Bei der Speakers‘ Corner wurden am Marienplatz in guter Atmosphäre Ideen für die Stadt vorgestellt. Themen waren Radfahrer, die Internationale Bauuaustellung und die Agenda Rosenstein.

S-Süd - Das Rednerpodest besteht aus zwei umgedrehten Plastikkisten und einem Teppich mit stilvollem Flohmarktflair. Ein Mikrofon und eine Box stehen bereit. Mehr ist nicht nötig, um einen Dialog zwischen Ideengebern und Bürgern anzuregen. Das bewies eine Veranstaltung der neuen Reihe „Stuttgart bricht auf“. Rund 60 Interessierte hatten sich am Samstagabend auf den Treppen des Marienplatzes an der Tübinger Straße eingefunden, um sich an der Speaker’s Corner zu beteiligen und über Fragen der Stadtgestaltung auszutauschen. Eingeladen hatte die Initiative Unsere Zukunft.

 

Den Anfang macht jeweils ein knackiger Impulsvortrag. Zehn Minuten haben die Redner, dann folgen Nachfragen und Diskussion. Jan Lutz, der die Ausfahrten der Critical Mass in der City mitorganisiert, fordert mehr Investitionen in eine passende Infrastruktur für Fahrradnutzer. Die 1,7 Millionen Euro jährlich, die die Stadt in die Hand nehme, seien im Vergleich zum Etat für den Autoverkehr viel zu gering veranschlagt, moniert er. Zudem fühlt sich Lutz als Ökoterrorist stigmatisiert. Nun will er mit einem Rad-Entscheid für einen Politikwechsel sorgen. Nach dem Vorbild von Berlin und Bamberg soll auch die Kesselstadt ihren Volksentscheid für eine fahrradfreundlichere Zukunft bekommen. Der Aktivist, der selbst regelmäßig per Pedal von Esslingen nach Stuttgart zur Arbeit fährt, spricht engagiert, lässt aber offen, worum es ihm en detail geht. Sofort wird seitens der Zuhörer nachgehakt – auch, was Möglichkeiten angeht, sich am Projekt Volksabstimmung für Radfahrer zu beteiligen.

Dialog zwischen den Generationen

Michael Jantzer möchte die Einbindung der Region bei der Internationale Bauausstellung (IBA) stärker in den Fokus rücken. Der SPD-Mann, der im Wahlkreis Stuttgart II für den Bundestag kandidiert, wertet es als Chance für die Region, hundert Jahre nach Errichtung der Weißenhofsiedlung, wieder eine IBA durchzuführen. Leidenschaftlich wirbt er für die Idee, Stuttgart zu einem Polyzentrum zu entwickeln. Mit Städten wie Ludwigsburg oder Esslingen in unmittelbarer Nähe sei es angezeigt, große Themen wie Wohnraum, Verkehr oder Digitalisierung gemeinsam anzupacken. „Den technologischen Veränderungen damit zu begegnen, dass man die Schulen mit WLAN ausstattet, ist zu klein gedacht“, hält er fest. Die Kritik eines Besuchers, vieles gehe deshalb nicht voran, weil die jüngere Generation von den „Silveragern“ nicht adäquat einbezogen würde, weist Jantzer zurück: „Es gibt auch Beispiele für den Willen, den nachfolgenden Generationen etwas zu hinterlassen. Denken sie nur an Bernie Sanders in den USA“, entgegnet er.

Der Punkt wird nicht ausdiskutiert, aber ein Meinungsaustausch hat stattgefunden. Für Denkanstöße scheint die Speaker’s Corner in jedem Fall gut zu sein. Auch erregt die Zusammenkunft öffentliches Interesse. Immer wieder bleiben Passanten stehen, um sich ein Bild davon zu machen, was da mitten im sommerlichen Trubel diskutiert wird und eine erstaunliche Zahl jüngerer Menschen zu interessieren scheint.

Diskussionsplattform bereitstellen

Musiker Thorsten Puttenat und Grafiker Martin Zentner, beide bei den Stadtisten aktiv, werben für die Beteiligung an einer Agenda Rosenstein. „Wenn der blöde Tiefbahnhof schon kommt, wollen wir wenigstens ein Stück vom Kuchen abhaben“, formuliert „Putte“ das Anliegen. Mindestens fünf Hektar des frei werdenden Geländes sollten für soziale Einrichtungen aber auch für Kunstschaffende reserviert bleiben – nicht als Zwischenlösung, sondern dauerhaft. „Wenn wir uns darum nicht schon jetzt bemühen, dann stehen wir irgendwann wieder vor vollendeten Tatsachen“, gibt er zu bedenken. Den Vorwurf, sein Gestaltungswille für das Rosensteinareal legitimiere im Nachhinein das Projekt Stuttgart 21, lässt er nicht gelten. Selbst wenn der Bahnhofsbau nicht vollendet werde, würden Flächen frei. Ideen seien in jedem Fall gefragt.

Vieles bleibt an diesem Abend vage, weil die Initiativen, um die es geht, noch ganz am Anfang stehen. Das hat den Vorteil, dass sich Interessenten ohne den Druck vorgegebener Strukturen mit einbringen können. „Wir wollen keine Aufgaben delegieren, sondern eine Diskussionsplattform bereitstellen, die Dinge auf den Weg bringt“, sagt Steffen Schuldis, Moderator und Initiator des Events. In zwei Wochen soll es eine Fortsetzung geben. Dann lautet das Thema: „Demokratie“.