Ein 36-Jähriger Iraker muss für drei Jahre und zwei Monate ins Gefängnis, weil er in einem Flüchtlingsheim ein Kind missbraucht hat.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Böblingen - Das Strafmaß stieg kurz vor Prozessende noch einmal an. Nachdem im Stuttgarter Landgericht die Polizistin ausgesagt hatte, die das Opfer allein vernommen hatte, erklärte der Richter Joachim Holzhausen, dass auch ein Urteil wegen Vergewaltigung infrage komme. Gegenstand der Anklage war der sexuelle Missbrauch einer Sechsjährigen.

 

Jene Polizistin war die letzte Zeugin. Dem Wort gemäß ist Gewalt ein wesentliches Merkmal einer Vergewaltigung. Dass der 36-jährige Angeklagte das Mädchen am Arm gepackt und auf seinem Schoß festgehalten hatte, reiche aus. So urteilte das Gericht und schickte den Mann für drei Jahre und zwei Monate ins Gefängnis.

Der Angeklagte hatte geleugnet

Der Angeklagte hatte geleugnet: „Ich habe das Kind nicht angefasst“, sagte er. Das Mädchen und seine Familie würden aus religiösen Gründen lügen. Der 36-Jährige ist Jeside. Die Eltern des Opfers sind Sunniten. Alle Beteiligten stammen aus dem Irak. Die Geschichte vom Religionsstreit „kann man ad acta legen“, sagte Holzhausen indes. Es sei schlicht undenkbar, dass eine Sechsjährige an einem Komplott beteiligt sei, an dessen Ende sie in allen Details die Geschichte ihrer Vergewaltigung erzähle. Dies allein schon deshalb, weil ein Kind in diesem Alter keinerlei Vorstellungen von Sex haben könne.

Die Sechsjährige habe das, was am 30. Mai geschehen ist, so erzählt: Sie wollte die Treppe des Böblinger Flüchtlingsheims hinunter zum Spielplatz. Auf den Stufen saß der 36-Jährige. Er packte sie mit einer Hand am Unterarm, zog sie auf seinen Schoß. Die andere Hand glitt erst auf ihren Bauch, dann in die Hose und zwischen ihre Beine. Die Finger rieben, einer drang ein. Sie schrie und wehrte sich heftig, kam frei, stürzte, schlug sich das Knie blutig und rannte zurück ins Haus zu ihrer Mutter, um die Geschichte zu erzählen. Diesen Ablauf hat das Gericht als Tatsache festgestellt.

Zwar ergab die gynäkologische Untersuchung keinen Hinweis auf einen Missbrauch und ein DNA-Abgleich kein eindeutiges Ergebnis. Auf beidem fußt das Urteil ausdrücklich nicht. „Lügen sind kurz und karg“, sagte Holzhausen – wie die Schilderung des Angeklagten: Er habe putzen wollen und das Mädchen weggeschickt, um Platz zu haben. Dass ein Kind sich nicht nur den Missbrauch, sondern auch das Geschehen am Rand ausdenkt, hielt das Gericht für ausgeschlossen. Zudem überzeugte, dass die Sechsjährige die Tat auch mit Gesten schilderte, die ein Kind ihres Alters mangels sexuellem Vorstellungsvermögen nicht erfinden könne. Kleine Abweichungen in verschiedenen Vernehmungen seien ebenfalls mit dem Alter des Opfers zu erklären, außerdem mit Scham gegenüber Vater und Mutter. Nur bei einem der Gespräche mit der Polizei waren die Eltern nicht dabei. Weil der Angeklagte ein Geständnis verweigerte, hatte das Mädchen vor Gericht noch einmal aussagen müssen. Beim Anblick des Angeklagten sei in seinem Gesichtsausdruck „sofortige Aversion zu erkennen“ gewesen, sagte Holzhausen.

Womöglich droht die Ausweisung

Als Mindeststrafe wären zwei Jahre Haft infrage gekommen, auch zur Bewährung. Die Staatsanwaltschaft hatte dreieinhalb Jahre gefordert. Die Tatsache, dass der Angeklagte zweimal einschlägig vorbestraft ist, erhöhte die Strafe. Beim ersten Mal hatte er eine Neunjährige zu sich gelockt und auf die Wange geküsst. Beim zweiten Mal hatte er im Bus eine Zwölfjährige bedrängt und ans Knie gefasst. Dafür hatte er jeweils eine Geldstrafe bezahlen müssen. Mildernd wertete das Gericht, dass „der Angeklagte im Gefängnis vollkommen isoliert ist“, so Holzhausen. „Das ist hart.“ Der Mann spricht nur Kurdisch. Er hat keine Schule besucht, ist Analphabet und kann nicht rechnen.

Möglicherweise wiegt das Urteil auch für die Frau und die drei Kinder schwer. Es könnte „ausländerrechtliche Folgen haben“, sagte Holzhausen. Sprich: Ausweisung – für die gesamte Familie.