Seit 25 Jahren besteht die Partnerschaft zwischen Stuttgart und Lodz – eine Delegation hat jetzt in Polen gefeiert. Eine kurze Dienstreise, auf der Oberbürgermeister Fritz Kuhn überraschende Einsichten gewinnt.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart/Lodz - Es hat dann doch sehr schnell gefunkt zwischen OB Fritz Kuhn und seiner Amtskollegin in Lodz, Hanna Zdanowska. Im Vorfeld der Delegationsreise nach Polen hatte Kuhn klar gemacht, dass er nicht wie sein Vorgänger ständig in der Welt unterwegs sein wolle. Zudem plante er gleich, wegen wohl wichtiger Termine, nur zwei der vier Tage in Lodz dabei zu sein – dabei handelte es sich doch um Kuhns erste Fahrt in eine Partnerstadt. Manche sahen darin ein schlechtes Omen: Sah er sie nur als Dienstreise? Die Auslandsbeziehungen schienen dem neuen OB nicht wichtig.

 

Doch schon am ersten Abend in Lodz, am vergangenen Donnerstag, redeten sich Kuhn und seine Kollegin Zdanowska fest: Beim Diner verabschiedeten sie den Dolmetscher und plauderten munter auf Englisch weiter. Am nächsten Morgen war Kuhn nicht nur beeindruckt von der Warmherzigkeit der Lodzer, sondern hatte ein Thema im Gepäck: Die OB hatte ihm erzählt, wie in Lodz der Bürgerhaushalt funktioniert. Dabei klopft die Stadt alle Vorschläge auf ihre Machbarkeit hin ab und stellt sie erst dann zur Wahl. Das gefällt Kuhn: „Man muss lernbereit sein. Diese Idee nehme ich mit.“

Eine unterschätzte Stadt

Beeindruckt waren auch die übrigen rund 20 Lodz-Reisenden aus dem Gemeinderat, der Stadtverwaltung und vieler Einrichtungen, wie Sebastian Weingarten vom Renitenztheater oder Brigitte Liebelt von der Jörg-Ratgeb-Schule. Denn Lodz ist, ähnlich wie Stuttgart, eine unterschätzte Stadt: Man stellt sie sich grau und langweilig vor. Doch bei ihrem Besichtigungsmarathon – die Delegation nahm 23 Termine in kaum vier Tagen wahr – wurde klar: Lodz ist eine extrem dynamische Stadt, die wirtschaftlich, künstlerisch und städtebaulich eine unglaubliche Entwicklung durchläuft.

So werden gerade viele der 800 ehemaligen Textilfabriken, die das Stadtbild prägen, renoviert. In die schönen Backsteingebäude ziehen Kulturzentren, Unternehmen oder auch das noble Einkaufszentrum „Manufactura“ ein, das doppelt so groß ist wie das in Stuttgart geplante Milaneo. Eine Sonderwirtschaftszone bietet unfassbare 1200 Hektar an Flächen für Unternehmen an. Mitten in der Stadt wird für 450 Millionen Euro ein neuer unterirdischer Bahnhof gebaut. Und auch künstlerisch ist Lodz teils der Nabel Polens: Die Filmakademie besitzt einen internationalen Ruf, und der Neubau der Kunstakademie umfasst eine Multimediahalle mit Laufsteg, nach der sich die Leiterinnen vieler Modeschulen in Europa die Finger schlecken würden.

Der Austausch läuft

Umso überraschter ist man, dass in der Partnerschaft zwischen Stuttgart und Lodz diese parallel verlaufenden politischen Themen noch kaum aufgegriffen werden. Der Stadtjugendring engagiert sich stark: „Für uns ist Lodz neben Straßburg die wichtigste Partnerstadt“, sagte Rainer Mayerhoffer. Und Uwe Peleikis, der stellvertretende Direktor der Kaufmännischen Schule Nr. 1, ist bei der Reise eine Kooperation mit der Lodzer Sekundarschule eingegangen. Der Austausch läuft also.

Kommunal ist aber etwas Flaute – die Eröffnung des Generationenhauses Bednarska, des letzten gemeinsamen städtischen Projekts, liegt acht Jahre zurück. Doch das Interesse wächst. Radoslaw Stepien, der Vizepräsident von Lodz, sagte in einer Runde mit Wirtschaftsvertretern offen: „Es geht auch darum, gute Geschäfte zu machen – für beide Seiten.“ Da ist er sich ganz einig mit OB Fritz Kuhn, der ebenfalls die wirtschaftliche Seite der Beziehungen stärken will.

„Stuttgart steht an der Spitze unserer 18 Partnerschaften“

Daneben hat Lodz vorgeschlagen, mit Stuttgart an einem EU-Projekt zur Revitalisierung von Fabrikbrachen teilzunehmen – Stuttgart könnte sehr von den Erfahrungen Lodz’ profitieren. Umgekehrt war Stepien vor kurzem in Stuttgart, um sich das System der Abfallwirtschaft anzusehen. „Stuttgart steht an der Spitze unserer 18 Partnerschaften“, sagte er. Und er will noch mehr tun. Spontan verpflichtete er sich, organisierte Touristenfahrten für Stuttgarter nach Lodz einzurichten, wenn es gelinge, einen Partner in Stuttgart zu finden.

Noch vor dem Untergang der Ost-West-Blöcke war die Städtepartnerschaft 1988 gegründet worden; man wollte andere Akzente setzen nach der lange Zeit schwierigen Geschichte von Deutschen und Polen. Längst ist daraus eine so entspannte Beziehung geworden, dass Hanna Zdanowska sich traute, dem Stuttgarter OB beim offiziellen Abendessen eine Kuhn-Karikatur zu schenken. Das geht nur unter Freunden.

Und Fritz Kuhn tat es dann doch schnell leid, dass er nur zwei Tage bleiben konnte: „Ich werde wiederkommen“, versprach er.