24 Stunden Ludwigsburg – in einer 24-teiligen Serie erzählen wir, wie die Ludwigsburger und die Gäste der Stadt leben und arbeiten. Zwischen 18 und 19 Uhr treffen sich ein paar Männer und Frauen im D-Zügle, einer Raucherkneipe beim Bahnhof.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Ludwigsburg - „Raucherlokal, das Betreten ist unter 18 Jahren verboten!“ Das kleine Schild am Eingang des D-Zügles beim Ludwigsburger Bahnhof ist leicht zu übersehen. An diesem Abend gegen 18 Uhr besteht trotzdem kein Zweifel: Alle Gäste sind erwachsen. Sie dürfen also ganz legal rauchen – was die meisten von ihnen auch permanent tun. Alle paar Minuten wird ein neuer Glimmstängel angezündet. Für einen Sportler ist das D-Zügle kein besonders guter Ausgehtipp. Auch Passivrauchen schadet bekanntlich der Fitness.

 

An einem Tisch hinten rechts sitzen Rose Storch aus Asperg und ihre Freundin. Rose Storch ist 74 Jahre alt, sie hat viel zu erzählen, freut sich offensichtlich über ein bisschen Konversation, womöglich auch, weil die Freundin ein bisschen maulfaul ist. „Wir sitzen immer an diesem Tisch, immer“, sagt die Rentnerin, die früher bei der Ludwigsburger Firma Lotter gearbeitet hat. Aber das ist schon länger her. Mit 60 Jahren ist sie in Rente gegangen. Weniger Geld, dafür früher raus aus der Mühle des Arbeitslebens, das könne sie nur empfehlen, sagt sie, grinst zufrieden und trinkt wieder einen Schluck Bier. Zwei Schnäpse und drei Bierchen hat sie bis dato bestellt, dabei wird es bleiben. Gegen 19 Uhr will sie mit der S-Bahn zurückfahren nach Asperg. Die Seniorin schwärmt von den Bussen und Bahnen in der Region, sagt, „die könnte ich küssen“. Für nur 550 Euro fahre sie ein ganzes Jahr lang wohin sie wolle – auch mal bis nach Murrhardt im Schwäbischen Wald zum Beispiel.

Die meisten Gäste sind Wiederholungstäter

Rose Storch und ihre Freundin sind Stammkunden im D-Zügle, hier treffen sie sich mindestens einmal die Woche. An diesem Tag sind die beiden seit 15.30 Uhr zu Gast. Die Bekannte wohnt in Ludwigsburg-Hoheneck und kommt fast jeden Tag ins D-Zügle. Die meisten der rund ein Dutzend Männer und Frauen im Lokal sind ebenfalls Wiederholungstäter. Der Mann am Tisch nebenan, „der ist immer da“, sagt Rose Storch, und das klingt ein klein bisschen abfällig. Der ältere Herr sieht nicht wirklich gut aus. Müde und geschafft schaut er sich um, schlotzt ein Viertele Wein, vermutlich nicht das erste an diesem Tag.

Zu Essen gibt es im D-Zügle nichts, jedenfalls nichts zu kaufen. Rose Storch sagt, sie bringe sich deshalb immer ein Butterbrot mit, und die Freundin habe fünf Kekse im Gepäck, immer genau fünf. Wer mag, der darf sich bei dem Imbiss nebenan einen Snack bestellen und in der Kneipe verzehren. Eben wird einem der Gäste eine Pizza in einem Pappkarton serviert. Aus den Lautsprecherboxen dudeln Popsongs, mal ältere, mal neue. Im Moment singt Amy Winehouse „Valerie“. Die 2011 viel zu jung verstorbene Rockröhre aus London erzählt in dem Song, was sie alles vermisst, etwa „deine rötlichen Haare und die Art, wie du dich kleidest“.

Wenn das Tagwerk vollbracht ist, gibt es ein Bierchen

Im D-Zügle machen viele Menschen kurz oder auch ein bisschen länger Halt auf ihrem Weg nach Hause. Sie kommen mit der S-Bahn von der Arbeit und fahren später mit dem Bus weiter oder laufen heim. So wie der Mann, geschätzt 50 Jahre alt, der sich am Tresen mit seinem Nachbarn unterhält. Er ist bei einem großen Unternehmen in Feuerbach in der Entwicklungsabteilung beschäftigt. Zwei- bis dreimal wöchentlich komme er auf ein Bier im D-Zügle vorbei, „wenn das Tagwerk vollbracht ist“. Von „der Zündkerze vor dem Schaffen“, also Alkohol am Morgen, hält er nichts.

Hinter dem Tresen steht eine Kubanerin, die erst seit zwei Monaten gelegentlich im D-Zügle als Bedienung jobbt. In der Heimat hat sie als Rechtsanwältin gearbeitet. Sie ist mit einem Deutschen verheiratet, hat eine sechsjährige Tochter und lebt in Ludwigsburg. Eine Freundin hat ihr den Nebenjob in der Bahnhofskneipe vermittelt. Sie will noch besser Deutsch lernen und dann gerne wieder als Juristin arbeiten.

Bahnhofskneipe – so würde die 66-jährige Rentnerin, die angeregt mit ihrem etwa gleichaltrigen Nebensitzer schwätzt, das D-Zügle niemals nennen. Sie spricht in Anlehnung an den gleichnamigen Schlager von Peter Alexander von „Der kleinen Kneipe“. Das Lied war die erfolgreichste Single-Schallplatte des Jahres 1976 in Deutschland. „Ich schwöre auf die kleine Kneipe“, sagt die Seniorin, die allein in Möglingen wohnt. Daheim fühle sie sich mitunter einsam. Die erwachsene Tochter: vor Jahren ausgezogen. Der langjährige Freund: gestorben. Das Leben, sagt sie, sei oft schwer. Manchmal steige in ihr ein ungutes Gefühl auf. „Dann denke ich mir: ich hab’ das Glück verloren.“ In solchen Momenten fahre sie gerne nach Ludwigsburg ins D-Zügle, trinkt ein oder zwei Schorle rot. An diesem Tag ist sie zunächst mittags auf dem Ludwigsburger Markt gewesen und dann in einem Café in der Innenstadt. Es gab Kaffee und Berliner mit Eierlikör.

Am Glückspielautomat verzockt ein Mann ein paar Münzen

Stergios Gotas steht oder sitzt fast immer am Stammtisch. Der 59-jährige Grieche gehört seit mehr als zwei Jahrzehnten zum Inventar der Kneipe. Früher, erzählt der Mann mit der rauchigen Stimme, sei er im Anschluss an die Nachtschicht oft morgens ins D-Zügle gekommen. Als der damalige Besitzer aufgehört hat, ist er eingestiegen und hat den Pachtvertrag übernommen. Gotas ist in Nordgriechenland in der Nähe von Thessaloniki aufgewachsen, seit 1986 ist er schon in Deutschland, er wohnt im Waiblingen-Bittenfeld. Seine 30-jährige Tochter, erzählt er, arbeitet in Griechenland als Ärztin in einem Krankenhaus.

Der Mann, der eben am Tresen Platz genommen hat, sagt, er komme nicht oft ins D-Zügle, „nur zweimal in der Woche“. Er sei in Ludwigsburg geboren, habe in zig verschiedenen Städten in Deutschland gearbeitet, zum Beispiel in Frankfurt, in Saarbrücken und in Düsseldorf. Den Lebensabend wolle er nun in seiner Geburtsstadt verbringen, mit gelegentlichen Visiten in der Raucherkneipe beim Bahnhof.

Ein Mann steht auf, geht zum Glückspielautomat, verzieht keine Miene, verzockt ein paar Münzen. Die Bedienung fragt ihn: „Noch ein Bier?“ Er nickt. Die Musik dudelt. Die Zigaretten qualmen. Die Stammkundschaft kommt und geht. Das D-Zügle ist bis 2 Uhr nachts geöffnet, falls Gäste da sind. Wenn nicht, dann sperrt der Wirt auch früher zu und fährt heim.