Beide Marke gehören zu Volkswagen-Konzern, dennoch investiert Audi viele Millionen Euro, um wieder auf den Thron beim 24-Stunden-Klassiker in Le Mans zu klettern und Rekordsieger Porsche abzulösen.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Le Mans - Etwas wehmütig wird Nico Hülkenberg werden, wenn er an diesem Wochenende Neuigkeiten aus Le Mans aufschnappt. Gerne wäre der Kerl aus Emmerich beim 24-Stunden-Rennen im Departement Sarthe gestartet, gerne hätte er versucht, den Gesamtsieg vom vergangenen Jahr zu verteidigen. Doch Nico Hülkenberg steht bei Force India in Lohn und Brot, und weil die Formel 1 den Großen Preis von Europa in Baku im Osten von Aserbaidschan austrägt, erhielt der 28-Jährige keine Freigabe für Porsche und das Rennen im Westen Frankreichs.

 

„Es war immer klar, dass die Formel 1 die Hauptsache und meine Leidenschaft ist. Es geht sich dieses Jahr einfach nicht aus“, sagte der Deutsche vor seiner Abreise ans Kaspische Meer, „hier und da werde ich mal am TV oder online schauen – ich habe ein Auge darauf, was meine Jungs in Le Mans tun.“

Also müssen es Timo Bernhard (Homburg), Mark Webber (Australien) und Brendon Hartley (Neuseeland) oder Romain Dumas (Frankreich), Neel Jani (Schweiz) und Marc Lieb (Ludwigsburg) in den beiden Porsche 919 Hybrid richten, den 18. Gesamtsieg für die Zuffenhausener zu beschaffen – was in diesem Jahr besonders schwierig werden dürfte. Denn Audi hat kräftig aufgerüstet, hat kaum eine Schraube nicht gewechselt, kaum ein Bauteil des Audi R 18 am andern gelassen, hat ein im Grunde neues Fahrzeug konzipiert. „Das war hart, anstrengend, sehr fordernd“, beschreibt Technikchef Jörg Zander seine Arbeit der vergangenen Monate. „Dieses Auto war ein ganz großer Schritt“, betont Sportchef Wolfgang Ullrich in der in klinischem Weiß gehaltenen Audi-Arena vor Journalisten und Vip-Gästen.

Seit 2000 holte 13 mal ein Audi den Gesamtsieg

Audi will zurück auf den Thron in Le Mans, dort gehören die vier Ringe nach eigenem Selbstverständnis hin – seit 2000 holte 13 mal ein Audi den Gesamtsieg. Dann kehrte Porsche in die LMP1-Klasse zurück, die Traditionsmarke, der Rekordchampion, der Geschichte bei den 24 Stunden geschrieben hat. Beim Comeback 2014 war die Vorbereitungszeit zu kurz, aber schon 2015 gelang der Porsche-Rennsport-Abteilung aus Weissach die Revolution gegen die Regenten aus Ingolstadt. Wenn aber Audi auf der Langstrecke im Allgemeinen und in Le Mans im Besonderen den Anspruch formuliert, „wo wir sind, da ist vorn“, dann musste nach der Niederlage im Juni 2015 etwas geschehen.

Von diesem Samstag (Start 15 Uhr/Eurosport) an zanken sich die Schwestern Porsche und Audi um den Titel, welche denn die Schnellste und Zuverlässigste in 24 Stunden ist. Wer sich Königin der Sarthe nennen darf. Die Volkswagen-Konzernmutter in Wolfsburg lässt ihre streitbaren Töchter gewähren, ganz in der Gewissheit, dass nicht beide werden siegen können – was unternehmerisch und marketingpolitisch durchaus als fragwürdig gelten kann. Denn beide Mannschaften investieren viel Geld in den Langstreckensport, 200 Millionen Euro verschlingt eine komplette Saison in der Langstrecken-WM (WEC) mindestens, zu der auch das Rennen in Le Mans zählt. Für die konzeptionelle Neuausrichtung des R 18 hat Audi zusätzliche Euros in die Hand genommen, Insider schätzen zwischen 20 und 30 Millionen. Über Geld spricht Ullrich freilich nicht, er unterstreicht am Mikrofon: „Wir wollten ein Auto mit der größtmöglichen Effizienz, dies war nur über die Aerodynamik möglich.“ Technikchef Zander hat es ein paar Tage zuvor auf den Punkt gebracht: „Wenn man einen Neuanfang samt Technologiesprung startet, kann man keine halben Sachen machen.“ Alles wurde auf maximale Effizienz getrimmt: Aerodynamik, Monocoque, Motor, Hybridsystem, Fahrwerk, Kühlung, Packaging (Anordnung aller Bauteile im Fahrzeug). Um wenigstens ein paar Milliönchen zu sparen und nach dem Abgasskandal ein entsprechendes Zeichen zu setzen, hat der Volkswagen-Konzern den streitbaren Schwestern eine Mini-Diät verordnet. Lediglich je zwei, statt bislang drei Fahrzeuge ins 24-Stunden-Rennen zu schicken.

Der Spritverbrauch wurde im Reglement weiter beschnitten

Die Audi-Ingenieure haben sich die Aerodynamik und das Hybridsystem vorgenommen. Der nötige Abtrieb wird noch stärker am Unterboden generiert, es wird mehr Luft unters Auto statt drüber geleitet, was den Luftwiderstand senkt. Hintergrund: Der Spritverbrauch wurde im Reglement weiter beschnitten, es müssen acht Prozent weniger pro Runde verbraucht werden als 2015 (knapp über drei Liter auf 13,6 Kilometer), ein geringerer Luftwiderstand wirkt sich bekanntlich verbrauchsfreundlich aus.

„Wichtigstes Anliegen war, den Luftfluss zu verbessern“, sagt Zander, „die Aerodynamik beeinflusst Proportionen und Gewichtsverteilung.“ Der R 18 bekam eine neue Hülle, eine höhere Nase, das Cockpit wurde nach hinten verschoben. „Man sitzt mit den Beinen nun höher“, sagt Pilot Marcel Fässler, „fast wie auf einem Sofa.“ Weniger Benzin bei gleicher Rundenzeit, das bedeutet, dass auch die Hybrideinheit verändert wurde. Statt vier werden sechs Megajoule per Energierückgewinnung gesammelt, und diese nicht mehr mittels Schwungrad, sondern über Lithium-Ionen-Batterien abgegeben. 2016 verbraucht der LMP1-Bolide aus Ingolstadt 46,6 Prozent weniger Kraftsoff als 2006, die Rundenzeit wurde seitdem aber um 15 Sekunden verbessert.

Audi fühlt sich bestens gerüstet

„Dieser R 18 ist der effizienteste und leistungsstärkste Audi, denn wir je in Le Mans ins Rennen schickten“, sagt Wolfgang Ullrich. Audi fühlt sich bestens gerüstet für das Schwestern-Duell gegen Porsche – wenn am Sonntag um 15 Uhr in Le Mans der Sieger durchs Ziel fährt, beginnt für Nico Hülkenberg das Formel-1-Rennen in Baku. Dann ist er entthront, aber vielleicht bleibt die Krone ja in den Reihen von Porsche.