In Elsass-Lothringen wurden während der Zeit des Nationalsozialismus junge Franzosen für die deutsche Wehrmacht zwangsrekrutiert. Überlebende und Hinterbliebene der Gefallenen kämpfen seitdem um Wiedergutmachung, oft vergeblich.

Straßburg - Auf jenem Feld in der Nähe des Dorfes Golinka muss das Wasser gestanden haben. Die Männer versanken im Schlamm, vermischt mit Blut, von oben russischer Bombenhagel. Man habe Armand Gangloff, ihren Onkel, sagt Renée Baudot bitter, „verrotten lassen wie ein lästiges Tier“. Renée Baudot hat nachgelesen, unter welchen Bedingungen Soldaten wie der jüngere Bruder ihres Vaters auf den weißrussischen Schlachtfeldern gekämpft haben. Vor zehn Jahren hat sich die 1947 Geborene aus Nancy auf die Suche gemacht nach dem, was vielleicht von ihm geblieben war. „Irgendwo muss es dieses Grab doch geben“, hat sie sich gesagt. Sie wendet sich an den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und erfährt: Ein Grab des Onkels, der am 30. Juni 1944 bei Golinka gefallen ist, existiert nicht.

 

Armand Gangloffs Ende lässt Renée Baudot keine Ruhe. Wenigstens das Unrecht, das ihm widerfahren ist, soll Anerkennung finden. Ungefragt hat ihn die deutsche Wehrmacht in seinem Dorf in Lothringen zwangsrekrutiert und an die Ostfront geschickt. Renée Baudots Onkel, geboren 1914, ist als Franzose in deutscher Uniform gefallen. Sein Schicksal ist jedoch kein Einzelfall. Er teilt es mit 130 000 anderen Elsässern und Moselanern aus den 1940 durch das NS-Regime annektierten Gebieten Elsass-Lothringens. Gangloff stammte aus Sarreguemines, deutsch Saargemünd, in Lothringen gelegen, an der Grenze zum Saarland.

Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit?

Was das Deutschland der Nationalsozialisten Armand Gangloff angetan hat, ist für seine Nichte ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Renée Baudot sitzt in einem Straßburger Restaurant. Sie blickt durch ihre fein gefasste Brille. Sie hat sich geschworen: „Ich werde dies durchstehen, bis ich mein Ziel erreicht habe.“ Die Dame aus Nancy zieht die Argumente wie Register aus ihrem Gedächtnis. Braucht sie überhaupt einen Anwalt? Sie habe selbst eine juristische Ausbildung genossen, verrät sie bescheiden, um gleich wieder anzuknüpfen an die Sache, die sie im Namen ihres Onkels zusammen mit einem deutschen Rechtsbeistand durchfechten will.

Renée Baudot steht mit ihrer Sicht nicht allein. Der französische Historiker Jean-Laurent Vonau, emeritierter Professor für Rechtsgeschichte der Universität Straßburg und Autor zahlreicher Bücher über das Elsass und Lothringen in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur, vertritt schon lange die Position, die Zwangsrekrutierung gehe über den Tatbestand eines Kriegsverbrechens hinaus. Seiner Ansicht nach hat das nationalsozialistische Regime die Haager Landkriegsordnung von 1907 verletzt, die später, 1949, in der Genfer Konvention fortgeschrieben wurde. Kriege sind kein rechtsfreier Raum. Die Nazis haben die Bevölkerung eines besetzten Gebietes – Elsass-Lothringen – zu Kampfhandlungen in ihrem Namen gezwungen.