Um die 2000 Bürger, Kulturschaffende und Politiker haben am Sonntag auf der für den Verkehr gesperrten B 14 für eine menschen- statt einer autogerechten Stadt demonstriert. Höhepunkt waren ein Hochseilakt der Artistenfamilie Traber – und ein deutliches Bekenntnis des Oberbürgermeisters.

Klima und Nachhaltigkeit: Julia Bosch (jub)

Stuttgart - Hier zu stehen hat etwas von einer Mondlandung“, sagte Wieland Backes, als er am Sonntagmittag mitten auf der B 14 auf ein Holzpodest stieg. Um ihn herum standen Hunderte Menschen; viele hatten bunte Luftballons in der Hand, die sie kurz darauf in die Luft steigen ließen. „Um bei der Mondlandung zu bleiben: Das hier ist ein kleiner Schritt für uns, aber ein großer Schritt für Stuttgart“, meinte der ehemalige SWR-Moderator und Vorsitzende des Vereins Aufbruch Stuttgart. Am Sonntag hat der Verein eine Kundgebung organisiert, um für eine menschen- statt einer autogerechten Stadt sowie für eine autofreie Kulturmeile zu demonstrieren. Laut Wieland Backes kamen zwischen 3000 und 5000 Menschen zu der Kundgebung, die Polizei spricht von 1800 bis 2000 Personen.

 

„Die Stadt Stuttgart ist unter die Räder gekommen. Es muss etwas geschehen“, verkündete Backes, begleitet vom lauten Beifall der Menschenmenge. „Stuttgart ist eine Auto- und Feinstaubstadt – aber das kann sich ändern, wenn wir es nur wollen.“ Momentan sei die Kulturmeile zwischen Museen, Oper und Landtag alles andere als einladend. Anstelle des starken Autoverkehrs könnten an der Kulturmeile Cafés entstehen –„oder auch nur eine Bank zum Sitzen. Allein das wäre schon ein gewaltiger Fortschritt“, meinte Backes.

Kuhn ermutigt den Verein, weitere Menschen zu überzeugen

Aufsehen unter den Gästen erregte, dass auch der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn zu der Kundgebung kam und sich öffentlich für die Arbeit des Vereins Aufbruch Stuttgart aussprach: „Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Oberbürgermeister zu einer Demonstration kommt, die sich auch gegen das eigene Rathaus richtet“, sagte Kuhn. „Aber die Idee des Vereins, die Stadt menschengerecht zu machen, ist mir sehr nahe.“ So setze er sich beispielsweise dafür ein, dass der Autoverkehr in der Innenstadt um 20 Prozent reduziert werden müsse. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse man aber noch viel Überzeugungsarbeit bei den Bürgern leisten. „An Sonntagen sind so gut wie alle Stuttgarter für eine autofreie Innenstadt. Aber unter der Woche gibt es dafür noch keine Mehrheit“, sagte Kuhn. Er ermutigte den Verein, weitere Menschen von der Idee zu überzeugen, und sprach sich dafür aus, „nicht nur rund um den Charlottenplatz, sondern mindestens vom Charlottenplatz bis zum Marienplatz zu denken“.

Höhepunkt der Kundgebung war ein Hochseilakt der Traber-Familie. Nachdem die Demonstranten mit Transparenten und Musik vom Wilhelmsplatz bis zum Haus der Geschichte marschiert waren, überquerten zwei Artistinnen auf einem ein Zentimeter schmalen Drahtseil in 17 Meter Höhe die B 14 – die eine Frau auf einem Fahrrad, die andere auf einer daran hängenden Art Schaukel. Mit der Aktion in luftiger Höhe wollten die Mitglieder des Vereins zeigen, dass die „schier unüberwindbare Verkehrsschneise“ derzeit oberirdisch nur unter Lebensgefahr überwunden werden könne.

Im Vorhinein gab es seitens der CDU Kritik

Eine weiteres Sinnbild war das Auslegen von Rasen auf der B 14. Die Vereinsmitglieder sowie der ehemalige Direktor der Staatsgalerie, Christian von Holst, zeigten anschließend ein Transparent mit der Aufschrift „Rasen statt Rasen“. Zwei Besucherinnen der Kundgebung, Nora und Marialena Liebhäuser, waren von der Aktion begeistert: „Mein Traum ist es, dass aus der Kulturmeile eine große autofreie Allee mit Bäumen wird“, sagte die zwölfjährige Nora. Sie singt im kleinen Opernchor, der von ihrer älteren Schwester geleitet wird. „Es ist jedes Mal gefährlich und extrem umständlich, wenn die Eltern ihre Kinder nach den Proben an der Oper abholen“, sagte Marialena Liebhäuser (24). „Dass die Oper und die anderen Stuttgarter Kulturinstitutionen an einer so stark befahrenen Straße liegen, passt nicht zusammen.“

Im Vorhinein gab es jedoch auch Kritik an der Kundgebung: Alexander Kotz, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Gemeinderat, hatte den Vereinsmitgliedern vorgeworfen, dass sie das Demonstrationsrecht nutzten, um ein Fest zu organisieren. „Das ist äußert grenzwertig und in keinster Weise in Ordnung“, sagte er. Johanna Heilweck-Backes aus dem Verein Aufbruch Stuttgart nannte diese Kritik „populistisch und nicht angemessen“: „Wir setzen uns gemeinsam für ein Ziel ein, also ist das kein Fest, sondern eine Demonstration.“