Die Zahl der entlassenen Soldaten in der Türkei ist riesig. Zwar wurden die Posten teils nachbesetzt, doch gibt es Kritik mit Blick auf die Eignung der neuen Kräfte. In der Nato machen sich Zweifel an den militärischen Fähigkeiten der Türkei breit.

Istanbul - Die „Säuberungen“ des Staatschefs Recep Tayyip Erdogan haben große Lücken in die Personaldecke der türkischen Streitkräfte gerissen. Nach Recherchen der Internetseite Turkey Purge, die Erdogans „Säuberungen“ seit dem Putschversuch dokumentiert, wurden rund 10 000 Soldaten und 16 400 Offiziersanwärter entlassen. Unter den Gefeuerten sind fast 150 Generäle und Admiräle, fast ein Drittel des türkischen Generalstabs.

 

Unter den Entlassenen sind viele im Ausland stationierte Offiziere. Weil sie in der Türkei Verfolgung fürchteten, blieben viele der zurückbeorderten Soldaten im Ausland. Mindestens acht Generäle und 260 Offiziere seien auf der Flucht, heißt es in türkischen Medien. Allein in Deutschland haben bis Anfang Mai nach Angaben des Bundesinnenministeriums 414 türkische Soldaten, Diplomaten, Richter und andere Staatsbeamte Asylanträge gestellt.

Massenprozess in Ankara hat begonnen

Seit Montag stehen in Ankara 209 Soldaten vor Gericht. Den Angeklagten, unter ihnen 24 Generäle und weitere 84 ranghohe Offiziere, wird vorgeworfen, an dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016 beteiligt gewesen zu sein. Zwölf Angeklagte fehlen – sie sind auf der Flucht; wie jene beiden türkischen Generäle, die Mitte Mai, aus Griechenland kommend, am Frankfurter Flughafen Asyl beantragten.

Die Entlassungen trafen nicht nur Soldaten, die unmittelbar an der Planung und Ausführung des Umsturzes beteiligt waren, sondern auch Tausende, denen Verbindungen zu Erdogans Erzfeind Fethullah Gülen nachgesagt werden.

Von dem Vorgehen ist auch die Nato betroffen. Die Türkei hat seit dem Putschversuch rund 150 zum Teil erfahrene Offiziere aus den Allianz-Hauptquartieren abgezogen. Die Posten wurden zwar inzwischen teils neu besetzt, aber viele der Nachrücker hätten erhebliche Defizite in der englischen Sprache, heißt es in Kreisen der Allianz. Es fehle oft auch an Basiswissen über die Nato und Sicherheitsfragen. Experten des Bündnisses äußern Besorgnis. Es gebe „Zweifel an den operationellen Fähigkeiten der türkischen Streitkräfte“, wurden vergangenen Monat ranghohe Nato-Diplomaten in Medien zitiert.

Mehr als die Hälfte der Kampfpiloten wurde entlassen

So hätten sich beim Einsatz der türkischen Armee gegen die IS-Terrormiliz im Norden Syriens „bemerkenswerte Schwierigkeiten“ gezeigt. Vor allem bei der Luftwaffe gebe es Engpässe. Von den früher 600 aktiven Kampfpiloten wurden 380 entlassen.

Ein Ende der „Säuberungen“ ist nicht in Sicht. Der Ausnahmezustand ermöglicht es Staatschef Erdogan, Staatsbedienstete nach Gutdünken per Dekret zu entlassen. Dabei soll es offenbar bleiben. Am Sonntag kündigte Erdogan an, der Ausnahmezustand werde erst aufgehoben, wenn in der Türkei „Frieden und Wohlstand“ eingekehrt seien.