Umweltminister Franz Untersteller zweifelt am Sinn der einst von Rot-Grün eingeführten Stromsteuer – und will den „Atompakt“ mit den Energiekonzernen nicht antasten.

Mit der jüngsten Richterentscheidung aus Karlsruhe ist der Atomausstieg auch juristisch akzeptiert. Minister Untersteller erwartet keine hohe Entschädigung an die Konzerne.

 
Herr Minister Untersteller, nach dem Atomurteil des Verfassungsgerichts steht den Energiekonzernen eine Entschädigung zu, muss der Steuerzahler sich darauf einrichten hohe Summen zu zahlen?
Nein, das Urteil bestätigt den Atomausstieg von 2011 und sieht nur in Teilen einen Entschädigungsbedarf: Erstens für entgangene Stromerzeugungsrechte für die nie in Betrieb gegangene Anlage Mülheim-Kärlich und die Anlage in Krümmel, die 2011 aus technischen Gründen stillstand. Zweitens für Investitionen, die zwischen der Entscheidung zur Laufzeitverlängerung im Oktober 2010 und März 2011 – Stichwort Fukushima – getätigt wurden, im Glauben, die Laufzeitverlängerung habe Bestand. Meiner Ansicht kann da nicht viel passiert sein an Investitionen. Was man aus Berlin hört, geht keiner davon aus, dass Milliardensummen fließen werden.
Der Staat hat sich mit den Atomkonzernen geeinigt, ihnen für mehr als 23 Milliarden Euro die Atommülllagerung abzunehmen. Muss dieses Paket neu überdacht werden?
Dafür sehe ich keine Notwendigkeit. Wir sehen aber an dem Deal und der genannten Zahl, dass es mit der billigen Atomenergie nie weit her war. In den Produktionszahlen des Atomstroms waren solche zweistelligen Milliardenkosten nie enthalten. Die Betreiber haben Rückstellungen für Stilllegung und Rückbau der Anlagen gebildet, aber nicht unwesentliche Kosten für die Entsorgung und Lagerung des Atommülls werden am Steuerzahler hängen bleiben.
Der AKW-Rückbau wird das Thema der nächsten Jahre sein. Jetzt schon gibt es Widerstand etwa gegen die Deponierung von „freigemessenem“ Bauschutt aus alten AKW. Wie wollen Sie den entkräften?
Wir haben schon viel getan, um ihn zu entkräften. Wir hatten im Sommer eine Phase der Unsicherheit mit widersprüchlichen Äußerungen von Deponiebetreibern und der Strahlenschutzkommission bezüglich des Risikos bei der Nachnutzung von stillgelegten Deponien, auf denen freigemessene Abfälle gelagert sind. Deshalb hatte ich Ende Juni ein Moratorium für die Deponierung verhängt und ein langjähriges Mitglied der Strahlenschutzkommission mit einem Gutachten beauftragt. Das Ergebnis: Bei fünf untersuchten Szenarien – Nutzung in der Landwirtschaft, im Forst, im Baubereich, auf Straßen und im Freizeitsektor – liegen die Risiken weit unter den strengen Anforderungen der Strahlenschutzkommission. Daher habe ich das Moratorium wieder aufgehoben. Ich würde mir wünschen, dass Bürgermeister vor Ort Verantwortung zeigen und Ängste nicht schüren. Sie sollten nicht von Atommüll sprechen, denn es handelt sich um gewöhnlichen Bauschutt. Der strahlt weniger als der Marktplatz von Vaihingen, um es deutlich zu sagen.
Im Januar tritt die EEG-Novelle in Kraft. Mit der Überförderung von Erneuerbarer Energie wird Schluss sein, da es nicht mehr feste Vergütungen geben wird – ist das nicht eine gute Sache?
Einspruch! Eine Überförderung der Erneuerbaren kann ich in den letzten Jahren nicht mehr erkennen. Wer heute von seiner Fotovoltaik-Anlage elf bis zwölf Cents für die Kilowattstunde erhält, wird nicht überfördert. Das ist fast ein Drittel dessen, was er zahlt, wenn er den Strom anderswo bezieht. Ergo tut er alles dafür, den Strom nicht Erzeugern zu liefern, sondern ihn selbst zu verbrauchen. Bei Windkraft werden Vergütungen um die acht Cents gezahlt, da sind wir nur knapp über den Stromerzeugungskosten aus neuen konventionellen Anlagen. Die EEG-Novelle war richtig in dem Punkt, dass sie den Umstieg von gesetzlich festgelegten Preisen vornimmt auf Strommengen, die im Wettbewerb ausgeschrieben werden. Das bringt mehr Transparenz und hoffentlich sinkende Erzeugerpreise.
Die hohe EEG-Umlage wird als Ärgernis empfunden – schadet sie der Akzeptanz der Energiewende?
Laut einer Allensbach-Umfrage wird die Energiewende gut akzeptiert, 70 Prozent wollen sie weiterhin. Aber wir müssen die Bezahlbarkeit von Strom im Auge behalten, auch wegen unserer Industrie im internationalen Wettbewerb. Man kann darüber reden, ob die Stromsteuer von 2,05 Cents pro Kilowattstunde noch sinnvoll ist. Sie ist in den 90ern von Rot-Grün eingeführt worden als Anreiz für mehr Energieeffizienz. Heute haben wir eine EEG-Umlage von 6,88 Cents, da hat die Stromsteuer ihren Zweck verloren. Wer sie streicht, braucht eine Gegenfinanzierung. Da könnte man an einen Aufschlag auf die Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen denken. Aber so etwas will gut überlegt sein. Drehen wir an einer Stellschraube, hat das vielleicht Auswirkungen an unerwarteter Stelle. So könnte die Senkung des Strompreises den Anreiz verringern, in neue Fotovoltaik-Anlagen zu investieren. Die lohnen sich umso mehr, je größer die Differenz zwischen den Kosten für die selbst erzeugte Kilowattstunde und dem Einkaufspreis des Stroms beim Energieversorger ist.
Bei der Windenergie zeigt die Bilanz 2016 mehr als 100 neue Anlagen in Baden-Württemberg mit insgesamt 300 Megawatt. Ist das mit oder trotz der CDU gelungen?
Das hat wenig mit der CDU zu tun, sondern mit dem Landesplanungsgesetz, dem Windkrafterlass sowie den Planungsprozessen bei Regionalverbänden und Gemeinden. Dazu kamen die Erhebung von Daten, was windkraftrelevante Tierarten betrifft. Das hat Jahre gedauert. Wir ernten heute die Früchte, dessen was wir gesät haben. Wir sind ein Windenergieland, liegen bei dieser Energieform auf Platz fünf hinter Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen. Ich wundere mich manchmal über die Diskussionen. Wenn jemand hier vier bis fünf Millionen Euro in eine Windkraftanlage investiert, tut er das nur in der Gewissheit, dass sich der Rotor drehen wird. Wir brauchen für den Klimaschutz mehr Strom aus Wind, Solar, Wasser und Biomasse, auch in Baden-Württemberg.