Von dem Attentat in Barcelona führt eine Blutspur zurück bis zum „Deutschen Herbst“ vor 40 Jahren, meint der StZ-Autor Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Nizza, Berlin, London, Stockholm – und jetzt Barcelona: Diese Städte markieren eine Blutspur auf der Landkarte des Terrors, die uns alle verbindet. Es hätte jeden treffen können: alle, die schon mal als Passanten, Flaneure, Touristen unterwegs waren. Dieser Terror ist wahllos. Er tötet unterschiedslos. Er hat nur eines im Sinn: ein Maximum an Opfern, an Leichen, an Schrecken, an Unheil.

 

Es ist die gemeingefährlichste Variante der Gewaltkriminalität. Sie hat niemanden speziell im Visier. Der Hass gilt allen, die nicht so leben, wie es den finsteren Idealen primitiver Islamfanatiker entspricht. Im Zweifel nehmen die auch in Kauf, dass ein paar ihrer Glaubensbrüder auf der Strecke bleiben. Ihr eigenes Leben ist ihnen nichts wert. Sie halten sich ja für Märtyrer.

Dieser Terror kommt aus dem Nichts und schreckt vor nichts zurück

Dieser Terror, der aus dem Nichts kommt und vor nichts zurückschreckt, begnügt sich mit einer sehr dürftigen Rechtfertigungsideologie. Er bedarf keiner weitverzweigten Organisationen, keiner aufwendigen Pläne. Er ist auf billigste Weise zu realisieren. Ihm wird alles zur Waffe. Mal ist es ein Küchenmesser, mal eine gewöhnliche Axt, in diesem Fall ein Lieferwagen, wie ihn jeder beschaffen kann. Gegen solche Heimtücke, solchen Vernichtungswillen gibt es keinen hinreichenden Schutz.

Die Menschenverachtung, die sich hier Bahn bricht, ist nicht neu. Die Geschichte des Terrorismus reicht weit ins 19. Jahrhundert zurück. Auch in Deutschland haben Anis Amri und andere blindwütige Attentäter, die den Namen Allah im Munde führen, unrühmliche Ahnen. Die hatten zwar mit Religion nichts im Sinn, huldigten Che Guevara statt Mohammed, predigten Antiimperialismus statt Salafismus und bevorzugten Sprengsätze, Stalinorgeln oder Maschinenpistolen statt unverfänglicher Alltagsgegenstände bei ihren Anschlägen.

Brüder im Geiste der Zerstörungswut

Von der Roten-Armee-Fraktion ist die Rede. Dieser Tage gibt es Anlass, sich ihrer zu entsinnen. Vor 40 Jahren brachte sie den deutschen Rechtsstaat ins Wanken. Die Ereignisse sind als Deutscher Herbst in die Geschichte eingegangen. RAF-Terror und die vom Islam inspirierte Gewalt unserer Zeit sind natürlich nur bedingt vergleichbar. Die RAF zielte auf die Mächtigen, nicht auf Zufallsopfer. Ihre Kriegserklärung an den Staat hatte ein Gesicht – zeitweise auch ein Dutzend und mehr Gesichter. Diese waren auf Fahndungsplakaten zu besichtigen. Zwar kennen die Sicherheitsbehörden auch heute die Identität vieler Terrorverdächtiger. Es sind Hunderte. Doch der nächste Attentäter kann auch ein Anonymus sein, vielleicht ein Nachbar. Das Milieu, aus dem die Gewalt sich speist, ist diffuser als es die Sympathisantenszene damals war. Der Staat hat seine Kontrollmechanismen seit jenen Zeiten perfektioniert, und doch sind Leute, von denen Gefahr drohen könnte, kaum effektiv zu überwachen. Auch der Terror hat sich globalisiert – und zugleich dezentralisiert. Er bedarf keiner hierarchischen Organisationen mehr. Er ist zu einem internationalen Geschäft geworden. Statt mittels Kassibern kommuniziert er via Whatsapp.

Die Sehnsucht nach Freiheit lässt sich nicht niederwalzen

Doch so sehr sich Leute wie Andreas Baader und Amri auch unterscheiden mögen – letztlich sind sie Brüder im Geiste. Es eint sie die rücksichtslose Brutalität, die Zerstörungswut, mit der sie zu Werke gingen, ein ideologisch verbrämtes Abenteurertum, der Hass auf die Zivilisation, die sie umgab, ein weltfremder Wahn.

Baader, seine Epigonen und klammheimlichen Sympathisanten haben nicht vermocht, den Rechtsstaat als Repressionsmaschine zu diskreditieren. Hermetisches Denken erstickt letztlich an sich selbst. Dieses Schicksal steht auch dem Islamismus über kurz oder lang bevor. Einer Heilserwartung, die sich am frühen Mittelalter orientiert, wird keine Zukunft beschieden sein. Die Sehnsucht nach Freiheit lässt sich nicht mit Bomben aus der Welt sprengen – und auch nicht niederwalzen.