Die erste der 28 für den Tiefbahnhof von Stuttgart 21 so charakteristischen Kelchstützen beginnt in den Himmel zu wachsen. Der Terminplan wird derweil immer enger. Lassen sich die Arbeiten nicht beschleunigen, entsteht die letzte Stütze erst 2021.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Beim Bahnprojekt Stuttgart 21 beginnt der Hochbau. In der Baugrube für den neuen Durchgangsbahnhof sind in den vergangenen Wochen die Vorbereitungen für die erste sogenannte Kelchstütze angelaufen, jene für den Entwurf des Architekten Christoph Ingenhoven so charakteristischen Träger des zukünftigen Dachs der Bahnsteighalle. 28 davon müssen gebaut werden.

 

Ursprünglich hätte im April Beton fließen sollen

Anfang Juni soll mit dem Betonieren des sechs Meter hohen Fußes der Stütze begonnen werden – und damit später als angekündigt. Ursprünglich wollte die Bahn die Arbeiten schon im April angehen. Ende des Jahres soll der Kelch, der einen Durchmesser von 32 Metern hat, fertig sein. Für Fuß und Kelch rechnet die Bahn sechseinhalb Monate Bauzeit. Je zwei davon können parallel gebaut werden. Das bedeutet, das die letzte Stütze erst im Laufe 2021 fertig würde, das Jahr, in dem eigentlich der umgebaute Bahnknoten in Gänze in Betrieb genommen werden soll. Michael Pradel, bei der DB-Projektgesellschaft für den Abschnitt am Bahnhof zuständig, bestätigte auf Nachfrage diese Rechnung. Er verwies zudem auf das Südende des Bahnhofs, wo ein Zeitverzug von zwei Jahren aufgelaufen ist. Ob sich der Zeitplan für die Kelche halten oder gar beschleunigen lässt, will Pradel erst beurteilen, wenn der erste fertig ist.

Hier geht es zu unserer Stuttgart-21-Zeitleiste: Die Geschichte eines Jahrhundertprojekts.

Weitere Unwägbarkeiten ergeben sich aus der Umplanung der Fluchtwege. Ursprünglich hätten Treppenhäuser von den Bahnsteigen auf das Dach der Station führen sollen. Das Vorhaben der Bahn, diese Fluchtwege an die beiden Enden der Bahnsteighalle zu verlegen, ist noch nicht genehmigt. Die sich aus der Änderung ergebenden Einflüsse auf die Statik haben Auswirkungen auf den Bau weiterer Kelchstützen. Pradel ist zuversichtlich, die Genehmigung im Sommer dieses Jahres zu bekommen: „Wir sind mit dem Eisenbahn-Bundesamt auf der Zielgerade“.

Jede Kelchstütze kostet 1,85 Millionen Euron

Gebaut werden die Kelche wie der gesamte Bahnhofstrog von Züblin. Für das Stuttgarter Bauunternehmen erklärt Ottmar Bögel die Komplexität des Vorhabens. Allein für den oberen Teil der Kelche müssen 84 Schalungselemente wie bei einem dreidimensionalen Puzzle zusammengesetzt werden. Das während der Bauphase notwendige Gerüst ist so groß, dass die bereits betonierten Gleisbereiche wieder zugeschüttet wurden, um mit den Bahnsteigen eine ebene Fläche zu bilden. 1,5 Millionen Euro kostet ein Schalungssatz, drei davon gibt es. für den Bau jeder einzelnen Stütze setzt Bögel im Schnitt 1,85 Millionen Euro an. Die großen Schalungsteile werden in einem Züblin gehörenden Holzbaubetrieb im bayrischen Aichach gefertigt und angeliefert. Der Baustahl, der die komplexe Form der Stützen nachzeichnet, wird in einem Werk in Denkendorf in Form gebogen und nach Stuttgart auf die Baustelle gebracht. Allein im Fuß der Kelchstütze müssen 350 Tonnen Stahl verbaut werden.

Möglichst weiß, ohne große Poren an der Oberfläche: so wünscht sich Bahnhofsarchitekt Christoph Ingenhoven den Beton – und stellt damit die Ingenieure vor große Herausforderungen. Der Baustoffexperte Bernd Hillemeier erläutert die Anstrengungen, die im Vorfeld unternommen wurden, um gleichermaßen die optischen Vorgaben zu erfüllen und gleichzeitig ein Material zu verbauen, das Brandtemperaturen von bis 1200 Grad stand hält. Hillemeier, 19 Jahre lang Professor für Baustoffe, Baustoffprüfung und Bauchemie an der Technischen Universität Berlin, sieht sich für alle Eventualitäten gerüstet: „Wir sind jetzt mit Hosenträger und Gürtel gesichert.“

S-21-Gegner fordern die Bundeskanzlerin zum Umstieg auf

Eisenhart von Loeper, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, fordert in einem Schreiben an Bundeskanzlerin Angela Merkel, angesichts „unerwartet neuerer Entwicklungen bei Stuttgart 21“ einen Umstieg einzuleiten. Rechtsanwalt von Loeper erinnert in seinem Brief an die von ihm und vom ehemaligen Richter Dieter Reicherter erstatteten Anzeigen gegen die ehemaligen Bahn-Vorstände Rüdiger Grube und Volker Kefer sowie gegen deren Nachfolger Richard Lutz und Ronald Pofalla. Es stelle sich die Frage, „wann und wie der Umstieg von S 21 hin zu einer auch heute sehr wohl realistischen Alternative gelingen kann“. In der jetzigen Situation sei „ein Höchstmaß an politischer Kraft und Klugheit im Sinne neuer politischer Weichenstellung“ gefordert, schreibt von Loeper. Er setzt darauf, dass die neue Bahnspitze und der Aufsichtsrat in ihrer nächsten Sitzung „das Thema nochmals grundsätzlich aufgreift“ .