Vor 125 Jahren ist die Deutsche Friedensgesellschaft gegründet worden. Im Interview erinnert der Militärhistoriker Wolfram Wette an eine Zeit, in der Militarismus Staatsdoktrin war, spricht über die deutsche Wiederbewaffnung und die Gefahren durch den heutigen Populismus.

Stuttgart/Waldkirch - Seit den 80er Jahren Deutschland als das Land der Friedensbewegung. Doch bis zur berühmten Menschenkette, bei der im Oktober 1983 bis zu 400 000 Menschen gegen die Nato-Nachrüstung demonstrierten, war es für die Deutschen ein weiter Weg, sagt der Freiburger Geschichtsprofessor Wolfram Wette. Am Samstag spricht er zum 125-jährigen Bestehen der Deutschen Friedensgesellschaft im Stuttgarter Theaterhaus.

 
Herr Professor Wette, am Ende der Weimarer Republik stand ausgerechnet ein Weltkriegsgeneral an der Spitze der Deutschen Friedensgesellschaft. Jetzt halten Sie als ausgewiesener Militärhistoriker den Jubiläumsvortrag. Muss man sich schon wieder solche Sorgen um den Frieden machen?
Nicht bei uns in Deutschland und nicht in der Europäischen Union. Hier haben wir einen strukturellen Frieden. Aber dass Paul Freiherr von Schoenaich als ehemaliger General Präsident der Friedensgesellschaft wurde, ist natürlich bemerkenswert. Der Erste Weltkrieg war von den Deutschen der damaligen Zeit ganz unterschiedlich wahrgenommen worden. Die einen wollten sich mit dem Ergebnis nicht abfinden, die anderen sagten: So etwas darf nie wieder kommen. Die Plakate hießen „Nie wieder Krieg“. Bis 1925 wurden sie vielerorts auf die Straßen getragen. Innerhalb dieser Gruppe waren auch Offiziere, die sich von Militaristen zu Pazifisten gewandelt haben. Zu denen hat von Schoenaich gehört.
Und Ihr Weg als Militärhistoriker?
Wenn ich mich speziell für diese Offiziere interessiert habe – es waren ja 15 bis 20 –, dann hat das natürlich auch einen biografischen Hintergrund. Vielleicht kann man sagen, dass einige Vertreter der historischen Friedensforschung einen ähnlichen Wandlungsprozess durchlaufen haben.
Die DFG wird 125 Jahre alt. War Deutschland damit früh dran?
Als 1892 – übrigens durch zwei Österreicher – die DFG gegründet wurde, hat es so etwas in anderen Ländern wie England, Frankreich oder USA längst gegeben. Auch da hat sich die Niederlage der Demokraten in der Revolution von 1848/49 ausgewirkt. Hinzu kam der Militarismus in Preußen-Deutschland. Es gab einen verbreiteten Glauben – so muss man das bezeichnen –, dass der Krieg eine Naturnotwendigkeit ist.
In den Ersten Weltkrieg, so heißt es heute, seien alle Nationen hineingeschlittert. . .
Im Gegensatz zu dem australischen Kollegen Christopher Clark, der ein vielgekauftes Buch zu diesem Themaverfasst hat, bin ich der Auffassung, dass diese These vom Hineinschlittern einen apologetischen Charakter hat und die wahren Verantwortlichkeiten verschleiert. Nach meiner Kenntnis von Quellen und Forschung gilt nach wie vor, dass Deutschland die Hauptkraft war, die diesen Krieg wollte, und die es geschickt eingefädelt hat, so dazustehen, als sei sie angegriffen worden. Mit dieser Kriegslüge hat das Deutsche Reich fünf Jahre lang Krieg geführt und anschließend Jahrzehnte lang verdeckt, wo die Ursachen lagen. Im Grunde ist die Kontroverse auch 100 Jahre danach noch nicht ausgestanden.
1945 waren die Deutschen geheilt von allen Kriegsgelüsten. Dennoch kam es zur Wiederbewaffnung. Warum?
Bis 1949 herrschte in Deutschland eine große Erschöpfung. Selbst ein Mann wie Franz Josef Strauß hat damals gesagt: „Wir Deutschen dürfen nie wieder ein Gewehr in die Hand nehmen.“ Dann kam Adenauer mit seiner Politik der Westintegration und der Wiederbewaffnung und hat damit keine große Freude ausgelöst. Die Aufstellung der Bundeswehr 1955 wurde gegen eine Bevölkerungsmehrheit durchgedrückt.