Der amerikanische Präsident sieht den Höhenflug an der US-Börse als direkte Bestätigung seiner Politik. Mit den Fakten nimmt er es dabei nicht zu genau.

Washington -   Die Kurse zeigten stetig nach oben, doch Donald Trump blieb skeptisch. Die amerikanischen Arbeiter hätten ihr Leben lang geschuftet und gespart, „und nun werden sie in einen aufgeblähten Aktienmarkt gedrängt“, warnte der Immobilienmogul im Oktober 2015: „Irgendwann sind sie ruiniert.“ Ende September 2016 holte er den großen Hammer heraus: „Das einzige, was in diesem Land gut aussieht, ist der Aktienmarkt. Aber wenn die Zinsen etwas steigen, gibt es einen Crash. Wir befinden uns in einer großen, fetten, hässlichen Blase.“  

 

Ein weiteres Jahr später hat sich nicht viel geändert: Die Zinsen sind immer noch niedrig, und die Wallstreet stürmt von Rekord zu Rekord. Doch plötzlich sieht Trump die Dinge ganz anders: „WOW!“, twitterte er Anfang der Woche, als der Dow-Jones-Börsenindex die Marke von 23 000 Punkten geknackt hat. Kurz zuvor schon hatte er sich gebrüstet: „Die USA haben seit dem Wahltag mehr als 5,2 Billionen Dollar an Börsenwert gewonnen.“ Lautstark fordert Trump: „Es wäre sehr schön, wenn die Fake-News-Medien über die beispiellosen Kursgewinne seit der Wahl berichten würden.“

Trump wertet die steigenden Kurse als eindrucksvollen Beweis für seinen Erfolg

Je stärker seine Umfragewerte nach unten fallen, desto mehr erfreut sich der amerikanische Präsident am Aufwärtstrend der Börse. Der Milliardär, dem ein erotisches Verhältnis zu Geld nachgesagt wird, wertet die steigenden Kurse als eindrucksvollen Beweis für seinen Erfolg. Doch nicht nur ist die unmittelbare Wechselwirkung zwischen Politik und Aktienkursen umstritten. Vor allem nimmt es Trump mit den Fakten nicht so genau: So hat der Boom am amerikanischen Aktienmarkt keineswegs mit dem Regierungswechsel in Washington, sondern bereits 2009 begonnen. Seither hat der Börsenindex S&P 500, der die 500 größten börsennotierten US-Unternehmen umfasst und damit breiter aufgestellt ist als der Dow Jones, seinen Wert fast verdreifacht.   Betrachtet man alleine den Zeitraum seit der Wahl im vorigen November, ist der S&P 500 rund 19 Prozent gestiegen. Das ist zwar beachtlich, aber keinesfalls beispiellos, wie Trump behauptet.

Die Profite der Anleger haben nichts mit dem staatlichen Defizit zu tun

Der Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg hat die Kursentwicklungen während der ersten elf Monate früherer Präsidentschaften verglichen. Trump landet auf Platz sieben – weit hinter Bill Clinton, der ein Plus von 38 Prozent verzeichnete und knapp vor Barack Obama (plus 16 Prozent).   Für noch größere Verwunderung sorgt bei Experten Trumps haushaltspolitische Interpretation, die Aktiengewinne hätten den Wert der USA um 5,2 Billionen Dollar erhöht. „In gewisser Weise verringern wir damit die Schulden“, behauptete er kürzlich beim Fernsehsender Fox. Tatsächlich haben die Profite der Anleger nichts mit dem staatlichen Defizit zu tun. Das ist im Gegenteil noch gestiegen: Seit Januar legte die Verschuldung von 19,9 auf 20,4 Billionen Dollar zu. Durch die von Trump geplante Steuerreform würde sich das Etat-Loch weiter drastisch vergrößern.  

Die Aussicht auf eine kräftige Senkung der Steuern und eine radikale Deregulierung dürften zugleich die stärksten Triebfedern des Börsenbooms sein. Der Anstieg des Dow-Jones-Index von 22 000 auf 23 000 Punkte war alleine von Finanz- und Industriewerten getragen – allen voran der Investmentbank Goldman Sachs und dem Flugzeugbauer Boeing. Offenbar geht es mehr um Psychologie als um Fakten.

Unberechenbarer Präsident

Tatsächlich habe die Trump-Regierung bislang nicht viel umgesetzt, räumte Charles Campbell, der Geschäftsführer des Investmenthauses MKM Partners, in der New York Times ein. Aber: „Es gibt die Erwartung, dass ein Effekt eintreten wird.“ Ähnlich argumentiert der renommierte Wirtschaftsprofessor Robert Shiller von der Yale-Universität: Er hält die US-Börse für überbewertet. Doch Investoren orientierten sich weniger an den realen Werten als an den Erwartungen der anderen Marktteilnehmer, argumentiert Shiller: „Nicht viele Anleger scheinen zu befürchten, dass andere Anleger verkaufen könnten.“   Eine Garantie für steigende Kurse ist diese Massenpsychologie aber nicht – zumal der Präsident völlig unberechenbar ist.

Nachdem er im August dem Versender Amazon vorgeworfen hatte, viele Jobs im Einzelhandel zu vernichten, gaben dessen Aktien innerhalb weniger Minuten um fast ein Prozent nach. In der vergangenen Woche dann stürzten die Papiere der US-Krankenversicherungen in den Keller. Zuvor hatte Trump die bundesstaatlichen Subventionen für Geringverdiener kurzerhand gestoppt. Und plötzlich feiert der Mann, dessen großes Ziel die Zerstörung des Gesundheitssystems seines Vorgängers ist, den Abwärtstrend: „Die Krankenversicherer-Aktien, die in den Obamacare-Jahren durch das Dach geschossen sind, sind abgestürzt, nachdem ich den Geldregen beendet habe“, triumphiert er.