24 Stunden Ludwigsburg – in einer 24-teiligen Serie erzählen wir, wie die Ludwigsburger und die Gäste der Stadt leben und arbeiten. Zwischen 3 und 4 Uhr kutschiert der Busfahrer Anatolij Anhalt die Nachtschwärmer durch die Straßen.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Ludwigsburg - Es ist 3.20 Uhr. Endlich kommt der Bus. Der junge Mann, der seit geschätzt einer Viertelstunde am Zentralen Busbahnhof in Ludwigsburg steht, reibt sich die Augen. 22 Jahre sei er alt und komme von der Arbeit in einer Bar. „Eigentlich wollte ich noch nach Stuttgart fahren“, ein bisschen feiern. Aber das werde nichts mehr, er müsse ins Bett. An der Haltestelle vor der Musikhalle beim Bahnhof ist in dieser Nacht zum Samstag erstaunlich viel los. Mehrere Dutzend junge Leute stehen da und wollen in einen Nachtbus einsteigen. Fast alle, die man fragt, woher sie denn zu dieser nachtschlafenden Zeit kommen, antworten: aus einer Bar beziehungsweise aus einer Kneipe.

 

Plötzlich läuft ein Mann mit geschulterten Skiern vorbei. Er ist aber zu schnell wieder weg, es bleibt keine Zeit nachzufragen, was er denn mit den Brettern mitten in der Nacht zu tun gedenkt. Ein junges Mädchen ruft: „Mir ist kalt.“

Drei Partymäuse auf dem Heimweg

Der Busfahrer mit dem passenden Namen Anhalt öffnet die Tür des Nachtbusses N 42. Anatolij Anhalt ist schon seit 1.30 Uhr unterwegs. Er chauffiert bis in die frühen Morgenstunden die Ludwigsburger Nachtschwärmer. Etwa einmal im Monat habe er Nachtdienst, erzählt der 40-Jährige, der in Kasachstan aufgewachsen ist und dort alle möglichen und unmöglichen Fahrzeuge gelenkt hat, Kranwagen zum Beispiel und große Lastwagen. Seit 1999 lebt er mit seiner Familie in Deutschland. Seit mehr als 15 Jahren ist er Busfahrer in Ludwigsburg. Die Tour nach Oßweil und Schlößlesfeld beginnt. Eine Frau mit müdem Gesicht erzählt, dass sie von der Arbeit in einer Kneipe in Asperg komme. Eine Kollegin habe sie mitgenommen bis zum Busbahnhof. Nebenan sitzen drei sehr junge Frauen und plaudern. Eine sagt: „Wir sind die Partymäuse“, und lächelt zuckersüß. 18 Jahre seien sie alt.

Ein Mann erzählt, dass er direkt aus Frankfurt komme, vom Eishockeyspiel der Bietigheimer Steelers. Sein Team habe gewonnen, er habe noch lange mit anderen Fans der Truppe gefeiert, sei spät mit dem Zug nach Stuttgart gefahren und habe dann die S-Bahn nach Ludwigsburg genommen. Gut, dass es die Nachtbusse gibt. Andernfalls müsste er jetzt heimlaufen – oder ein Taxi nehmen. Zu Hause werde er vermutlich noch ein Bierchen trinken, „zum Runterkommen“, und dann lange schlafen, erzählt der 47-Jährige.

Anatolij Anhalt war auch bei der Premiere des N 41 der Fahrer

Alle paar Minuten steigen ein paar der geschätzt 20 Fahrgäste aus dem Bus. Einmal steigen zwei neue Fahrgäste zu. Die beiden wollen zum Bahnhof, mehr verraten sie nicht. An der nächsten Haltestelle lösen drei junge Männer bei Anatolij Anhalt ihre Tickets. Sie kommen von einer Privatparty, wollen beim Bahnhof aussteigen und dann den Bus nach Pflugfelden nehmen.

Die Straßen in Ludwigsburg sind menschenleer. Die Stadt schläft. Ab und zu kommt dem Bus ein Taxi entgegen. Herr Anhalt ist super pünktlich unterwegs. Der Bus gleitet vorbei am beleuchteten Barockschloss und ist bald zurück beim Busbahnhof, wo gleich die nächste Tour beginnt.

Der neue Nachtbus mit der Nummer N 41 fährt um 3.50 Uhr nach Eglosheim. Anatolij Anhalt war auch bei der Premierenfahrt des N 41 vor ein paar Wochen der Fahrer. Er erzählt von einem roten Teppich, der damals ausgelegt war, vom Bier, das ausgeschenkt wurde, und von einer Musikgruppe, die zur Feier des Tages – oder besser gesagt der Nacht – gespielt habe. Seither gibt es den neuen Nachtbus. Den Anstoß zu der Neuerung hatten unter anderem der Verein Sicheres Ludwigsburg und der Kommunalpolitiker Jochen Zeltwanger gegeben. Viele Bürger hatten sich so einen Bus gewünscht, der am Wochenende nachts nach Eglosheim fährt.

In dieser kalten Winternacht steigen etwa ein Dutzend Fahrgäste ein

Bis dato werde der N 41 ganz gut angenommen, erzählt Anatolij Anhalt. Es sei noch nie vorgekommen, dass er ganz allein gefahren sei und quasi nur warme Luft kutschiert habe. In dieser kalten Winternacht steigen etwa ein Dutzend Fahrgäste ein. Ein junger Mann, der ganz offenkundig ein bisschen zu viel getrunken hat, bemerkt zu spät, dass er im falschen Bus sitzt. Er will eigentlich zur Bärenwiese, fährt aber in Richtung Eglosheim. So ein Mist, mosert er. Bei der Rundsporthalle steigt er wieder aus – und muss laufen, was sich vermutlich ganz gut auf seinen körperlichen Zustand auswirken dürfte.

Eine junge Frau erzählt etwas beschämt, wo sie und ihre Begleiter gerade herkommen: aus der Kanone, einer Spelunke unweit des Bahnhofs. In Ludwigsburg, schimpft sie, gebe es nur „teure Kneipen und asoziale“. Nächster Stopp, zwei junge Frauen verabschieden sich, eine steigt aus: Küsschen links, Küsschen rechts, gute Nacht, bis morgen.

Die Nacht in einer Bar haben Spuren hinterlassen

Der Busfahrer sagt, er arbeite gerne auch mal nachts. Er nehme den Dienstplan aber letztlich, wie er komme. Die meisten Nächte verliefen ruhig. Nur ganz selten gebe es Probleme. Mitunter müsse er aber die Polizei rufen, weil sich ein Fahrgast nicht benehme. Der letzte Passagier, der während dieser Fahrt immer wieder eingenickt ist, steigt aus. Nach Reden sei ihm nicht zumute, sagt er, „bei meinem Zustand“. Die Nacht in einer Bar hat auch bei ihm Spuren hinterlassen.

Anatolij Anhalt wird noch bis in die frühen Morgenstunden seinen Bus durch Ludwigsburg lenken. Anschließend werde er seine Frau zur Arbeit in einem Bäckerladen chauffieren und dann ins Bett gehen. Zum Glück, sagt er und lächelt, seien die Kinder bei den Großeltern.