Das neue Infotainment-Format „Die Sofa-Richter“ stellt das Rechtsempfinden der Zuschauer auf die Probe.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Es gibt nichts, was es nicht gibt. Oder doch? Ein Stehpinkler hat in seiner Mietwohnung den Marmorboden verätzt, der Vermieter behält bei seinem Auszug 2000 Euro von der Kaution ein. Darf er das? Hat er das Recht dazu? Wie ist es um die Freiheit beim Toilettengang in den eigenen vier Wänden bestellt? „Freies Pinkeln, egal, welche Position“, urteilt ein junger Mann mit dem Berufsziel Priester, und die zwei Kollegen, die mit ihm um den Couchtisch gruppiert sind, nicken – und erweisen sich damit als weise „Sofa-Richter“, denn ihr Rechtsempfinden entspricht der Gesetzeslage.

 

Das neue Rechtsformat im SWR-Fernsehen, das 2016 mit einer Pilotfolge getestet wurde, stellt das Gerechtigkeitsgefühl von „Menschen wie du und ich“ auf die Probe und fragt in insgesamt zwölf Folgen bei Rechtsfällen mitten aus dem Leben, wie das Volk entscheiden würde, in dessen Namen schließlich in den Gerichten Urteile gefällt werden.

„Die Sofa-Richter“ – das sind die drei angehenden Priester, eine fünfköpfige Familie aus Mainz sowie vier Pärchen aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, darunter etwa die beiden Polizei-Mitarbeiter Cora und Frank Schöffler aus Aichwald oder ein Privatdetektiv und eine Sicherheitsfachkraft aus Stuttgart. Zudem bilden der SWR-Moderator Pierre M. Krause und die Schauspielerin Ursula Cantieni ein Laien-Richter-Duo.

Ist ein Pony im Bus erlaubt?

Der Sendungstitel ist Programm: Ort der Rechtsprechung ist nicht der Gerichtssaal, sondern das jeweilige heimische Wohnzimmer, entsprechend leger und privat fällt richterliches Gebaren und Outfit aus. Da werden die bestrumpften Füße hochgelegt, ausgiebigstes Couch-Lümmeln ist angesagt, gern in bequemer Jogginghose. Anlass zur Debatte und zum Meinungstausch geben die in Einspielfilmen in Szene gesetzten Fälle. „Was darf man, was darf man nicht?“ lautet dabei eine Rubrik, bei der man auf satirisch-absurde Überspitzung setzt: Was ist erlaubt im ÖPNV? Darf ich ein Pony im Bus transportieren? Der Lockvogel Christian Karsch macht die Probe aufs Exempel und steht mit einem Vierbeiner vor dem perplexen Fahrer. Um zu testen, wie groß die Geduld seiner Mitmenschen bei lauter Musik ist, stellt er sich mit Kopfhörer in den Bus und singt aus voller Kehle „Yesterday“, eine versteckte Kamera fängt die – erstaunlich gelassenen – Reaktionen der übrigen Fahrgäste ein.

Nach den Schmunzelfällen wird es ernster: „Senioren am Steuer – Altersgrenze für Autofahrer?“ lautet die Frage in der Auftaktfolge. Im Pilotfilm ging es um den Elternunterhalt: Wer muss die Pflege von Vater und Mutter bezahlen? Dann werden auf den Sofas munter und meinungsfreudig, ab und an aber auch peinlich ahnungslos die Argumente ausgetauscht, bis um Abstimmung gebeten wird. Entzug der Fahrerlaubnis für einen 85-Jährigen, der Fahrerflucht begangen hat – ja oder nein?

Das juristische Kuriositätenkabinett wird geplündert

Das letzte Wort hat der ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam, ebenfalls vor dem Fernseher postiert, auf einem Ledersofa – das verleiht mehr Würde: Er informiert knapp, dabei bemüht locker über die Rechtslage und löst auf, wie die Gerichte wirklich entschieden haben. Bei der Rubrik „Stimmt’s oder stimmt’s nicht?“, zu der in der Auftaktfolge die Stehpinkler-Geschichte gehört, wird entweder das juristische Kuriositätenkabinett geplündert oder die Fantasie der Sendungsmacher.

Die 45-Minüter sind flott zusammengeschnitten und aufbereitet, doch die Rechtsfragen werden nur oberflächlich angekratzt. Was vor allem aufstößt: Manche Richter-Pärchen kommen bei ihrem Meinungsaustausch dem Niveau von Stammtischdebatten unangenehm nahe.

Braucht man „Die „Sofa-Richter“ oder nicht? Unser Urteil: Man braucht sie nicht.