Völkerschlacht, Reichseinigung, Schlacht im Teutoburger Wald: im 19. Jahrhundert feierten die Deutschen in ihren Denkmälern ihre Fürsten und die Nation. Was es bis heute nicht gibt, ist ein Ehrenmal für die Freiheit. Ein Essay von Werner Birkenmaier.

Stuttgart - Es sind die Kriege, die die meisten Denkmäler hinterlassen. Das mächtigste Erinnerungsmal auf deutschem Boden ist das 91 Meter hohe und 300 000 Tonnen schwere Völkerschlachtdenkmal in Leipzig. Es steht im Stadtteil Probstheida, in dem Ort, der am 18. Oktober 1813 im Kampf der Preußen, Österreicher, Engländer, Russen und Schweden gegen Napoleon den Brennpunkt bildete. Das Bauwerk, von dem der Chronist Andreas Platthaus sagt, es sei eine „düstere Erscheinung“, wurde genau hundert Jahre nach der Schlacht feierlich eingeweiht.

 

Der Betrachter fragt sich zweierlei: Warum entstand der Bau erst in einer Zeit, in der die Menschen die Völkerschlacht schon fast vergessen hatten? Und warum fiel das das Monument so pompös aus, welcher Stilrichtung folgten die Erbauer – sofern überhaupt? Zunächst einmal: im 19. Jahrhundert gab es keinen alle Lebensbereiche bestimmenden „Stil“. Deshalb ist der Aussagewert von Denkmälern aus dieser Zeit begrenzt. Und deshalb ist es auch schwierig, bei einer Analyse der Bauwerke Aufschlüsse zu gewinnen über die jeweils vorherrschenden politischen Strömungen. Das aber wäre bedeutsam, denn Denkmäler dieser Art wollen eine politische Botschaft vermitteln. Wobei wiederum zu fragen ist, wer welche Botschaft aussenden und in Stein meißeln will. Waren es die Dynastien, oder war es doch auch das Volk?

Die liberal-nationale Bewegung war immer Opposition

Das war der Gegensatz, der das 19. Jahrhundert in Deutschland prägte. Aus dem Kampf gegen Napoleon entstand eine Nationalbewegung, die auf Einheit und Freiheit ausgerichtet war, die sich aber nicht durchsetzen konnte, die mit ihren revolutionären Ansätzen 1830 und 1848 scheiterte und schließlich in Bismarcks Einheitsstaat einen Kompromiss mit den Herrschenden einging. Genau genommen war die liberal-nationale Bewegung immer Opposition. Oppositionelle sind aber nicht in der Lage, Denkmäler zu bauen. Deshalb gibt es in Deutschland kein Denkmal für die Freiheit.

Welcher Art sind dann die vielen Denkmäler, die im 19. Jahrhundert errichtet wurden? Und wie ist das Völkerschlachtdenkmal einzuordnen, das den Schlusspunkt jener Bewegung bildete, die da meinte, Gesinnung pathetisch in Stein fassen zu müssen? Im 18. Jahrhundert spielte das Nationale noch keine Rolle. Da wurden Fürsten oder Feldherrn als Individuen geehrt und, meist hoch zu Ross, auf einen Sockel gestellt. Die Idee eines Nationaldenkmals hat seinen Ursprung in den Freiheitskriegen gegen Napoleon.

Kurz nach der Völkerschlacht von Leipzig schlug der Patriot und Freiheitsdichter Ernst Moritz Arndt vor, auf dem Schlachtfeld ein Denkmal zu errichten, um daran zu erinnern, „wodurch die Welt von dem abscheulichsten aller Tyrannen und dem tückischsten aller Tyrannenvölker befreit worden ist“. Das Bauwerk sollte nicht dem Gedenken der Fürsten und Feldherrn, sondern den gefallenen Soldaten und dem Volke geweiht sein. Das Volk war der Täter der zu feiernden Tat. Aber König August von Sachsen, der bis zuletzt zu Napoleon gehalten hatte, ließ alle Gedenkfeiern verbieten, und an ein Ehrenmal war nicht zu denken.

Die Völkerschlacht war ein Kabinettskrieg

Hinzu kam, dass die Völkerschlacht nur sehr bedingt ein Volkskrieg gewesen war, eher ein Kabinettskrieg im klassischen Sinne, in dem die Fürsten und ihre Kriegsherren mit ihren stehenden Heeren agierten. So sah es auch der deutsch-österreichische Staatsmann Metternich, der nach dem von ihm gelenkten Wiener Kongress 1815 eine Politik der Restauration in Gang setzte. Danach war ein nicht monarchisches politisches Nationaldenkmal nicht mehr möglich. Was der Maler Caspar David Friedrich, auch er ein Patriot, an Arndt schrieb, sollte für das ganze Jahrhundert Gültigkeit besitzen: „Ich wundere mich keineswegs, dass keine Denkmäler errichtet werden, weder die, so die große Sache des Volkes bezeichnen, noch die hochherzigen Taten einzelner deutscher Männer. Solange wir Fürstenknechte bleiben, wird auch nie Großes dieser Art geschehen.“

Für die Politiker war der Kampf gegen Napoleon zugleich ein Kampf gegen die Ideen der Französischen Revolution gewesen. Und so zeigte sich bald nach dem Sieg von Leipzig, dass in den deutschen Staaten die Reformansätze von 1807 verzögert, ja blockiert wurden. Metternich kam es darauf an, das alte, vorrevolutionäre Gleichgewicht wiederherzustellen, weshalb er auch Frankreich gleichberechtigt am Verhandlungstisch des Wiener Kongresses zuließ. Er wollte Liberalismus und Nationalismus eindämmen.

Misstrauen gegen alle Reformbestrebungen

Das war ganz im Sinne auch des preußischen Monarchen, der die von seinem Land ausgehende Reformbewegung mit höchstem Misstrauen betrachtet hatte. Vor allem den Heeresreformer Gneisenau betrachtete König Friedrich Wilhelm III. mit Argwohn. Nach Leipzig ließ er dessen Post vom Geheimdienst kontrollieren. Der völkisch gesinnte Turnvater Jahn wurde 1819 festgenommen und blieb bis 1825 ohne Gerichtsverfahren inhaftiert. Ernst Moritz Arndt, der als einer der Ersten gleich nach 1813 den Mythos vom „Volkskrieg“ und der „nationalen Erhebung“ verbreitet hatte, war zwar in Bonn Professor für Geschichte geworden, wurde aber bald wieder entlassen. Metternich, ohnehin antipreußisch eingestellt, glaubte nicht an die „deutsche Befreiungseuphorie“. Die Reformer waren für ihn „Teutomanen“, die die überkommene Ordnung zerstören wollten. Gewiss, nach dem Wiener Kongress herrschte vierzig Jahre lang Frieden, aber es war kein Frieden der Freiheit, sondern der dynastischen Herrschaft.

Vor diesem Hintergrund sind die Denkmäler zu betrachten, die im Laufe des denkmalsüchtigen 19. Jahrhunderts entstanden. Sie bezogen sich weniger auf das Volk als auf die Regenten. Die große Zeit des national-monarchischen Denkmals ist die Zeit nach 1870 und der Reichseinheit. Sie brachte eine wahre Inflation patriotischer Denkmäler. Seitdem herrschte eine Art Harmonie von monarchischem und deutschem Nationalgefühl.

Erst nachdem die national-liberale Bewegung mehr oder weniger gescheitert und damit historisch geworden war und sich Bismarck anpasste, konnten diese Denkmäler gebaut werden. Sie mussten einen Kompromiss schließen zwischen nationaldemokratischen und monarchischen Tendenzen und Kräften. Herausragend auch im wörtlichen Sinne sind die beiden großen Nationaldenkmäler der siebziger und achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts: das Niederwalddenkmal und das Hermannsdenkmal. Das Niederwalddenkmal oberhalb von Rüdesheim wurde 1883 von Kaiser Wilhelm I. und in Anwesenheit fast aller deutschen Fürsten eingeweiht. Anarchisten versuchten, es in die Luft zu sprengen. Der Anschlag scheiterte, war aber ein Menetekel in der Epoche eines sich verschärfenden Klassenkampfes. Das Reich war lange nicht mehr so einig, wie es sich gab.

Die Wacht am Rhein – „gefrorener Mist“

Die Idee, ein Nationaldenkmal zur Erinnerung an den Krieg von 1870/71 hoch über dem Rhein zu errichten, stammte ursprünglich aus dem national gesinnten Bürgertum, wurde aber in Berlin begeistert aufgenommen. Finanziert wurde es durch Zuschüsse des Reiches und der Fürsten, aber auch durch Spenden patriotischer Vereine. In künstlerischer Hinsicht ist das Werk misslungen, Kurt Tucholsky nannte es „gefrorenen Mist“.

In historisch-politischer Hinsicht ist die Sache jedoch eindeutig: Die Nation, die sich in diesem Denkmal findet, ist die Nation des Krieges, der Wacht am Rhein. Das hat auch die Ortswahl bestimmt. Die schwertgerüstete Germania blickt nach Westen, aber nicht kriegerisch, sondern eher versonnen. Anders als Hermann im Teutoburger Wald schwingt Germania ihr Schwert nicht, sondern hält es ruhig, Friedensbereitschaft andeutend. Dies immerhin. Aber das Verhältnis der nationaldemokratischen und monarchischen Momente bleibt bei diesem Denkmal unklar. Zwar ist es, wie die Inschrift sagt, errichtet „zum Andenken an die einmütige und siegreiche Erhebung des deutschen Volkes und die Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches“, aber im Hauptrelief sind auch die deutschen Fürsten vertreten, die für die deutschen „Stämme“ stehen. Deren Treue zu Kaiser und Reich, die Harmonie von Fürsten und Volk – das geht hier ineinander über. Zu den patriotischen Festen, die im Bereich des Denkmals geplant waren, ist es nicht gekommen. Stattdessen wurde es zu einem beliebten Ausflugspunkt, vor allem der herrlichen Aussicht wegen.

Nationalsache Hermannsdenkmal

In diesen Zusammenhang gehört auch das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald. Erbaut hat es Ernst von Bandel, Sohn eines preußischen Beamten aus Ansbach. Er war geprägt von traumatischen Erlebnissen mit der französischen Besatzungsmacht, und entsprechend monoman fiel sein Werk aus. Bandel wandte sich mit Spendenaufrufen an das deutsche Volk. Zwischen München und Königsberg gab es zahlreiche Denkmalsvereine, und so wurde Bandels Idee zu einer „Nationalsache“. Das hier Gestalt gewordene Nationalgefühl weckt die Erinnerung an die germanische Frühgeschichte. Im archaischen Ursprung soll das Wesen des Deutschen rein und unverfälscht zum Ausdruck kommen.

Dem historischen Helden wird eine konkrete politische Funktion zuerkannt, indem er zum nationalen Mythos erhoben wird. Hermann ist der „Befreier Deutschlands“ und damit ein Mahnzeichen der Einigkeit aller deutschen Stämme. Hermann ist damit zugleich der „Repräsentant der deutschen Nationalität“, weil er den Herrschaftsanspruch des „Romanismus“ gebrochen hat. Auf einer Tafel im Grundstein heißt es: „Hermann dem Befreier Deutschlands gründen dies Denkmal Deutschlands Fürsten und Volksstämme in Eintracht verbunden.“

Auch hier dominiert also das konstitutionelle Ideal der Harmonie zwischen Herrscher und Volk. Hermanns Schwerterhebung repräsentiert Macht, die Stärke und Größe der Nation. Ein gesenktes Schwert würde, so hat Bandel gegen seine Kritiker eingewandt, „den Sinn des ganzen Denkmals aufheben“. Die Wahl des Ortes ist nicht nur historisch bedingt. Darin drückt sich auch Bandels antiurbane Einstellung aus, die Mythisierung des Waldes als der deutschen Seelenlandschaft. Das Denkmal wurde 1875 in Anwesenheit des Kaisers und vieler Fürsten mit großem patriotischem Gepränge eingeweiht.

Das Bürgertum wollte wieder Boden gutmachen

In diese Reihe gehört auch das Kyffhäuserdenkmal, das zwischen 1892 und 1897 vom Architekten Bruno Schmitz errichtet worden ist. Er hatte zuvor schon die Kaiserdenkmäler an der Porta Westfalica und dem Deutschen Eck bei Koblenz gebaut. Den Anstoß gaben die deutschen Kriegsvereine, aber es ist gleichwohl auch ein monarchisches Denkmal. Dementsprechend herrschte bei der Einweihung der monarchische Ton vor: „Treu zu Kaiser und Reich, Fürst und Vaterland“. Allerdings hieß es auch, das den mittelalterlichen Kaiser Rotbart verherrlichende Bauwerk stehe „gegen jeden uns im Innern drohenden Sturm“! Damit wurde ein Motiv angeschlagen, das sich auch im Völkerschlachtdenkmal wiederfindet.Um 1820 hatte der Arzt und Burschenschaftler Alexander Pagenstecher resignierend geschrieben: „Das Gefühl der vaterländischen Politik ist schlafen gegangen, die Erinnerung an die Befreiungskriege, in den höchsten Regionen schon lange missliebig, ist auch im Volke in den Hintergrund getreten.“ Doch der preußische Verfassungskonflikt hatte das Selbstbewusstsein des liberalen Bürgertums wieder geweckt. Es galt, die Rücknahme der Heeresreformen von 1813/14 zu verhindern. Die liberale Opposition befürchtete eine Entbürgerlichung des Heeres, deren Symbol die Landwehr war. Zum fünfzigsten Jahrestag der Schlacht sollte sich, so ein Wortführer, das „aufgeklärte und patriotische Bürgertum“ in Leipzig treffen, „um gemeinsam Hand anzulegen an den Bau deutscher Freiheit und Selbstständigkeit“. Die Idee eines Denkmals wurde wieder aufgegriffen und symbolisch ein Grundstein gelegt. Aber der Sieg über Frankreich ließ die Völkerschlacht in den Hintergrund treten. Der Tag von Sedan, der 2. September, wurde hinfort als Nationalfeiertag begangen, nicht der Tag des Sieges bei Leipzig.

Garniert mit Bestandteilen germanischer Sagenwelt

Um die verblassende Erinnerung zu beleben, gründete sich ein „deutscher Patriotenbund“, der die Realisierung des Projekts energisch vorantrieb. Doch die Spendengelder flossen nicht so reichlich wie erhofft, die Stadt Leipzig musste tief in die Kasse greifen. Vorsitzender des Gründervereins war der Architekt Clemens Thieme, ein nationalistisch gesinnter Freimaurer. Der Verein schrieb einen Wettbewerb aus, aber keiner der Entwürfe genügte Thiemes Vorstellungen. Man griff auf den Architekten Bruno Schmitz zurück, dessen Entwurf Thieme aber beträchtlich abänderte.Heraus kam am Ende ein dem deutschen Volk gewidmetes tempelartiges Monument, das die Geschlossenheit der Nation symbolisieren sollte, diese zugleich aber idealisierend überhöhte. Man erinnerte zwar an die Erhebung von 1813, griff aber auf die germanische Sagenwelt zurück, um einen zeitlos gültigen Mythos der Nation herzustellen. Bruno Schmitz hatte noch gesagt, das Denkmal solle ein „Volksmal“ sein, aber der nationaldemokratische Gedanke ging verloren. Gefeiert wurde der „deutsche Gedanke und Idealismus“. In der Abstraktion drückte sich das Unbehagen aus, die nationale Wirklichkeit könne dem Anspruch der nationalen Idee nicht mehr entsprechen. Und so richtet sich dieses Bauwerk der nationalen Sammlung auch gegen die „vaterlandslosen Mächte“, gegen die SPD, die zu einer starken Fraktion im Reichstag geworden war.

Das Völkerschlachtdenkmal kam zu spät und stand schon damals für ein historisches Ereignis, das für niemanden mehr unmittelbare Wirklichkeit war. Und es wirkte bereits 1913 wie aus der Zeit gefallen. Das Kaisertum kam in dem Bauwerk nicht vor, weshalb Kaiser Wilhelm gleich nach der Einweihung abreiste. Er war an keinem Denkmal interessiert, das abstrakt dem deutschen Volke galt. Aber auch dem Volk hatte dieses monströse Bauwerk wenig bis nichts zu sagen.

Erinnerung an die Völkerschlacht

Mitte Oktober 1813 fiel bei Leipzig die Entscheidung in den Befreiungskriegen, die nach Napoleon Bonapartes Niederlage im Russlandfeldzug 1812 begonnen hatten. Von 16. bis 19. Oktober kämpften die Verbündeten Russland, Preußen, England, Österreich und Schweden gegen die Truppen Frankreichs, der Königreiche Italien und Neapel, des Herzogtums Warschau und einiger Staaten des zerbrechenden Rheinbunds. 600 000 Soldaten waren beteiligt, eine bis dato ungekannte Zahl. Im Januar 1814 zog die Koalition in Frankreich ein, im März eroberte sie Paris. Am 11. April 1814 verzichtete Napoleon auf den Kaiserthron.

Feiern Die Erinnerung an die Völkerschlacht und an die Einweihung des Denkmals 1913 begeht die Stadt Leipzig mit einem großen Veranstaltungsprogramm in der ganzen Region. StZ