier zum Beispiel: 25 Blatt Luxury of Care kosten 95 Schweizer Franken. Da kommen pro Toilettengang schnell mal 20 Euro zusammen – und es extra sparsam zu verwenden ist ja auch keine Lösung. Man ertappt sich dabei, dass man das weiche Papier schon fast ehrfürchtig berührt.

Was ist Luxus in gesättigten Märkten? Wenn, wie bei König Midas, alles zu Gold wird, was man anfasst – sogar auf dem Klo? Wenn die Polospieler und Krokodile auf den Leibchen immer größer werden und jeder Heini einen Hermès-Gürtel trägt? Wenn Luxus zur Massenware wird, macht man eben aus Alltagsprodukten Luxusartikel – und schlupft in seine Birkenstocksandalen, Modell Arizona, für 400 Euro. Der Clou: Die vom Schweizer Künstler Patrik Muff entworfenen Schnallen sind aus 925er Sterlingsilber gefertigt. Das erkennen freilich nur die Wissenden.

Ein Parka für 6000 Euro

Warum kostet ein stinknormaler grüner Parka 6000 Euro? Weil er mit Samtnerz und russischem Zobel gefüttert ist, die aber nur am Kragen und an den Handgelenken rausspicken. Das ist sehr wichtig beim Versteckspiel: die Hoffnung, entdeckt zu werden.

Die Porzellanmanufaktur Nymphenburg erspart es Tischgästen, in einem unbemerkten Moment das Speiseservice umzudrehen, um nach der Marke zu linsen. Man muss nur brav die Suppe auslöffeln, schon kommt das Hauswappen auf dem Tellerboden zum Vorschein. Das mit Blattgold reich verzierte florale Dekor verbirgt sich indes auf der Tellerrückseite. Verkehrte Welt.

Luxus macht nicht froh. In Joris-Karl Hysmans „Gegen den Strich“ weiß der exzentrische Romanheld Herzog Jean des Esseintes schon gar nicht mehr, was er in seiner Übersättigung noch alles machen soll. Er kauft sich eine Riesenschildkröte, um mit ihr den Farbenreiz seines Teppichs zu erhöhen. Unzufrieden mit dem Ergebnis, überzieht er den Panzer des Tieres mit einer Goldlasur, setzt ein Bouquet aus Rubinen und Aquamarinen obendrauf. Die Schildkröte stirbt: „Sie war an eine ruhige Existenz, an ein demütiges Leben, das sie unter ihrer ärmlichen Schale zubrachte, gewöhnt. Sie hatte den Luxus, den goldglänzenden Überzug, mit dem man sie bekleidet, die Edelsteine, mit denen man ihr die Rücken gepflastert, nicht vertragen können.“

Früher galt Müßiggang als Vorrecht der vermögenden Klasse. Dann bildete die Leistungsgesellschaft der 1970er Jahre Zeitknappheit als ein neues Statussymbol aus. Heute steht der Luxusartikel Zeit wieder sehr hoch im Kurs – und sei es, wie bei den Pforzheimer Studenten, um für eine halbe Stunde Spielerei monatelang zu bauen.

Sojuskapsel aus Holz

In der Ausstellung gibt es einen Ruheraum. Eine Art Sojuskapsel aus Holz – außen bepflanzt, innen liegt etwas zum Lesen aus. Man kann aber auch einfach gar nichts machen. Nur sitzen. Zeit vorbeifließen lassen. Wellen kommen, Wellen gehen. Manchmal ist es gut, man wartet in aller Ruhe, bis sich was entwickelt. So wie sich die Knospe eines Baums öffnet, wenn die Zeit gekommen ist. Mit mechanischem Zwang ist da nichts zu machen.

Tibetanische Mönche werden im Alfons-Kern-Turm vier Tage lang ein Mandala aus Sandkörnern legen – ein hochintuitiver Vorgang, der sich den Luxus erlaubt, zweideutige Momente zu schaffen – Augenblicke, in denen sich Zeit und Ewigkeit berühren, wie es Sören Kierkegaard formuliert.

Und so bastelt man ein Leben lang an seinem Mandala, peppt es hier noch mit ein paar schönen Sandalen auf, macht es dort noch bedeutungsvoller durch besondere Gescheitheit oder sportlichen Fleiß. Versucht ein paar nette Muster und Farben hinzukriegen. Am Ende kommt dann der große Gleichmacher zum Kehraus und wischt das Bild einfach weg. Der Himmel braucht kein Dekor.

Die Ausstellung
„Luxus – Positionen zwischen Opulenz und Askese“ ist von 19. Mai bis 25. Juni im Pforzheimer Alfons-Kern-Turm, Theaterstraße 21, zu sehen. Die Öffnungszeiten: Mi bis Fr 13–19 Uhr, Sa und So 11–19 Uhr. Die Schau ist ein Projekt der Fakultät für Gestaltung Design der Hochschule Pforzheim, des Kunstvereins Pforzheim, des Kulturamts der Stadt Pforzheim und des Emma-Kreativzentrums Pforzheim. Gefördert wird sie vom Bundesverband Schmuck und Uhren, Goldtstadt 250 und der Karl-Schlecht-Stiftung. Die Kuratoren sind Thomas Hensel und Bettina Schönfelder. Verantwortlich für die Kettenreaktionsmaschine sind Studenten des Studiengangs Maschinenbau sowie Rainer Häberer und Thomas Hensel.