Das Stuttgarter Ballett ist im Oktober auf Südostasien-Tour. Bereits zum vierten Mal gastiert die Kompanie in Singapur. Beim Auftritt im Esplanade-Theater, wo die Kompanie John Crankos „Romeo und Julia“ tanzt, ist nicht nur die Bühne größer als zu Hause.

Freizeit und Unterhaltung: Dominika Bulwicka-Walz (dbw)

Singapur - Das Stuttgarter Ballett ist im Oktober 2017 wieder zu einer Gastspielreise nach Südostasien aufgebrochen. Bereits zum vierten Mal gastiert die Kompanie dabei in Singapur. Beim diesjährigen Besuch folgt sie dem Wunsch der Gastgeber und bringt John Crankos „Romeo und Julia“ auf die Bühne des Esplanade-Theatre.

 

Singapur, der südostasiatische Stadtstaat auf geringer Fläche, ist für seine vergleichsweise hohe Bevölkerungsdichte, kulturelle Vielfalt und dynamischen Fortschritt bekannt. So ist auch das Theatergebäude, in dem die Stuttgarter Kompanie die ersten Auftritte ihrer aktuellen Tournee bestritten hat, nur schwerlich mit dem Opernhaus in Stuttgart vergleichbar. Im Gegensatz zum klassischen Gebäude in der Landeshauptstadt ist das Esplanade-Theatre ein moderner Komplex. 2002 erbaut, vereint es unter einem Dach ein Theater mit 1950 Plätzen, eine Konzerthalle mit einer eigenen Orgel, mehrere kleinere Studios für Konzerte und Vorführungen sowie ein Open-Air-Theater.

Schon alleine die Architektur – insbesondere aus der Ferne betrachtet – lässt niemanden unbeeindruckt: Zwei riesige Kuppeln, deren Äußeres an zwei nebeneinander liegende Hälften der Durian-Frucht erinnern, der Königin der Früchte in Südostasien, sind durch eine Mall miteinander verbunden. Alles ein wenig größer als in Stuttgart eben.

Seit Wochen werben Plakate für das Gastspiel

Das Innere des Gebäudes ähnelt eher einer Konzerthalle als einem klassischen Theater. Auf dem Weg zum Theatereingang findet im Foyer vor der ersten Vorstellung des Stuttgarter Balletts noch ein Livekonzert statt. Einige der Gäste bleiben stehen und hören eine Weile zu, bevor sie weitergehen.

Vor dem Eingang zum Theater haben sich eine halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung bereits zahlreiche Besucher versammelt. Die meisten der Zuschauer an diesem Abend sind einheimische Ballettfans aller Altersklassen – wobei der Frauenanteil leicht zu überwiegen scheint; fast alle sind für diesen Theaterabend festlich zurecht gemacht.

Das Esplanade-Theatre ist als ein sogenanntes Not-For-Profit-Arts-Centre auf Spenden und Sponsoren angewiesen, was auch der Grund dafür ist, dass Werbung für letztere überall prominent angebracht ist. So auch auf dem großen Plakat mit Alicia Amatriain und Friedemann Vogel in den Titelpartien, das schon seit Wochen überall in der Stadt zu sehen war und hier ankündigt, was an diesem Abend aufgeführt wird. Wer will, kann vor dem Werbeplakat ein Erinnerungsfoto machen neben zwei jungen Frauen im Dirndl.

Mehr Raum für Emotionen

Während es in Richtung acht Uhr geht, versammeln sich immer mehr Gäste am Durchgang zum Theaterbereich. Mitarbeiter scannen die Karten ein und leuchten, wie bei den meisten öffentlichen Veranstaltungen, zur Kontrolle mit einer Lampe in die Taschen. Rund zehn Minuten vor Beginn der Vorstellung füllen sich die Plätze. Viel Holz, warme Farben, goldfarbene Balkone und die beeindruckende Höhe verleihen dem gesamten Raum eine feierliche Atmosphäre und lassen den steinernen Fußboden des Foyers vergessen.

Die Bühne ist um einiges größer als in Stuttgart. Für die Tänzer bedeutet dies, dass sie sich innerhalb kürzester Zeit den räumlichen Gegebenheiten anpassen müssen. Doch das hat auch seine Vorteile wie Alicia Amatriain, die den Part der Julia am Eröffnungsabend tanzt, erklärt: „Auf einer großen Bühne sind wir nicht eingeschränkt.“ Und Friedemann Vogel, der den Romeo übernimmt, fügt hinzu: „Gerade bei einem so dramatischen Stück wie ,Romeo und Julia’ kann man sich dann gut bewegen und die Emotionen zeigen.“ Für ihn ist der Auftritt in Singapur ohnehin ein besonderer. 2014 gab er hier in „Onegin“ sein Debüt in der Titelrolle und verbindet gute Erinnerungen mit der Stadt und dem Theater.

Es sei wichtig für seine Tänzer, Publikum in unterschiedlichen Ländern zu erleben, denn jedes Publikum reagiere anders, sagt Reid Anderson bei seinem letzten Gastspiel im Ausland als Intendant des Stuttgarter Balletts. Und das Publikum in Singapur nimmt die Gäste erfreut auf. Immer wieder applaudieren die Zuschauer nach einzelnen Szenen, Julias Ohnmacht nach Romeos erstem Kuss und die Balkonszene scheinen regelrechtes Entzücken hervorzurufen. Bei den komischen Passagen geht immer wieder ein leises Lachen durch die Reihen, diese kommen bei den Zuschauern besonders gut an.

Herzlicher Applaus für die Tänzer

Im dritten Akt wirkt es so, als würde sich die bedrückende Stimmung von der Bühne in den Zuschauerraum hinein übertragen. Und niemanden würde jetzt noch wundern, wenn plötzlich ein Schluchzen von dort ertönen würde.

Dass die Vorstellung insgesamt gut angekommen ist, wird dann beim Schlussapplaus deutlich. Das sonst eher zurückhaltende Publikum in Singapur hört gar nicht mehr auf zu klatschen und zu jubeln, ruft die Tänzer immer wieder nach vorne. Zahlreiche Zuschauer haben sich von ihren Plätzen erhoben, um die Darsteller besser sehen zu können, und diese bedanken sich immer wieder sowohl beim Publikum, das sie so herzlich aufnimmt, als auch beim mitgereisten Dirigenten James Tuggle und dem Singapore Lyric Opera Orchestra.

Nach der letzten Vorstellung im Esplanade-Theatre hat das Stuttgarter Ballett Singapur am Samstag verlassen, um dann weiter nach Bangkok zu reisen. Hier tanzt die Kompanie im thailändischen Kulturzentrum John Crankos „Der Widerspenstigen Zähmung“. Hier wartet am Mittwoch wieder ein anderes Publikum sicherlich schon mit Spannung auf das Stuttgarter Ballett.

Warum aber Ost und nicht West? Dass in den vergangenen Jahren vor allem der asiatische Raum Ziel von Tourneen des Stuttgarter Balletts war, hat finanzielle Gründe. Bei der Annahme von Einladungen gilt für Marc-Oliver Hendriks, als Geschäftsführender Intendant der Stuttgarter Staatstheater auch für Zahlen und Budget verantwortlich, dass alles, was Gastspiele zusätzlich kosten, auch eingenommen werden muss. Das erklärt, warum sich die Reisetätigkeit der Kompanie in den letzten Jahren auf den asiatischen Raum konzentrierte. Anfragen aus Süd- oder Nordamerika, wohin das Stuttgarter Ballett unter Marcia Haydée noch zu mehrwöchigen Tourneen aufgebrochen war, muss die Kompanie von Reid Anderson heute ablehnen, da ihre Finanzierung zu hohe Kosten und Risiken birgt. Die Fans in Asien freut das. Der Tänzer Friedemann Vogel etwa genießt bei ihnen Superstar-Status.