Eine Schwarzwaldforelle und auch mal ein Heringsbrötchen: Mehr Fisch kam einst in Stuttgart selten auf den Tisch. Das hat sich mit den maritimen Köstlichkeiten aus Hamburg geändert.

Stuttgart - Der Wind steht günstig von Norden her und bläht die Segel der Kogge, die bereits sicher auf dem Karlsplatz angelandet ist. Schon ihr Anblick justiert den Kompass der Sinne für die Köstlichkeiten aus dem Meer, die wieder an die 350 000 Besucher anziehen werden. Der Leuchtturm der Fischmarkt-Flotte vom Landesverband des ambulanten Gewerbes und der Schausteller Hamburg e. V. (WAGS Hamburg Events GmbH) gleich daneben muss schon lange nicht mehr den richtigen Weg nach Stuttgart weisen. Seit sie 1988 zum ersten Mal hier Anker geworfen hat, als Gegenbesuch zum Stuttgarter Weindorf, das seit 1986 auf dem Hamburger Rathausmarkt gastierte, segelt sie jetzt zum 30. Mal gen Süden und feiert dieses stolze Jubiläum.

 

Skeptisch war anfangs mancher der Gäste von Alster und Elbe: Ist es ein Risiko oder wird es ein Erfolg? „Vor 30 Jahren war Stuttgart noch Fischmarkt-Erkundungsland“, erinnert sich Anne-Kathrin Rehberg, PR-Frau und Organisatorin des Fischmarktes und mit der Hamburger Spezialität Labskaus (Hildes Labskaus) auf dem Markt vertreten.

Es war kein Misserfolg, sondern der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, um nicht zu sagen Liebesbeziehung. Darum rollen die Hamburger zum Jubiläum den Gästen den roten Teppich aus. „Wir wollen den Freunden aus Stuttgart zeigen, dass sie für uns wichtig und bedeutend sind und legen darum für elf Tage den roten Teppich komplett um den Platz“, sagt Rehberg.

150 Tonnen Fisch und Schalentiere werden geliefert

Der Fisch ist geputzt. 140 bis 150 Tonnen Flossen-, Meeres- und Schalentiere werden alle zwei Tage auf Eis von der Waterkant geliefert. Was ist der Hit bei den Schwaben? „Hier darf es deftig sein“, sagt Anne Rehberg. Hering geht immer, dann natürlich der Backfisch als Lokalmatador: Seelachs in einem Bierteig, der kross aus den Fritteusen mit siedendem Öl auf der Rutsche des Leuchtturms die Talfahrt auf den Teller antritt. Angekündigt mit schepperndem Klang der Schiffsglocke: Fertig!

Fabian Haase ist berühmt für seine Scholle Finkenwerder Art, bei Klaus Moritz locken Scampipfannen, Aale-Dieter preist Räucheraale an, Garnelenspieße, Shrimps-cocktail und Austern gibt es natürlich auch. Die kosteten vor 30 Jahren noch zwei Deutsche Mark das Stück. Vor sieben Jahren war man bei 2,80 Euro. Und jetzt? „Wir werden vernünftig kalkulieren“, verspricht Anne Rehberg. Ihre Spezialität Labskaus wird sie für 8,50 Euro verkaufen.

Ob für diesen Preis noch Nordseekrabben beim Gericht aus Kartoffeln, Gurken, Zwiebeln, Corned Beef, Bismarckhering, Rote Bete und Spiegelei drin sein können, macht ihr noch Kopfzerbrechen. „Der Preis für Nordseekrabben ist ins Uferlose gestiegen“, sekundiert Matthias Keller, der Geschäftsführer des Fisch- und Informationszentrums in Hamburg. Den Experten bringen die Händler und Schausteller sozusagen wieder als exquisiten Beifang mit auf den Fischmarkt, wo er die Besucher nicht nur darüber aufklärt, warum das Kilo Nordseekrabben schon fast 60 Euro kostet und das Krabbenbrötchen an den Landungsbrücken bereits für 11,50 Euro verkauft wird. „Weil der geschützte Fisch Wittling die ganze Krabbenpopulation auffrisst“, so Keller. Da wird das Krabbenbrötchen am Fischmarkt wohl auch einiges mehr als 3,50 Mark wie vor 30 Jahren kosten.

Kabeljau ist derzeit gesichert, Ostsee-Dorsch ist problematisch

Aber darf man überhaupt noch guten Gewissens Fisch essen oder sind alle Sorten bereits überfischt? Keller, der in einer Kühltheke prachtvolle Exemplare wie Scholle, Kabeljau, Steinbeißer, Schellfisch, Dorade, Lachs, Oktopus, Jakobsmuscheln und Kaisergranat präsentieren und auch die Unterschiede zwischen Shrimps, Garnelen und Scampi erklären wird, gibt Entwarnung: „Der Kabeljau“, versichert er, „schwimmt in die Nachhaltigkeit.“ Nur der Ostsee-Dorsch sei problematisch, aber da habe man die Fangquoten bereits gesenkt. Dass Fisch nicht nur im Wein schwimmen muss, will Keller mit der Rezeptbroschüre „Fisch & Bier“ beweisen. Auf den Geschmack des leicht bitteren Jever sind die Schwaben längst gekommen, nachgeglüht wird in der Bar Starclub Hamburg am Denkmal.

Das Ende des Weindorfs in Hamburg liegt im Magen

Gastgeber und Gäste schlucken immer noch schwer an dem Wermutstropfen, dass die Schiene Stuttgart-Hamburg nur noch in einer Richtung funktioniert. Im 31. Jahr der Gastspiele des Stuttgarter Weindorfs am Hamburger Rathausmarktes bauten die Wengerter und Gastronomen dort ihre Lauben nicht mehr auf, weil die Hamburger statt 46 000 Euro eine Miete von 125 000 Euro verlangten. Auf Betreiben des Rechnungshofes. Die gegenseitige Regelung, keine Platzmiete zu verlangen, fällt damit flach, aber Stuttgart bleibt mit 30 000 Euro sehr moderat. „Das zahlen wir gern“, versichert WAG-Geschäftsführer Wilfried Thal und verhehlt nicht sein Unbehagen über diese „einseitige Geschichte“. Hoffnung auf eine Wendung kann derzeit auch Werner Koch, der Vorsitzende des Weindorfveranstalters Verkehrsverein Pro Stuttgart, nicht machen: „Die Tür ist im Moment zu, aber abgeschlossen ist sie nicht.“ Der Uhlbacher Wengerter Fritz Currle werde den von den Stuttgartern in Hamburg angelegten Weinberg Stintfang auf jeden Fall weiter betreuen.

Die Liebe zwischen den Stuttgartern und Hamburgern scheint keinen Schaden genommen zu haben: „Stuttgart hat von allen Gastspielorten den schönsten Platz“, schwärmt Anne Rehberg. „Und dazu die netten Gäste!“ Und Thal ergänzt: „In diesem Jahr sind wir besonders dankbar für das Asyl in Stuttgart, während in Hamburg beim G20-Gipfel die Weltpolitik tobt.“