Vor der Stuttgarter Filiale des Luxuslabels bilden sich regelmäßig lange Schlangen. Was ist das Geheimnis von Louis Vuitton?

Stuttgart - Es wirkt wie ein Wunder, in diesen Tagen. Der Einzelhandel in der Stuttgarter Innenstadt ächzt und stöhnt, nur Louis Vuitton kann sich kaum vor Kundschaft retten. Die Schlangen vor dem Laden im Dorotheen-Quartier sind teilweise 20 Meter lang, sie nehmen nie ab. Selbst an diesem ruhigen Montagmorgen stehen fünf Kunden an.

 

200 Jahre nach der Geburt des Visionärs und Virtuosen Louis Vuitton am 4. August ist die Anziehungskraft der Marke, die er kreierte, ungebrochen. Aber was steckt hinter dem Geheimnis dieser Attraktion? Was macht die Marke so attraktiv, dass Menschen eine gefühlte Ewigkeit für Taschen anstehen, deren Preis bei 745 Euro beginnt? Ist es nur das Sehen und Gesehen-Werden in der Warteschlange?

Die Stuttgarterin Maria Azzarone, die Handelsunternehmen in Vertriebsfragen trainiert und berät, hat auf Anhieb viele Antworten. Aber eine scheint die entscheidende zu sein: „Das Produkt ist so exklusiv, dass es nicht für jeden verfügbar ist. Nicht jeder bekommt jede Tasche. Für manche muss man sich sogar bewerben.“ Künstliche Verknappung laute das Zauberwort. Auch im Stuttgarter Store. Normalerweise dürften nach dem Lockdown längst wieder mehr Kunden in den Store, aber der freundliche Concierge lässt nur die Gleichzahl an Kunden und Mitarbeiter in den Laden. Nur mal so Stöbern und Schauen ist nicht. Man will sich auch auf diese Art bewusst von der Masse abheben und produziert damit die Warteschlangen. Unterstützt wird das Ganze freilich mit dem Promifaktor, den die Markenbotschafter Bono oder Madonna mit ihrem Reisegepäck zur Schau tragen.

Hinter der Attraktivität steckt harte Arbeit und eine klare Strategie

Doch die Begehrlichkeiten, die die Taschen wecken, kommen nicht über Nacht, sagt Handelsexpertin Azzarone: „Dahinter steckt viel strategische Arbeit und Geschichte. Zusammengefasst machen Preis, Exklusivität, Qualität, Historie, das Storekonzept und damit cleveres Marketing den Sonderstatus und das Alleinstellungsmerkmal von LV aus.“

Der Erfolg trägt auch wirtschaftlich: Im ersten Halbjahr 2021 schnitt der Konzern mit einem Gewinn aus dem fortlaufenden Geschäft von 7,6 Milliarden Euro besser als erwartet ab. Auch wenn Corona keine Glanzzeit für die Handtaschenbranche und für all jene war, die mit dem Accessoire am Arm glänzen wollten: Persönliche Luxusgüter wie Kleidung, Schuhe, Lederwaren, Parfüm und Schmuck verkaufen sich laut einer Studie der Unternehmensberatung Bain und des italienischen Luxusgüterverbands Fondazione Altagamma mittlerweile sogar besser als vor der Krise.

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Von den Krisen und Chancen des 21. Jahrhunderts konnte Louis Vuitton nichts ahnen: Der spätere Firmengründer wurde 1821 in einem kleinen Ort in Ostfrankreich nahe der heutigen Grenze zur Schweiz in einfache Verhältnisse geboren. Als Sohn eines Müllers und in einer Familie von Handwerkern lernte er von klein auf, mit den Händen zu arbeiten. Als Jugendlicher fing er eine Lehre bei einem renommierten Koffermacher in Paris an. Es war die Zeit der Dampfboote, Züge und Pferdewagen, und das Reisen wurde unter Wohlhabenden zum Trend.

Nach 17 Jahren beim Meister eröffnete Vuitton 1854 seine eigene Werkstatt in Paris und fertigte von Hand Koffer. Im Gegensatz zu den sonst üblichen bauchigen Reisegepäckstücken bestachen seine flachen Produkte, weil sie besonders gut stapelbar waren. Wenige Jahre später eröffnete Vuitton eine Werkstatt in Asnières-sur-Seine nördlich von Paris. Später folgten auch Geschäfte außerhalb Frankreichs.

Das Geheimnis des Erfolgs von Louis Vuitton

Modeexpertin Leyla Neri vom Institut Français de la Mode in Paris bescheinigt dem Luxuslabel Louis Vuitton ein außergewöhnliches Erbe, das auf die Handwerkskunst seines Gründers zurückgehe. Es gebe eine Tradition der Funktionalität und der Verarbeitung, ein zeitloses und leicht minimalistisches Design. Auch heute wahre die Firma ein Stück weit ihre DNA als Koffermacher.

Hier treffe Geschichte auf Qualität, sagt die Handelsexpertin Azzarone: „Die Taschen sind wasserdicht und feuerfest. Dafür werden grobe Leinenstoffe und PVC verarbeitet, was ein weiterer Grund dafür ist, warum die Handtaschen so teuer sind. Alle Louis-Vuitton-Taschen werden rigoros auf ihre Langlebigkeit getestet und steigern ihren Wert.“ Tatsächlich sind die Taschen wie Rolex-Uhren inzwischen Anlageobjekte mit erheblicher Wertsteigerung. Manche Exemplare werden angeblich inzwischen für 125 000 Euro gehandelt.

Mittlerweile ist der Louis-Vuitton-Mutterkonzern LVMH Spitzenreiter im Luxussektor. Sein Börsenwert liegt bei etwa 347 Milliarden Euro. Andere Nobelkonzerne werden an der Börse deutlich niedriger bewertet. So kommt Hermès auf einen Börsenwert von 137 Milliarden Euro. Bei Kering, unter dessen Dach sich die Nobellabel Gucci und Balenciaga befinden, liegt die Kenngröße bei 95 Milliarden Euro, und Richemont, zu dem etwa Cartier und Montblanc gehören, hat einen Börsenwert von circa 62 Milliarden Euro. Branchenübergreifend ist LVMH der mit Abstand wertvollste börsennotierte Konzern Europas.

Das ikonische Monogram stammt überhaupt nicht von Louis Vuitton

Längst vermarktet Louis Vuitton nicht mehr nur klassisches Reisegepäck. Wer ein Faible für Luxuswaren hat, kann etwa auch Lautsprecherboxen, ein Golfset oder ein Fahrrad der Firma erstehen – natürlich mit dem ikonischen „Monogram“-Muster. Dieses entwarf allerdings Vuittons Sohn Georges im Jahr 1896 und damit vier Jahre nach dem Tod des Firmengründers. Dieser hatte zu Lebzeiten auf einfarbige und gestreifte Stoffe sowie ein Schachbrettmuster gesetzt.

Neben Mustern, Qualitätsversprechen und Tradition spielt mittlerweile auch Nachhaltigkeit im Geschäft mit den Edelhandtaschen eine Rolle. Wie eine Studie der Beratungsgesellschaft Deloitte zeigt, bemühen sich Luxusfirmen angesichts eines Bewusstseins für das Thema gerade bei der jungen Generation darum, ressourcenschonender zu arbeiten und sich zu engagieren. Neri vom Modeinstitut zufolge wird dabei die Herkunft von Lederwaren zunehmend wichtig.

Trend ist, dass es keinen Trend gibt

Und was ist sonst angesagt? Edeltaschen sind nicht nur wieder gefragt – sie sind es quasi auch in allen Größen, Materialien und Stilrichtungen. Denn wie Leyla Neri sagt: „Trend ist fast, dass es keinen Trend gibt.“ Von Mikrotaschen für den Stiefel bis hin zur riesigen Oversized Bag sei derzeit alles in Mode. In seien neben klassischen Lederwaren auch sportliche Taschen und Rucksäcke – ebenso solche aus raffinierteren Stoffen wie Häkel- oder Netztaschen, erklärt die Leiterin des Masters Fashiondesign der Pariser Hochschule. Besonders beliebt seien auch Taschen mit sehr sichtbaren Logos.

200 Jahre nach der Geburt von Louis Vuitton haben sich die Art zu reisen und auch die Anforderung an den Markt deutlich verändert – edle Ledertaschen bleiben dennoch ein gefragtes Accessoire.