Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hat weitreichende Konsequenzen: Die Dachorganisation der Kammern ist auf vielen Gebieten mundtot. Die Kritiker sind zufrieden.

Berlin - Einer der großen Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft kämpft mit dem Bedeutungsverlust. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), Dachorganisation der 79 Industrie- und Handelskammern (IHK) in Deutschland, muss sich bei wirtschaftspolitischen Äußerungen einen Maulkorb anlegen. Grund dafür ist das Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem vergangenen Jahr. Das Gericht billigte einem klagenden Unternehmen, das Pflichtbeiträge an die örtliche Industrie- und Handelskammer zahlt, das Recht zu, den Austritt seiner IHK aus dem Dachverband zu verlangen. Das gilt für den Fall, dass sich der DIHK künftig allgemeinpolitisch äußert. Dies sei mit der Zwangsmitgliedschaft nicht zu vereinbaren, sagten die Richter. Nach Recherchen dieser Zeitung hat der Urteilsspruch größere Folgen als vom DIHK zuerst dargestellt. Der DIHK, der früher entschieden seine Meinung zur Steuer-, Energie- und Wirtschaftspolitik kundtat, ist in wichtigen Fragen mundtot. Bevor der Präsident oder Mitglieder der Hauptgeschäftsführung Erklärungen abgeben, prüfen Hausjuristen die Aussagen. „Wir dürfen nicht mehr sagen, was wir denken“, sagt ein Mitglied der Kammerorganisation.

 

Die Kammerkritiker sind zufrieden

Darüber jubeln die Kammerkritiker. „Der DIHK steht immens unter Druck“, sagt Kai Boeddinghaus, Geschäftsführer des Bundesverbands für freie Kammern. Er kommt zum Schluss, dass das Urteil wirkt. „Der DIHK hält sich mit allgemeinen politischen Äußerungen stark zurück“, sagt Boeddinghaus. Nach seinen Worten gelte das Gebot der Mäßigung auch für die 79 IHKs in den Regionen. Der Kammerkritiker bescheinigt auch den örtlichen IHKs, sich mit politischen Aussagen nicht mehr weit aus dem Fenster zu lehnen. „Wir waren erfolgreich“, sagt Boeddinghaus. Die mit Pflichtbeiträgen finanzierte Kammerorganisation darf sich nicht wie ein Wirtschaftsverband betätigen. Zu Nervosität in der Organisation führt, dass sich voraussichtlich noch in diesem Jahr das Bundesverfassungsgericht mit der Pflichtmitgliedschaft befassen wird.

Während DIHK-Präsident Eric Schweitzer vor dem Urteil noch regelmäßig zu vielen politischen Fragen Stellung nahm, herrscht seit Monaten bei wichtigen Themen Funkstille. Wenn sich der DIHK-Präsident äußert, dann in abgeschwächter Form. Die Verbandsjuristen klopfen jeden Satz darauf ab, ob er dem DIHK neue Beschwerden einbringen könnte. Ein Wirtschaftsverband, der seine Meinung nicht mehr darlegen kann, verliert an Profil und ist für die Medien nicht mehr so interessant. Das zeigen die jüngsten Beispiele: Schweitzer gab im März der „Hamburger Morgenpost“ ein Interview. Dort wurde er gefragt, ob SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz zu Recht die soziale Ungerechtigkeit in Deutschland anprangert. Schweitzers Antwort: „Ich kann das so pauschal nicht nachvollziehen“, meinte er vage. „Ob Herr Schulz mit seiner generellen Aussage nicht überzogen hat, müssen letztlich andere bewerten.“ Andere Spitzenverbände wie die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sind da meinungsfreudiger. Die BDA machte klar, dass Schulz’ Plan einer längeren Bezugsdauer des Arbeitslosengelds I zu mehr Frühpensionierungen und nicht zu mehr Jobs führt. In einem anderen Interview sagte Schweitzer zur Wahl im September 2017: „Die Bundestagswahl 2017 ist wichtig und spannend zugleich.“

Bei öffentlichen Auftritten macht sich der Verband rar

Für den DIHK sind die weichgespülten Äußerungen eine neue Erfahrung. Meinungsstärke war früher stets ein Markenzeichen. Darauf achteten frühere DIHK-Präsidenten wie Hans Peter Stihl und der Medizintechnik-Unternehmer Ludwig Georg Braun. Auch Schweitzer versuchte es zunächst mit klarer Kante. Das ist seit dem Urteil nicht mehr möglich. Der DIHK, der für sich in Anspruch nimmt, Interessensvertreter der gewerblichen Wirtschaft gegenüber der deutschen und europäischen Politik zu sein, wirkt gelähmt. Das zeigt sich auch daran, dass er öffentlich weniger in Erscheinung tritt. Als in dieser Woche die Arbeitsgemeinschaft Mittelstand der Wirtschaftsverbände ihre Positionen zur Bundestagswahl vorstellte, übernahmen das die Präsidenten des Handwerksverband ZDH und des Handelsverbands. Der DIHK, der bei diesem öffentlichen Auftritt früher mit von der Partie war, fehlte.

Der DIHK weist Zweifel am Einfluss der Organisation zurück. „Der DIHK ist in der Politikberatung zu wirtschaftspolitischen Themen unvermindert aktiv“, erklärt der Verband. Ob bei der Reform der Erbschaftsteuer, dem Ausbau der Infrastruktur oder Ausbildungsangeboten für Flüchtlingen – die Organisation habe sich zuletzt für vielerlei Verbesserungen im Sinn der Betriebe eingesetzt. Der DIHK betont zugleich, mehr Augenmerk auf eine ausgewogene Argumentation zu legen.

Immerhin bleibt ihm als sichtbares Betätigungsfeld die Außenwirtschaft. Dazu darf sich der DIHK weiterhin äußern. Die deutschen Auslandshandelskammern sind in 90 Ländern vertreten. Das verleiht der Organisation Expertise auf dem Gebiet der Außenwirtschafts- und Handelspolitik. Diese Themen haben momentan Konjunktur. Sie machen aber nur einen Teil des wirtschaftspolitischen Spektrums aus.