Um berufliche Teilhabe von psychisch Kranken geht es am Wochenende auf einer Tagung in Stuttgart. Ein Gespräch mit dem Landesvorsitzenden der Psychiatrie-Erfahrenen, Bernhard Dollerschell, über die Bedeutung von Arbeit für das Seelenleben – und wie ein guter Chef mit psychisch Kranken umgeht.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Um die berufliche Teilhabe von psychisch kranken Menschen geht es am Wochenende bei einer Tagung des Landesverbands Gemeindepsychiatrie und des Landesverbands der Psychiatrie-Erfahrenen beim CVJM Stuttgart. Ein Gespräch mit dem Landesvorsitzenden der Psychiatrie-Erfahrenen, Bernhard Dollerschell, (48) über die Bedeutung von Arbeit für das Seelenleben.

 
Herr Dollerschell, welche Botschaft geht von Ihrer Tagung aus?
Schon das Organisatorenteam aus Vertretern der Gemeindepsychiatrie und der Psychiatrie-Erfahrenen ist besonders. Wir begegnen uns allen auf Augenhöhe: Profis, Betroffene, Angehörige, Bürgerhelfer. Inhaltlich fordern wir mehr berufliche Teilhabe für psychisch kranke – auch für stark psychisch kranke Menschen.
Wie wichtig ist der Faktor Arbeit für die psychische Gesundheit?
Arbeit ist entscheidend. Sie gibt Tagesstruktur und Anerkennung. Ohne Arbeit fehlt Normalität, die gerade psychisch kranke Menschen brauchen. Nicht ohne Grund sind Arbeitslose besonders gefährdet, psychisch zu erkranken. Zu viel Arbeit kann aber auch krank machen. Heute sollen immer weniger Menschen immer mehr schaffen – ein Teil bleibt auf der Strecke.
. . . und muss sich dann Gedanken machen, wie man es dem Chef sagt. Offen gegenüber dem Arbeitgeber kommunizieren oder lieber abwarten. Was raten Sie?
Das kommt drauf an. Oft ist es ja gar nicht möglich, die Krankheit zu verheimlichen. Bei meiner Depression wäre das zumindest nicht gegangen. Bei großen Betrieben hat sich vieles positiv entwickelt, sie haben oft ein Gesundheitsmanagement eingeführt. Aber weiterhin gibt es leider Chefs, die ungern psychisch Kranke beschäftigen. Da kann die Diagnose ins Aus führen. Problematisch ist es, wenn die Betroffenen keine professionelle Hilfe annehmen – aus Angst, ein Kollege könnte etwas mitbekommen.
Wie hatte Ihr Arbeitgeber reagiert?
Nicht gut. Ich befand mich schnell auf der Rolltreppe abwärts – schließlich wurde ich als 40-Jähriger frühpensioniert. Dabei können psychisch Kranke wieder Leistung bringen, wenn man sie richtig begleitet.
Wie macht es ein Chef besser?
Er ermöglicht den langsamen Wiedereinstieg – und achtet darauf, dass das eingehalten wird. Geduld ist wichtig. Ich zum Beispiel bin gesundheitlich stabil und wieder so leistungsfähig wie früher. Ich gebe aber weiter gut auf mich acht, dass ich mich nicht überfordere und genügend schlafe.
Was ist mit stark psychisch Kranken – wie integriert man sie?
Zum Beispiel über Reha-Einrichtungen oder indem man sie mithilfe eines Coaches in der Firma betreut. Nur gibt es zu wenige Firmen, die da bisher mitmachen. Dabei zeigt sich, dass die Teilnehmer eine hohe Loyalität zum Unternehmen auszeichnet.