Tausende Rehkitze geraten zu Sommerbeginn in das Schneidwerk von Mähdreschern und verenden qualvoll. Landwirte und Jäger versuchen dies mit unterschiedlichen Methoden zu verhindern: Vom Müllsack bis zu Drohnen kommt beim Tierschutz alles zum Einsatz.

Kreis Esslingen - Sie gehen im Morgengrauen zu Fuß durch die Wiesen, stellen mit blauen Müllsäcken verkleidete Scheuchen auf und lassen mancherorts Drohnen aufsteigen: Jäger, Landwirte und ehrenamtliche Rehkitzretter investieren zu Beginn der Heuernte viel Zeit, um kleine Kitze in den hohen Wiesen aufzuspüren und vor dem sicheren Tod zu retten. Dennoch wird geschätzt, dass Jahr um Jahr angeblich rund 100 000 Rehkitze den immer größer werdenden Mähmaschinen zum Opfer fallen – und das obwohl Landwirte verpflichtet sind, Schutzmaßnahmen zu ergreifen.

 

Um die hohe Todeszahl zu reduzieren, bedarf es einer engen Zusammenarbeit von Landwirten und Jagdpächtern. „Hier in Ostfildern funktioniert das sehr gut“, sagt Burton Ferm. Der Ostfilderner Feldschütz ist selbst Jäger und weiß, wie schwierig es ist, die kleinen Kitze ausfindig zu machen. Droht Gefahr, drücken sich die kleinen unerfahrenen Rehkitze ganz tief in ihr ovales Bett im hohen Gras. Zu sehen sind sie praktisch nicht mehr. Laut Ferm kommt erschwerend hinzu, dass Landwirte schnell und kurzfristig entscheiden müssten, ob gemäht wird. Wetter und Wachstum spielen die entscheidende Rolle.

Mit Müllsack und Buttersäure aufs Feld

Wie in vielen Gemeinden versucht man in Ostfildern mit speziellen Scheuchen die Tiere vor der Mähmaschine zu retten. Am Vorabend der Mäharbeiten werden mit blauen Müllsäcken verkleidete Gestelle in 50-Meter-Abständen auf die Wiesen gestellt. Auf Buttersäure basierende Duftstoffe werden zudem auf ein im Wind klapperndes und im Sonnen- oder Mondlicht blitzendes Blech aufgebracht. Laut Ferm ist sowohl die blaue Signalfarbe als auch der unangenehme Geruch und die Geräusche ausreichend, damit die Rehe ihre Kitze von der Wiese holen oder sie erst gar nicht dort ablegen. „Manchmal gehen wir auch durch die Wiesen, aber man bräuchte mehr Leute“, sagt er. Da die jungen Tiere noch keinen Eigengeruch haben, riechen auch Hunde sie nicht. Doch den Schutz, den die Natur den Rehen vor Fressfeinden gegeben hat, hat den Menschen und seine Mähmaschinen nicht bedacht.

„Die mechanische Suche ist ja grundsätzlich erfolgversprechend, nur eben sehr zeit- und personalintensiv“, sagt auch Reiner Eblen von der Kreisjägervereinigung Backnang (Rems-Murr-Kreis). Reizvoll, weil zeitsparend, ist laut Eblen eine moderne Methode, die mancherorts bereits im Einsatz ist: mit Wärmebildkameras ausgestattete Multicopter, auch Drohnen genannt. Mit diesen kann man in den frühen Morgenstunden, wenn die Temperaturunterschiede vom Wild zur Umwelt hoch genug sind, die Tiere im hohen Gras aufspüren. Zwar gibt es einzelne Jagdpächter im Land, die die Technik im Kleinen schon nutzen, doch laut Eblen habe man als Kreisvereinigung die Verantwortung, möglichst alle Mitglieder bedienen zu können.

„Die Kreisjägervereinigung Backnang umfasst rund 100 Pachtvereine. Man müsste also mindestens fünf, besser zehn Einsatzteams organisiert bekommen, um wenigstens die größten zusammenhängenden Wiesenflächen zu bedienen. Alle schafft man keinesfalls“, betont Eblen. Hinzu kämen Kosten von etwa 15 000 „für ein vernünftiges Fluggerät“.

Drohnen mit Wärmebildkameras bewähren sich

Wovon Eblen träumt, hat eine Gruppe am Bodensee bereits erfolgreich in die Tat umgesetzt. Die „Rehrettung Hegau-Bodensee“ war der erste Verein in Baden-Württemberg, der Kitze mittels Multicopter aufspürt und aus der Wiese holt. „Im vergangenen Jahr haben wir 27 Kitze gerettet und in diesem waren es 37“, sagt die Vorsitzende des 2015 gegründeten Vereins, Barbara Schmidle. 2017 habe ihr Team aus Ehrenamtlichen 400 Hektar überflogen und nur zwei Tiere nicht gesehen. Damit habe sich das System bewährt.

Es geht aber nicht nur um Rehkitze. Auch am Boden brütende Vögel und Feldhasen sind gefährdet. Zwar sind Landwirte gesetzlich verpflichtet, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um Wildtiere zu schonen, doch Schmidle sieht zwei Probleme: „Es gibt keine wirksamen Maßnahmen und es wird nicht mit Nachdruck geahndet.“ Das Angebot des Vereins, der aktuell zwei Teams umfasst, ist für Landwirte kostenlos. Der Verein finanziert sich über Spenden und hofft in den kommenden Jahren weitere Fluggeräte anschaffen zu können und mehr Landwirte, die den Service anfragen.

Verein finanziert sich über Spenden

Auch die in Ostfildern angewendete Methode habe sich laut Burton Ferm bewährt. Zählen würde man die Tiere nicht, doch die Zahl der toten Kitze habe man in den vergangenen Jahren „drastisch reduziert“. Für Ferm und alle anderen Rehretter ist die Saison im August jedoch zu Ende. Dann sind die Kitze groß genug, um bei Gefahr selbstständig davonzulaufen.