Wolfgang Dietrich steht für die Ausgliederung – und nach dem klaren Abstimmungsergebnis will der Präsident des VfB Stuttgart das Vertrauen der Mitglieder rechtfertigen.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Es gibt eine Anekdote über Wolfgang Dietrich, die viel über ihn aussagt, weil sich im Grunde seines Wesens nichts verändert hat. Diese Geschichte spielt in Nürnberg und ist gut 40 Jahre her. Damals hatte der junge Wolfgang Dietrich gerade sein erstes Unternehmen gegründet, war voller Tatendrang und pflegte die kurzen Mittagspausen bei seinem Lieblingsitaliener zu verbringen. Also kam er mal wieder hereingeeilt, bestellte und verschwand an den Ort, an dem Männer manchmal stehen müssen. Dort kam ihm eine Idee und er zum Ende. Er wusch sich noch die Hände und rannte aus dem Lokal.

 

Stunden später soll Dietrich dann eingefallen sein, dass er etwas vergessen hatte – sein Essen. Und so ist das auch heute noch beim Präsident des VfB Stuttgart. Wenn er für etwas Feuer fängt, dann brennt er total für die Sache und lässt notfalls alles stehen und liegen. Wie bei der Ausgliederung der Profifußballsparte des Bundesliga-Rückkehrers in eine Aktiengesellschaft. Es ist ursprünglich nicht sein Baby gewesen, aber er hat das Vorhaben innerhalb weniger Monate zu seinem Projekt gemacht.

Dietrich wollte bis zur Mitgliederversammlung rund um die Uhr arbeiten

Dabei haben sie selbst im Verein geschmunzelt, als Dietrich Anfang April den Tag der Entscheidung verkündete und hinterherschob, er werde jetzt bis zur außerordentlichen Mitgliederversammlung rund um die Uhr arbeiten. Zig Gespräche hat er geführt und 30 Veranstaltungen besucht, um zu informieren und zu überzeugen. Mit 68 Jahren und in dem Wissen, sich ein schönes Leben leisten zu können. Zum Beispiel in Südafrika, wo er gerne weilt.

Spät am Donnerstagabend ist in Bad Cannstatt schließlich all die Anspannung aus Dietrichs Körper und Kopf gewichen. Es war 22.20 Uhr, als ihm der Clubjustiziar Jan Räker auf der Bühne zuflüsterte: „Wir haben’s!“ Und wie. 84,2 Prozent oder: 7664 der 9099 Mitglieder, die in der Mercedes-Benz-Arena abgestimmt hatten, votierten mit einem Ja. Das war deutlich mehr, als kühne Optimisten prognostiziert hatten, aber nach eigener Aussage das Resultat, das der Aufsichtsratsvorsitzende Martin Schäfer vorausgesagt hatte.

Auf laute Töne verzichtet

Nahezu grenzenloses Vertrauen muss Schäfer in Dietrich gehabt haben, und er sagt: „Wolfgang Dietrich hat fast Unmenschliches geleistet. Ich kann ihm nur gratulieren.“ Eine ganze Reihe von Glückwünschen schloss sich an. Aber der neue Antreiber und Anführer hat im Moment der Zustimmung auf große Gesten und laute Töne verzichtet: „Ich bin geplättet und einfach nur überglücklich.“

Eine Nacht der Ruhe hat er sich später gegönnt. „Denn wir haben noch lange nicht die Ziele erreicht, die wir uns gesetzt haben“, sagt Dietrich. Dabei sind Aufstieg und Ausgliederung zwei Meilensteine der Vereinsgeschichte, die in seine noch kurze Amtszeit fallen. Und wenn man die Überführung der Fußballer aus dem VfB Stuttgart e. V. in die VfB Stuttgart 1893 AG als ein Strategiespiel betrachtet, dann ist Dietrich die Schlüsselfigur gewesen. Er hat nach 15 Jahren der Diskussionen und Verschiebungen eine Entscheidungsgrundlage geschaffen – für die aktuell 55 000 Mitglieder, aber ebenso für die potenziellen Investoren.

Mit reichlich Fachkompetenz, aber auch viel Selbstvertrauen ist er den Daimler-Bossen um Dieter Zetsche sowie den unabhängigen Wirtschaftsprüfern gegenübergesessen und hat hart verhandelt, um möglichst das Beste für den VfB herauszuholen. Auf 353 Millionen Euro wird der neue Vereinswert taxiert, und der große Nachbar an der Mercedesstraße ist bereit, für 11,75 Prozent der Anteile 41,5 Millionen Euro zu bezahlen. „Ich werde mich, sobald alle Formalitäten erledigt sind, neben unseren Finanzchef stellen und schauen, dass alles passt“, sagt der VfB-Aufsichtsrat Wilfried Porth, der auch im Daimler-Vorstand sitzt.

Doch damit ist nur die erste Charge des 100-Millionen-Euro-Projekts überwiesen. So viel frisches Kapital will der VfB durch die neue Tochtergesellschaft erhalten. Dafür hat Dietrich leidenschaftlich gekämpft. Bis zur Abstimmung, was ihm auf dem Podium noch einmal einiges an Zurückhaltung abverlangt hat, als die Gegner ans Rednerpult kamen. Gegrummelt hat es in ihm, und später hat er zugegeben: „Je näher das Ergebnis rückt, desto nervöser wird man.“

Immer wieder hat er sich aber an seine Rolle als Versammlungsleiter erinnert und aus dem eindeutigen Abstimmungsresultat leitet Dietrich jetzt zweierlei ab. Erstens: Er sieht es als Verpflichtung, sorgsam mit dem Geld umzugehen. Zweitens: Den Kredit, den die Mitglieder ihm und seinen Vorstandskollegen Stefan Heim (Finanzen), Jan Schindelmeiser (Sport) und Jochen Röttgermann (Marketing) eingeräumt haben, will er zurückzahlen. Mit neuen Erfolgen, die den alten Stolz zurückbringen.